5. November 1892 Munch-Ausstellung in Berlin provoziert Randale
Jung und wild und anders – deshalb hatte man Edvard Munch nach Berlin eingeladen. Skandinavische Impressionen wollte man zeigen, hatte sich die aber vorher nicht genau angesehen. Für den Berliner Kunstverein wird die Munch-Schau zur Blamage. Der Künstler nimmts gelassen. Autor: Simon Demmelhuber
05. November
Dienstag, 05. November 2024
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ein Raunen erst, ein kleines Kichern, Dann spitzes Gegacker. Zuletzt heller Aufruhr. Die Bilderschau ist kaum eröffnet, schon ist alles zu spät: Erhitzte Damen fächeln hektisch, erboste Herren laufen rot an, wittern reihum Konsens und lassen brustbreit Dampf ab: "Kunst soll das sein? Das Farbgesudel? Die Pinselsauerei? Krank ist das! Krank und pervers! Abhängen den Mist, sofort! Einstampfen! Weg damit!"
So viel Entrüstung, so viel Geschrei, so viel Zorn - da ist etwas gründlich schiefgelaufen mit der Edvard-Munch-Ausstellung des Vereins Berliner Künstler: Skandinavische Impressionen waren angekündigt, erhabene Landschaftsdramen, firnweiße Gipfel, sehnsuchtsweite Fjorde voll gläserner Stille! Auf gerahmten Seelenbalsam war man eingestellt, auf stimmungsvolles Augenfutter für den Nordlandfimmel der Kaiserzeit - und dann: DAS!
Unerwartet nicht gut
Was da im Ehrensaal des Architektenhauses hängt, was da die Wände zuschleimt – Pfui Deibel! Statt nordischer Magie eine Schweinerei nach der andern: eiternde Farben, wilde Kratz- und Pinselspuren, vieles roh und unfertig, verweste Bilder, als hätten Fleckfieber und Furunkel die Leinwand befallen.
Nicht bloß die Gäste der Vernissage sperren entsetzt die Kiefer. Auch den Vorständen des Künstlervereins kocht die Galle hoch. Bis eben, bis zur Eröffnung am 5. November 1892 hat noch keiner von ihnen ein Bild des jungen Norwegers Edvard Munch gesehen. Alle hatten sich blind auf die Empfehlung ihres Vereinskollegen Eilert Normann verlassen. Alle wähnten den vom Kaiser geschätzten Lieferanten feinst gepinselter Nordland-Idyllen bestens mit Munchs Werken vertraut.
Alle stimmten daher zu, dem als genial gehandelten Nachwuchskünstler eine Einzelausstellung in Berlin anzutragen.
Nach hinten losgegangen
Und nun dieser Missgriff! Diese Blamage! Und warum? Weil offenbar auch der Kollege Normann keinen Schimmer hatte, welchem Schmierer er da den roten Teppich ausrollte. Eigentlich bleibt nur eins: Die Ausstellung schließen! Am besten gleich! Doch darüber muss erst eine Vollversammlung beraten, die stante pede einberufen wird und schon in wenigen Tage abstimmen soll.
Kleinhalten lässt sich das Schlammassel bis dahin jedoch nicht mehr. Die Sache ist rum, und die Berliner geben ein erfrischendes Skandälchen ebenso ungern auf wie die Presse ein zünftiges Haberfeldtreiben. In schneidiger Entrüstung vereint, machen Schreier und Schreiber den Maler Munch nieder und zweifeln volksnah am Sachverstand der Verantwortlichen.
Auch im Verein Berliner Künstler wirkt Munch wie ein Brandbeschleuniger auf den schon lange schwelenden Streit zwischen Avantgarde und Tradition. Bei der entscheidenden Abstimmung bleiben jedoch die strengen Gottvaterbärte noch einmal am Drücker: Sie machen die Ausstellung kurzerhand dicht und setzen Munch per Fußtritt vor die Tür.
Na siehste! Wär' dit also och jeklärt! Und Munch? Ach, dem kommt der Rausschmiss eigentlich ganz gelegen. Er ist jetzt berühmt, findet Käufer und genießt den Krach um seine Bilder.
Nur für Berlin sieht er schwarz: "Das mit der Kunststadt wird wohl so schnell noch nichts", schreibt er amüsiert nach Hause.