4. Mai 1555 Prophezeiungen des Nostradamus erscheinen
Er war der Großmeister der Prophezeiung: Am 4. Mai 1555 erschienen die ersten 353 Verse von Nostradamus' "Centurien". Seitdem rätseln immer wieder neue Zeitgenossen, ob die Ereignisse ihrer Zeit in den alten Versen vielleicht schon angekündigt waren.
04. Mai
Mittwoch, 04. Mai 2011, 09:50 Uhr
Autorin: Astrid Mayerle
Sprecher: Johannes Hitzelberger
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Rosenblüten, Aloe Vera, Gewürznelken, Kalmusöl und grüne Zypressen: Die Mixtur klingt wie die jüngste Komposition des französischen Edel-Parfumeurs Serge Lutens. Weit gefehlt. Erstens ist dieses Rezept bald fünfhundert Jahre alt, und zweitens wurden die Zutaten nicht in Alkohol gelöst als Duftstoff verkauft, sondern als kleine medizinische Kügelchen kranken Menschen verabreicht. Der Erfinder der Rezeptur allerdings war ebenfalls Franzose - Nostradamus.
Seine Patienten waren todkrank: Die Pest tobte in Frankreich. Der Medizinstudent aus Montpellier kombinierte Alchimie und Pflanzenheilkunde, er erfand eine Pestpille und zog mehrere Jahre lang durch Frankreich, um seine Landsleute zu kurieren.
Dem häufig praktizierten Aderlass traute er nicht, empfahl stattdessen neben seiner Pille auch neue hygienische Maßnahmen im Kampf gegen die Seuche: abgekochtes Wasser, regelmäßige Bäder und das Verbrennen der Leichen vor den Toren der Stadt. Er verzichtete auf den obligatorischen Aderlass, der viele Gesunde und sogar seine Kollegen erst infizierte, weil sie mit verseuchtem Blut in Berührung kamen. Seine Zeitgenossen, vor allem Ärzte, kritisierten die neuen Methoden gegen die Pest harsch und warnten später auch vor den ominösen Schriften.
Und heute? Wunderheiler oder genialischer Mediziner, Visionär oder Astrologe, Zukunftsforscher oder Scharlatan? Die Literatur über Nostradamus, den 1503 in der Provence geborenen Arzt und Apotheker, ist noch immer zweigeteilt. Die schillernde Figur eignet sich hervorragend als Projektionsfläche für Abgründiges aller Art, als Protagonist für Romane, Musicals, Psychothriller oder spekulative Dokus in der Nachfolge von "The Man Who Saw Tomorrow". Diese Geschichten kreisen weniger um den Arzt als um den rätselhaften Propheten. Nostradamus versuchte menschheitsgeschichtlich bedeutende Ereignisse und Epochenumbrüche bis ins vierte Jahrtausend vorherzusagen. Bereits seine Zeitgenossen verbrachten enorme Anstrengungen mit der Deutung der ersten 353 Verse, die am 4. Mai 1555 als erste Auflage seiner sogenannten Centurien erschienen waren.
Die Prognosen des Nostradamus haben auch heute immer wieder mal Konjunktur: Besonders beliebt ist es, eine Sonnenfinsternis mit seinen Vorhersehungen in Verbindung zu bringen. Zufällig finden sich für die Erdverdunkelung von 1999 ein paar Zeilen in dem vielteiligen Konvolut. Dort heißt es: "Im Jahr neunzehnhundertneunzig neun kommt vom Himmel ein großer Schreckenskönig."
Einen interessanten Nebenaspekt des Phänomens Nostradamus hat der französische Historiker Georges Minois beschrieben. Seiner Meinung nach spiele für eine Gesellschaft nicht das Eintreffen der Vorhersage die entscheidende Rolle, sondern dass die Prophezeiung helfe, Ereignisse zu akzeptieren und Handlungsimpulse zu setzen. Zukunftsdeutung als kollektive Therapie - auch eine Möglichkeit, mit den Prognosen umzugehen. Was genau Nostradamus vorhersagt, bleibt diffus: Die Schriften enthalten Anspielungen auf die Bibel wie auf astrologische Umrechnungsformeln, daher sind die Nostradamusexegeten bis heute damit beschäftigt, den richtigen Schlüssel zur Auslegung zu finden.
Doch einer der Interpreten hat die entscheidende Botschaft aus den Schriften bereits herausdestilliert: Der richtige Schlüssel für die richtigen Deutungen wird erst exakt 500 Jahre nach Veröffentlichung der ersten Centurie, also 2055, gefunden werden. Zu diesem Anlass, gibt es dann sicher eine gänzlich überarbeitete Version dieses Kalenderblattes - was auch immer inzwischen passieren mag.