16. Mai 1842 Erste Planwagen-Kolonne auf dem Oregon-Trail
Monate-, manchmal jahrelang waren Planwägen das mobile Zuhause für die Siedlerfamilien, die Richtung Westen aufbrachen auf dem berüchtigten Oregon-Trail. Am 16. Mai 1842 brach der erste Treck auf, Cholera und Typhus fuhren immer mit.
16. Mai
Montag, 16. Mai 2011, 12:09 Uhr
Autorin: Kirsten Zesewitz
Sprecherin: Krista Posch
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Knirschend rollen die eisenbeschlagenen Reifen über den Sand, eine Wagenachse ächzt unter der Last des Fuhrwerks, irgendwo weint ein Kind. So könnte er klingen, der Sound der Planwägen, die sich in langen Trecks unter der sengenden Sonne der Prärie gen Westen bewegen. Und dazu: unaufhörlich, das Traben der Ochsen - in dicken, gelben Staub gehüllt.
Wenn man es recht betrachtet, müsste der Ochse das Tier des Wilden Westens sein: Ein Ochse, vor einen Planwagen gespannt. Und der männliche Held: ausgemergelt, mit wettergegerbtem Gesicht reitet nicht: Er läuft neben dem Ochsen her! Der Bock des Fuhrwerks ist für die Lady der amerikanischen Besiedlung bestimmt.
Give me your tired, your poor
your huddled masses
yearning to breathe free
So steht es an der New Yorker Freiheitsstatue eingemeißelt, und sie kamen, die zerschlissenen, von Armut gebeutelten Massen aus dem Alten Europa, auf der Suche nach Freiheit und einem besseren Leben in Amerika.
In den 1840er-Jahren liegt diese Freiheit, liegt das gelobte Land allerdings längst nicht mehr an der Ostküste, wo die Pilgrims 200 Jahre zuvor angelandet waren: Es liegt westlich der Rocky Mountains, in Oregon. Allein, die Passage durch das wilde, unwegsame Gelände, durch die endlose Prärie und die schneebedeckten Berge scheint unmöglich. Nur ein paar Trapper haben den Weg über die Rockys bisher geschafft - aber ein schwerfälliger Planwagen, mit Frauen und Kindern?
Niemals, unkt die britische Presse, die die Expansionspläne kritisch beäugt, wird einer dieser verblendeten amerikanischen Siedler den Weg nach Oregon schaffen. 2.000 Meilen, durch Wüsten, Flüsse und Gebirge… Die Briten sollten sich - nicht zum ersten Mal - über den Mut, Enthusiasmus und die Leidensfähigkeit der Auswanderer täuschen: Manifest Destiny, die schicksalhafte Bestimmung des amerikanischen Volkes, liegt im Westen; weites, unbebautes Land, das nur darauf wartet, von weißen Siedlern kultiviert zu werden, so verheißen es jedenfalls die Propagandapamphlete, die die Menschen zur Landnahme aufrufen.
Anfangs begleiten erfahrene Pelzjäger die Trecks gen Westen: von Missouri, am Platte River entlang durch Nebraska zu den roten Felsen von Wyoming: Independence Rock, Register Cliff, Split Rock - der South Pass durch die Rocky Mountains. Bald sind diese Guides jedoch überflüssig: Hunderte Fuhrwerke hinterlassen so deutliche Spuren im Boden, dass man den Trail kaum verfehlen kann. Plötzlich sind Männer mit menschlichen Führungsqualitäten gefragt, um die Leute zusammenzuhalten und für Disziplin zu sorgen im Treck: Kolonnen von 20, 30 Planwägen, beladen mit allem, was die Menschen besitzen; ein mobiles Zuhause, in dem über Monate, manchmal Jahre hinweg gelebt, geboren und gestorben wird.
Die Indianer und ihre Besitzansprüche bleiben bei all dem freilich außen vor. Sie sind anfangs übrigens nicht einmal eine Gefahr: Wenn ein Siedlertreck auf dem Trail tatsächlich mal einen Indianer zu Gesicht bekommt, fordert der nur seinen Wegezoll ein - so, wie er es zuvor mit den weißen Pelzhändlern und Jägern auch getan hat. Gravierender für das Schicksal der Siedler sind die Krankheiten: Cholera, Typhus, die die Menschen zu Hunderten hinweg raffen. Unfälle mit den schwerfälligen Fuhrwerken, Unwetter oder ein früher Wintereinbruch bedeuten nicht selten den Tod.
Über 350.000 Menschen ziehen Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Oregon-Trail nach Westen. 16. Mai 1842 macht sich der erste Treck auf den Weg.