Kalenderblatt Pionierrepublik "Wilhelm Pieck" eröffnet
In der DDR gab es eine politische Massenorganisation für Kinder, genannt "Pionierorganisation Ernst Thälmann". Die Kinder trugen Uniformen mit blauen oder roten Halstüchern, und wer sich besonders auszeichnete, durfte seine Ferien am Werbellinsee in der "Kinderrepublik Wilhelm Pieck" verbringen. Autorin: Brigitte Kohn
16. Juli
Dienstag, 16. Juli 2024
Autor(in): Brigitte Kohn
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Woran erkennt man eine Diktatur? Unter anderem daran, dass es politische Massenorganisationen für Kinder und Jugendliche gibt. Die Freizeit der Kinder ideologisch aufzuladen ist wichtig, schließlich ist ein Elternhaus nicht immer linientreu und der Schulunterricht nicht immer beliebt. Aber Spielnachmittage, Theatergruppen, Abenteuerfahrten und dergleichen machen Kindern Spaß, und Ehrungen, Rangabzeichen, Aufmärsche und wehende Fahnen geben ihnen das Gefühl, wichtig zu sein und einer strahlenden Zukunft entgegenzustreben. Seid bereit – immer bereit!
Das war die Losung der "Pionierorganisation Ernst Thälmann", die alle Schüler und Schülerinnen der DDR bis zur siebten Klasse umfasste – und uniformierte. "Mein Stolz ist mein Halstuch, das blaue, schaut her. Ich halt es in Ehren, es kleidet mich sehr", deklamierten schon die Kleinsten. Weiße Hemden, blaue Röcke oder Hosen, blaues Käppi gehörten seit dem Schuleintritt in jeden Kleiderschrank. Blaues Halstuch bis zur vierten Klasse, rotes Halstuch bis zur siebten, dann Eintritt in die FDJ, die Freie Deutsche Jugend: Das war der vorgezeichnete, offiziell freiwillige Weg. Wer ihn nicht mitging, bekam später Probleme bei der Berufswahl.
Kinder für die Politik
Für besonders engagierte und leistungsstarke Kinder hielt das System Belohnungen bereit. Die größte Auszeichnung war ein wochenlanger Aufenthalt in einem Pionierlager am Werbellinsee in der Mark Brandenburg.
Parteinachwuchs
Dieses Pionierlager wurde am 16. Juli 1952 durch den damaligen Präsidenten der DDR eingeweiht und später auch nach ihm benannt: Pionierrepublik Wilhelm Pieck.
Man sparte dort nicht an Betreuern und ließ sich auch die Ausstattung einiges kosten, schließlich sollten die Kinder und auch die jungen Gäste aus dem Ausland den "sozialistischen Klassenstandpunkt" unter den allerkomfortabelsten Bedingungen kennen lernen und später dann möglicherweise in die Funktionärsarbeit hineinwachsen.
Die Eliteförderung in dieser "Kinderrepublik" brachte die Kinder ideologisch auf Trab, bot aber auch Zeit zum Spielen, besseres Essen als daheim inklusive Pfirsiche und Bananen, Badetage am Strand und sogar einen Fernseher. Die "Aktuelle Kamera", das propagandistische Nachrichtenformat der DDR, verpasste man besser nicht, denn die Inhalte musste man am nächsten Tag beim Appell ordentlich hersagen können.
Man sang auch recht viel: neue sozialistische Heimatlieder zum Beispiel, die die alten aus der NS-Zeit ersetzten. "Und wir lieben die Heimat, die schöne", hieß es da zum Beispiel. "Und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört. Weil sie unserem Volke gehört."
Doch in der Realität musste sich das Volk mit immer mehr verschmutzter Luft und vergifteten Gewässern abfinden. Auch daran erkennt man eine Diktatur: Zwischen Ideologie und Wirklichkeit klafft ein Abgrund, und die konfliktbereinigte ideale Zukunft lässt ewig auf sich warten. Nach der Wiedervereinigung fanden vor allem Kinder aus den besonders belasteten Industriegebieten der Ex-DDR in der ehemaligen Kinderrepublik Aufnahme. Sie hieß ab dann "Europäische Jugenderholungs- und Begegnungsstätte".