7. Juni 1692 Zerstörung von Port Royal
War es der Fluch der Karibik? Der Zorn Gottes?1692 wurde der berüchtigte Hafen englischer Freibeuter, die sogenannte "sündigste Stadt der Welt" durch ein gewaltiges Erdbeben und den nachfolgenden Tsunami vollständig zerstört und versank zum größten Teil im Meer und im so entstandenen Treibsand. Autorin: Ulrike Rückert
07. Juni
Mittwoch, 07. Juni 2023
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Redaktion: Frank Halbach
"Misthaufen des Universums" und "sündigste Stadt der Welt" nannten es die einen, andere schwärmten von der Perle der englischen Kolonien, wo es alle guten Dinge im Überfluss gab: Port Royaluf Jamaika, berüchtigtes Piratennest und blühende Handelsstadt.
Hohe Ziegel- und Fachwerkhäuser krallten sich auf die Spitze der langen, schmalen Landzunge vor der Bucht von Kingston, als hätte man ein Stück von London auf diese karibische Sandbank versetzt. Siebentausend Menschen lebten hier, dazu die Matrosen der Schiffe aus Europa und Nordamerika, die immer zu Dutzenden im Hafen lagen.
"Trinkt aus Piraten Yo-ho!"
Plünderei, Schmuggel und Schwarzhandel hatten Port Royal reich gemacht. Von hier liefen die Freibeuter aus, die maritimen Söldner in Englands Kriegen gegen Spanien, Frankreich oder die Niederlande, und hierhin brachten sie die Beute ihrer Überfälle auf Schiffe und Häfen. Von hier aus machte Henry Morgan seine spektakulären Raubzüge. Die Kaufleute von Port Royal trieben höchst lukrative, aber verbotene Geschäfte mit Kuba, Hispaniola und dem Festland. Legal war der Verkauf von Sklaven in die spanischen Kolonien, und die Schiffe der Menschenhändler brachten jedes Jahr tausende Afrikaner nach Port Royal.
Der Zorn Gottes
Pfarrer Emmanuel Heath beklagte die Verworfenheit von Huren und Piraten, aber am Gewerbe des Sklavenhändlers Walter Ruding störte er sich nicht. In dessen prächtiges Haus am Hafen war eram 7. Juni 1692 zum Mittagessen geladen.
Vorher trank er noch ein Glas Wermutwein mit einem Freund in einer Taverne, gleich neben seiner Kirche. Plötzlich schwankte der Boden unter ihm. "Ein Erdbeben", sagte der Freund gleichmütig, "seid unbesorgt, das ist gleich vorbei."
Sekunden später stürzte seine Kirche ein. In den Straßen taten sich Risse auf, aus denen Wasser in hohen Fontänen herausschoss. Heath rannte um sein Leben. Die Erde unter ihm wogte wie das Meer im Sturm, rechts und links brachen Häuser zusammen. Von der Seeseite her überschwemmte eine Flutwelle die Stadt.
Die Landzunge bestand aus Korallenriffen, an denen sich Sand abgelagert hatte. Unter den gewaltigen Erdstößen verwandelte er sich in flüssigen Brei. Am Hafen sackten die Kais und die ganze Straßenzeile mit dem Haus von Walter Ruding zehn Meter tief ab, dann auch noch die zwei Gassen dahinter. Als die Schockwellen aufhörten, verfestigte sich der Sand wieder. Pfarrer Heath sah Menschen bis zum Hals darin gefangen, sie erstickten mit zerquetschter Brust.
In wenigen Minuten war das glitzernde Sündenbabel zerstört. Zwei Drittel der Stadt lagen im Meer, an die zweitausend Menschen waren umgekommen.
Die Überlebenden kampierten auf der anderen Seite der Bucht, auf festem Land. Aber bald wütete hier ein Fieber noch schlimmer als das Erdbeben, und sie flohen zurück auf die Reste der Sandbank. Hier bauten sie Port Royal auch wieder auf. In den nächsten dreißig Jahren brannte es einmal vollständig nieder und wurde zweimal von Hurrikans schwer verwüstet. Die Kaufleute zogen über die Bucht nach Kingston, und die Piraten endeten einer nach dem anderen am Galgen. Die Ära von Sodom in der Karibik war vorbei.