Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23. Juni 2006 Riesenschildkröte Harriet stirbt

Hätte wir ihre Sprache verstehen können, wäre Harriet eine gefragte Zeitzeugin gewesen. Mit Charles Darwin kam sie von den Galapagos Inseln nach London und lebte dann über 100 Jahre in Australien zur Zeit der Sträflingskolonien. Als sie mit 176 Jahren starb war sie trotzdem berühmt. Autorin: Anja Mösing

Stand: 23.06.2022 12:00 Uhr | Archiv

23.06.2006: Riesenschildkröte Harriet stirbt

23 Juni

Donnerstag, 23. Juni 2022

Autor(in): Frank Halbach

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Harriet wäre so eine großartige Zeugin gewesen! Umwerfend! So ruhig und besonnen und mit so viel Erfahrung! Schon als ganz junges Ding, damals auf der Insel: Eine Vulkaninsel, praktisch direkt auf dem Äquator - schon von dort hätte Harriet uns allerhand erzählen können:

Geschenkt, selbst gesammelt oder ... ?

Zum Beispiel, ob es wirklich der junge Charles Darwin war, der sie selbst eingesammelt hat? Oder, ob sie dem jungen, noch komplett unbekannten Naturforscher damals als Geschenk überreicht wurde. So hat man sehr viel später behauptet. Aber: Ob nun geschenkt oder selbst gesammelt? Braucht‘s dafür Zeugenaussagen? Naja ... Forscher haben rund 150 Jahre später anhand von Gentests herausgefunden, dass Harriet wirklich auf einer Galapagos-Insel geboren wurde, nur leider auf keiner, die Charles Darwin jemals während seiner Expedition betreten hätte. Seltsam.

Der Legende nach hat Darwin die Kleine jedenfalls im Jahr 1835 von einem Inselbesuch mit an Bord der Beagle gebracht. Zusammen mit zwei weiteren Riesenschildkröten, die er Dick und Tom nannte. Nicht als Verpflegung für die Mannschaft! Nein, dafür waren die drei noch zu klein, fast noch Babys, jede kaum größer als ein Suppenteller. Für Charles Darwin waren die drei Galapagos-Schildkröten Vertreter exotischer Arten, wie so vieles, was er auf seiner fünfjährigen Expedition rund um die Welt mit auf das Vermessungsschiff seiner Majestät brachte.

Zu schön wäre es auch, wenn Harriet verraten könnte, ob der junge Darwin sie später, zurück in London, tatsächlich zusammen mit Dick und Tom, als Beweis für seine Theorie zur Entstehung der Arten heranziehen wollte.
Und ob er wirklich nur auf die Galapagos-Finken umschwenkte, weil Riesenschildkröten einfach zu langsam wachsen und Jahrzehnte brauchen, um ihre artspezifischen Merkmale zu entwickeln.
Verdammt interessant wäre auch, zu erfahren, was Harriet beobachten konnte, als sie wieder aus England abreiste. 13 Jahre alt war sie da schon. Darwin hatte die drei Schildkröten dem ehemaligen Oberstleutnant der Beagle mit nach Australien gegeben. Wegen des wärmeren Klimas dort unten. John Clements Wickham hatte seinen Dienst bei der Royal Navy nach jahrelangen Expeditions-Strapazen gerade quittiert. Er reiste als frisch gebackener Polizeirichter in die neue britische Sträflingskolonie am anderen Ende der Welt.

Transgender-Turtle

Im Haus des Richters wuchs Harriett zwischen vielen Kindern zu einer prächtigen Riesenschildkröte heran. Verwandelt in einen Tisch, hätten fünf Menschen an ihr Platz gehabt. Als sie 30 Jahre alt war und Wickham schon ein alter Mann, machte er sie zusammen mit Dick und Tom dem Botanischen Garten von Brisbane zum Geschenk, wo sie von britischen Sträflingen betreut wurden.

Erst als Australien längst keine Strafkolonie mehr war und Darwin und Wickham lange begraben, fand ein Zooleiter aus Honolulu bei einem Besuch heraus, dass die inzwischen hochbetagte Riesenschildkröte ein Weibchen ist. Aus Harry wurde endlich Harriet. Als sie am 23. Juni 2006 nachts an Herzversagen starb war Harriet 176 Jahre alt und längst berühmt.


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