Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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31. Mai 1873 Schatz des Priamos entdeckt

Heinrich Schliemann poliert am eigenen Image, bis ihn die Welt für einen Star-Archäologen. Das ist er nicht unbedingt. Der sogenannte Schatz von Priamos, den er birgt, hat mit Homers Ilias nichts zu tun. Auch wie und ob Schliemann da was genau ausgegraben hat, ist fraglich. Autor: Sebastian Kirschner

Stand: 31.05.2024 | Archiv

31.05.1873: Schatz des Priamos entdeckt

31 Mai

Freitag, 31. Mai 2024

Autor(in): Sebastian Kirschner

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der eine nimmt sie für bare Münze, für den anderen ist es nicht mehr als eine erfundene Geschichte: Die Legende. Etwas, das behauptet wird, aber nicht wahr ist. Eine ausgeschmückte Erzählung, die bestenfalls einen wahren Kern besitzt. Dabei ist die Legende sooo nützlich.

Der Täter etwa braucht sie oft zur Tarnung, um sich irgendwo einzuschleichen. Das Opfer dagegen nutzt die Legende häufig, um sich eine bittere Wahrheit schön zu reden. Und meist verschwimmt die Grenze zwischen beiden. Etwa wenn wir für einen Job unseren Lebenslauf eine Spur geradliniger gestalten, als er ist. Oder wenn man seine schwere Kindheit so mit Fantasie-Erinnerungen verdrängt, bis man am Ende selbst daran glaubt.
Wie bei Heinrich Schliemann, berühmt als Pionier der Archäologie. Legendär, weil er Homers Legende um das antike Troja wörtlich genommen hat, um es im Nordwesten der Türkei auszugraben. Legendär, wie er dort dann den sogenannten Schatz des Priamos entdeckt. Und legendär, wie er damit die Legende um sich selbst geschaffen hat. Aber von vorne.

Am Image bauen

Schon in seiner Kindheit in Mecklenburg habe es ihn zur Archäologie gezogen, schreibt Schliemann später. Mit sieben habe sein lieber Vater ihm zu Weihnachten eine Weltgeschichte für Kinder geschenkt. Da wusste er, er wolle das Troja aus Homers Ilias finden. Tatsache ist: Heinrichs Kindheit ist hart, sein Vater ein liederlicher Pfarrer, der trinkt und das Geld verprasst.
Nach kaum drei Monaten muss Heinrich das Gymnasium verlassen, weil der Vater das Schulgeld nicht mehr bezahlen kann. Mit 14 beginnt Heinrich eine Kaufmannslehre, träumt, nach Venezuela auszuwandern - und kommt gerade mal nach Amsterdam. Arbeitet für ein Handelshaus, lernt über ein Dutzend Fremdsprachen und steigt schnell auf.
Verdient als Kaufmann in Russland und Amerika ein Vermögen. Ein Selfmademan, der mit Anfang 30 Millionär ist - und dann eine Midlife Crisis hat.

Geld macht nicht glücklich

Alles erreicht, Ehe gescheitert, auf der Suche nach einem neuen Sinn. So gerät Schliemann in die noch junge Archäologie. Finanziell unabhängig verfolgt er die fixe Idee, Troja zu finden. Treibt in einen antiken Hügel gewaltige Suchgräben, die heutige Forscher fassungslos machen. Und ist bereits 51, als es zum Fund seines Lebens kommt. Am 31. Mai 1873 stößt Schliemann in etwa acht Metern Tiefe auf Schmuck und Geschirr aus Gold und Silber, am Ende 8000 Gegenstände.

Legendär könnte man sagen. Auch, weil Schliemann es mit der Wahrheit nie so genau nimmt. Eine offizielle Grabungserlaubnis hat er lange nicht. Und tatsächlich gibt es keinen Zeugen dafür, dass er die Pretiosen findet und birgt. Seine jetzige Frau Sophia habe ihm heldenhaft geholfen, alles in ihren Schal gewickelt, um es vor der Habgier der Arbeiter zu retten. Doch die weilt zu der Zeit bei ihrem Vater in Athen, stellt sich heraus. Schliemann schmuggelt den Schatz außer Landes. Er sucht die Medien, schreibt gezielt Zeitungen an, um sich und seine Arbeit zu pushen. Lanciert die Legende um das Weihnachtsgeschenk seines lieben Vaters, bis er vielleicht sogar selbst daran glaubt.

Legendär ist übrigens auch, was Schliemann verkennt und zeit seines Lebens nicht hören will: Mit König Priamos aus Homers Ilias hat sein Schatz gar nichts zu tun. Dafür ist er 1000 Jahre zu alt.


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