Kalenderblatt Tower Subway in London eröffnet
1869/70 konstruierte der Ingenieur James Greathead im Stadtzentrum von London einen Tunnel unter der Themse: sie Tower Subway. In diesem Tunnel verkehrten Wagen zum Personentransport. Damit war die Tower Subway die erste U-Bahn der Welt, die in einer tiefliegenden Röhre erbaut wurde. Autorin: Julia Devlin
02. August
Freitag, 02. August 2024
Autor(in): Julia Devlin
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Frank Halbach
Es war einmal eine Königin, die saß sehr lange auf ihrem Thron. Denn sie war schon als sehr junge Frau Königin geworden. Die Regierungszeit dieser Königin sah rasanten wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt. So wurde zum Beispiel mit dem Bau der U-Bahn in der Hauptstadt begonnen.
Unter der Themse durch
Man nennt diese lange Zeit gerne nach der Königin: die viktorianische Epoche. Und assoziiert sie hierzulande eher nicht mit technischem Fortschritt, sondern mit moralischem Stillstand, vielleicht den vielen Filmen geschuldet, in denen eine übellaunige, übergewichtige und in pompöse schwarze Kleider gewandete Viktoria ihre Dienstboten schikaniert. In England hingegen gilt diese Epoche als vorwärtsblickend und dynamisch. Man traute sich alles zu, und man probierte vieles, und einiges funktionierte auch tatsächlich. Naja, mehr oder weniger. Zum Beispiel, der bereits erwähnte U-Bahn-Bau. In den späten 1860er Jahren wollte man einen Tunnel unter der Themse bauen, um die überfüllte London Bridge zu entlasten. Der 24jährige Ingenieur James Greathead war der einzige, der sich den Job zutraute. Er hatte eine Methode erfunden, mit der man einen Schild unter der Erde vorwärtstreiben konnte, zwei Meter an einem Tag. Innerhalb eines Jahres war der Tunnel fertig, und der Tower Subway wurde am 2. August 1870 eröffnet. Tower Subway, weil sein nördlicher Ausgang neben dem Tower of London lag.
Brücke statt Tunnel
Aber dann zeigten sich die Grenzen: Obwohl technisch eine Glanzleistung, war dem Tower Subway kein kommerzieller Erfolg beschieden. Der kleine Waggon, der, an einem Stahlkabel gezogen, zwischen Nord- und Südufer pendelte, konnte nur 12 Passagiere befördern, war störanfällig, und es gab sogar einen tödlichen Unfall. Der Bahnverkehr wurde daher noch im Jahr der Eröffnung eingestellt, die Röhre als Fußgängertunnel freigegeben. Für einen halfpenny konnte man die Unterführung nutzen. Doch Tower Subway war nicht beliebt. Ein italienischer Tourist beschrieb ihn wie einen Dickdarm im gewaltigen Bauch des Flusses. Ein Journalist jammerte, dass er zwar an die technische Sicherheit des Bauwerks glaube, doch erinnerte ihn das Tropfen von der Decke unangenehm daran, dass sich Tonnen über Tonnen von Wasser über seinem Kopf befänden.
Sobald die nächste technische Meisterleistung in direkter Nachbarschaft fertig gestellt war, die Tower Bridge, war das Ende des Fußgängertunnels gekommen. Warum einen halfpenny bezahlen, um sich in eine dampfige, dunkle Unterwelt zu begeben, wenn man umsonst auf der majestätischen Brücke die Themse überqueren konnte? Und so wurde Tower Subway 1897 verkauft. Heute, mehr als hundertfünfzig Jahre nach der Erbauung, gibt es den Tunnel immer noch. Er beherbergt nun Kabel für Telekommunikation und Wasserleitungen. Doch seine Existenz ist weitgehend vergessen. Schade eigentlich, war er doch die erste U-Bahn der Welt, wenn sie auch nur wenige Wochen existierte.