Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Casper, Die Quittung und G.Rag y los Hermanos Patchekos
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit neuen Alben von u. a. Casper, Die Quittung, Vorwärts Rückwärts, Hyperculte, Guided by Voices, CULK, André 3000, Last Nubian & Fruity Brunch und G.Rag y los Hermanos Patchekos
Casper - nur liebe, immer
“nur liebe, immer”, so heißt das neue, sechste Album von Indie-Rapper Casper. Der Deutsch-Amerikaner, bürgerlicher Name Benjamin Griffey, ist seit Jahren ein sicherer Kandidat für Platz 1 der deutschen Charts. Ob ihm das mit seinem neuen Album wieder gelingt? Das letzte Album “Alles war schön und nichts tat weh” aus dem vergangenen Jahr war in vielerlei Hinsicht episch: mit namhaften Gästen von Felix Brummer bis Haiyti, mit tiefgründigen Texten über Depression, Selbstmord und toxische Beziehungen. Mit Energie geladenem Sound und dieser Casper-haftigen Vehemenz in seinem Vortrag, die man mögen muss. Auf dem neuen Album jetzt ist dagegen alles ein bis zwei Nummern weniger groß und weniger dramatisch und sehr viel gelassener, was Casper gut steht, wie ich finde. Er ist weiterhin selbstreflektiv in den Texten, wo es um seinen Erfolg geht, die Zeit, die dahin rennt, die mentale Gesundheit und die Sehnsucht nach Sommer. Auch im übertragenen Sinne, besungen zusammen mit dem einzigen Gast auf dem Album, dem Sänger und Rapper Cro. Das Album sei ein Mixtape, das im Prozess zum Album geworden sei, sagt Casper selbst. “Ganz ohne überbordendes Gesamtkonzept oder irgendein sonstiges Ziel loslaufen und schauen, wo man ankommt.“ Manchmal ist weniger mehr. (7,2 Punkte)
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Casper - sowas von da (hellwach) (Official Video)
Die Quittung - Einfrieren
Der Leipziger Musiker Josen Bach verdient sein Geld eigentlich vor allem als Schlagzeuger für andere Bands wie Käptn Peng und als Theatermusiker. Sein eigenes Projekt nennt er Die Quittung. Morgen erscheint das zweite Album “Eintauchen”. Und zwar auf dem Berliner Staatsakt-Label, das laut Pressetext natürlich alles dafür tun wird, Die Quittung so breit wie möglich im Mainstream zu etablieren! Ja, genau. Bei der Musik hier nichts leichter als das!
Der Song „Reden“ kommt ganz schön funky daher unter dem Sprechgesang von Josen Bach alias Die Quittung. Die Texte auf seinem neuen Album bestehen oft aus Slogans, die manchmal treffend sind, manchmal eher wie rätselhafte, absurde Assoziationsketten klingen, denen man aber sehr amüsiert folgt. Hier ist einer am Werk, der ironisch und selbstironisch auf den Zeitgeist guckt. Wie’s an einer Stelle heißt: “Den schönen gestrafften Gewinnertyp haben die Leute so richtig lieb/ das schlaffe, entspannte Verlierermodell, siehst du nicht so schnell.” Ich glaub, man merkt, zu welchem Modell sich Die Quittung selbst eher zählt. Die meisten Songs sind nicht so funky wie “Reden”, sondern gehen eher in Richtung Rio-Reiser-Gedächtnis-Rock auf dem Klavier. Nicht jeder Song zündet zu hundert Prozent, aber das Album ist definitiv ein Hinhörer. (7,5 Punkte)
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Die Quittung - Einfrieren
G.Rag y los Hermanos Patchekos - Esperanza
“Esperanza”, spanisch für Hoffnung, heißt das zehnte Album von G.Rag y los Hermanos Patchekos, des selbsternannten „Mediterranean Caribbean Trash Folk Space Arkestra“ aus München. So unerschrocken wie uns auf dem Albumcover ein Kind die Zunge rausstreckt, so unerschrocken würfelt diese Gruppe seit 1999 alles ineinander, was das Herz aufgehen lässt: von Cumbia über Folk, Jazz, Latin bis Punk. Live zu sehen, eh immer super. Aber man hört und spürt auch auf Platte sehr schön, was für eine Truppe da beteiligt ist! G.Rag y los Hermanos Patchekos haben vier Percussionisten und einen Kontrabass, drei Trompeten, Bariton Saxophon/Klarinette, drei Gitarren, ein Akkordeon, einen Crooner und drei Sänger. Letztere kommen zum Beispiel zum Einsatz, wenn der Song “Gut Feeling” von Devo gecovert wird. Das zackige Original klingt hier, als würde es auf den Straßen eines lateinamerikanischen Dorfes gespielt werden. Die US-New Waver Devo stehen übrigens Pate für das hauseigene Label der Band Gut Feeling oder auch Gut Feeling Records. Auf dem neuen Album werden auch Songs von The Byrds und dem britischen Songwriter Bill Fay gecovert, in Mambo verpackt oder an anderer Stelle Cumbia gefeiert. Man kann sich schon auf die nächsten zehn Alben freuen. (8 Punkte)
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G.Rag y los Hermanos Patchekos - Life in Distance
Vorwärts Rückwärts - Unsere Stadt
Damit nach München, in die Weltstadt mit Herz, wo sich am Wochenende auf dem Viktualienmarkt neben den Touris die jungen Gutverdiener treffen, um ihre neuen, teuren Sneaker spazieren zu führen, in der einen Hand die Flasche Weißwein, an der anderen Hand der süße Dackel - kleine Beobachtung meinerseits aus der letzten Zeit. Hier kommt eine Band her, die sagt: Unsere Stadt hat uns nicht mehr verdient! Wir haben diese Stadt satt! So beginnt das erste Album der Post-Punk/Noise-Rock Band Vorwärts Rückwärts. Und da folgen noch so einige Wutausbrüche. Eigentlich, sagt die Band, sei es ja mindestens ihr viertes Debütalbum. Aber jetzt offenbar das erste Veröffentlichte. Und zwar auf dem Label Kommando-84, das nach dem Motto verfährt, „der Vernunft eine Pause zu gönnen, den Mittelweg zu verweigern, dem Scheitern eine Chance zu geben”. Ganz ähnlich tickt auch die Band Vorwärts Rückwärts, wenn man sich die Songs so anhört – Labelmacher Michael Heilrath spielt schließlich auch mit in der Band. Sie klingt schön auf Krawall gebürstet und im besten Sinne unzufrieden mit der Gesamtsituation. Man merkt, dass hier ein paar Musiker am Werk sind, denen ihr Dampfablassen und Lautsein im Proberaum überlebenswichtig ist. Schön, dass sie in dieser teuren Stadt überhaupt einen Proberaum haben! Und schön, dass sie uns dran teilhaben lassen. Live zu sehen sind Vorwärts Rückwärts am Wochenende 14./15. Dezember in der Münchner Milla beim gemeinsamen Label-Abend von Kommando-84 und Schaufel+Besen. (7,5 Punkte)
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Vorwärts Rückwärts - Unsere Stadt
André 3000 – New Blue Sun
Völlig mit Erwartungen gebrochen hat Rapper: André 3000. Man kennt ihn als Teil des schwer erfolgreichen Rap-Duos OutKast und von Hits wie “Ms. Jackson” und “Hey Ya!”. 17 Jahre nach dem letzten OutKast-Album hat er jetzt, mit 48, überraschend sein Solo-Debüt veröffentlicht. Ein Flöten-Album. “New Blue Sun”. Die langen, schrägen Songtitel sind mit das Beste an dem neuen Album. Das erste Stück sagt eigentlich schon alles, was man wissen muss. Es heißt: “I Swear, I Really Wanted to Make a Rap Album But This Is Literally the Way the Wind Blew Me This Time”. Also er wollte ja wirklich ein Rap-Album machen, aber der Wind hätte ihn halt hierhin getrieben: unüberhörbar mitten hinein in ein musikalisches New Age Universum, in das er durch seinen Umzug nach Los Angeles geraten ist. Hier ist die Dichte hoch an Musiker:innen, die sich im Spannungsfeld zwischen Ambient, Experimental, Jazz und eben New Age bewegen. Zentrale Figur ist der Percussionist und Produzent Carlos Niño, die Jazzfans kennen ihn vom Label International Anthem. André 3000 hat ihn in einem teuren Hipster-Geschäft für gesundes Essen und Wellness getroffen. Danach hat er regelmäßig mit seinen Flöten bei Niño vorbeigeschaut, man hat mit anderen Gleichgesinnten gejammt und aus diesen Jams ist jetzt das Album entstanden. André 3000 taucht in diesen spacigen Soundscapes mit seinen diversen Flöten immer mal wieder auf, dann wieder ab. Das ist beim ersten Mal Anhören etwas spannender als bei den folgenden Malen, aber ziemlich wohltuend für die Ohren. Auch schön: dieses Flöten-Album war sogar schon Thema in Late-Night Comedy Shows in den USA, wo sich ganz unterhaltsam darüber lustig gemacht wurde. (7,8 Punkte)
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Andre 3000 Drops Highly Anticipated Album | The Daily Show
CULK – Generation Maximum
“Willkommen in der Hedonie” – mit dem Song beginnt das neue, dritte Album der Wiener Band CULK, schon letzte Woche erschienen. Sängerin und Texterin Sophie Löw bewegt sich wie immer auf der Gemüts-Skala zwischen Lethargie und Schwermut. Vielleicht ist genau das der Ausdruck von Hedonie und Lust in einer Welt, die gefühlt - oder real - immer mehr am Abgrund steht. “The happy end is near /when the end is near”, singt sie dann auch an einer Stelle. Der Glaube an den Untergang schwelt auf dem gesamten Album. Aber so wie einen traurige Musik glücklich macht, kann einem auch trostlose Musik Trost geben. Und Spuren von Hoffnung finden sich dann doch, z.B. wenn an anderer Stelle eine “neue Ode an die Freude” gesucht wird. Vom Sound her klangen CULK in der Vergangenheit schon mal spröder. Hier wiegt man sich gerne in den langsamen Dreampop-Passagen (“Flutlicht”) oder lässt sich mitreißen in hymnischen Refrains, die aber durch atonale Gitarrenläufe nie ihr leichtes Unbehagen verlieren.
“Stärke zeigt, wer Narben teilt” singen CULK auf “Eisenkleid”, ein irgendwie passend unpassender, märchenhafter Titel für diesen noisigen Gitarren-Rock. “Generation Maximum” heißt das neue tolle Album von CULK. Live zu sehen sind die Österreicher am 6.12. in Nürnberg (Z-Bau), 8.12. in Augsburg (Soho-Stage) und dann am 2.2. in München Milla. (8 Punkte)
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CULK - Eisenkleid (official music video)
Hyperculte – La Pangée
Genf ist nicht nur dafür bekannt, dass dort der europäische Hauptsitz der UNO ist, neben hunderten von NGOs und diplomatischen Vertretungen. Es muss auch eine sehr rege DIY-Szene geben. Aus der stammt nämlich die Band Hyperculte. Ihr Slogan lautet - passend in einer der teuersten Städte der Welt - “Geld ist böse und Kunst wird uns alle retten.” So hört sich ihre Musik auch an. „Jamais Trop“ ist dabei noch einer der freundlicheren Songs auf dem neuen Album. Aber trotz der beklemmenden Stimmung in ihrem experimentellen Rock: die Kuhglocken und der Disco-Einschlag in vielen Songs sorgen für einen Sog, der schon Laune macht. Vielleicht manchmal eine etwas gruselige Laune - z.B. auf dem Song “Les Pierres”, auf dem Sängerin Simone Aubert auf Lateinisch singt. Das Album heißt La Pangée. Auf deutsch: Pangäa - so wie der große, zusammenhängende Urkontinent der Erde, in der Zeit vor dem Jura. Eine Zeit, als es noch keine Menschen gab und erst recht keinen Kapitalismus und menschengemachten Klimawandel. Also all das, woran sich Hyperculte abarbeiten. Und zwar ganz schön catchy trotz teils verstörendem Sound. (7,8 Punkte)
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Se perdre
Guided By Voices – Nowhere To Go But Up
Die unermüdlichen Indie-Veteranen Guided By Voices aus Dayton, Ohio gibt es jetzt seit 40 Jahren. Jetzt bringen sie ihr drittes Album in diesem Jahr raus. Und das 39. Album insgesamt ihrer Bandgeschichte. “Nowhere To Go But Up” heißt es. Und so Energie geladen und hymnisch sie hier klingen zwischen den verzerrten Gitarren, glaubt man ihnen das sofort, dass es für sie nur noch nach oben gehen kann. (7,9 Punkte)
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Guided By Voices - For The Home
Last Nubian & Sweet Fruity Brunch – Babylon Shuffle EP
Bei dieser EP gibt es zufällig auch eine Genf-Connection. Der Produzent Sweet Fruity Brunch kommt ursprünglich aus Genf, lebt mittlerweile aber in Berlin. Und er hat sich mit dem Londoner Produzenten Last Nubian zusammengetan. Die gemeinsame EP heißt “Babylon Shuffle“.
Last Nubian und Sweet Fruity Brunch teilen die Liebe zu House, Disco, Funk, Jazz und Broken Beat, ein elektronisches Genre, für das synkopierte Beats charakteristisch sind. Von Sweet Fruity Brunch kommt hier das flinke, jazzige Klavierspiel. Von Last Nubian die dubbigen Untertöne auf der EP “Babylon Shuffle”. Ein kurzweiliges Vergnügen, das Lust auf mehr macht von den beiden. Es ist ihre erste Veröffentlichung auf Touching Bass, das ist eine Mischung aus Label, kuratierter Plattform, Radiosendung und Veranstaltungsreihe in Südlondon. (7,8 Punkte)
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in da morning/shaka (feat. Achanté)
Light in the Attic & Friends Compilation
Das Label Light in the Attic, gegründet vor gut 20 Jahren an der Westküste der USA, in Seattle, ist spezialisiert auf Reissues, also Wiederveröffentlichungen. Die haben schon auf Vinyl gesetzt, als der Vinyl-Hype der letzten Jahre noch weit weg war. Zum Black Friday Record Store Day erscheint jetzt eine besondere Compilation. Künstler:innen von Angel Olsen über Mac Demarco bis zu Mark Lanegan covern Songs, die in den letzten Jahren durch das Light in the Attic-Label wieder hochgetaucht wurden. Zum Beispiel covert der mittlerweile verstorbene Soul-Sänger Charles Bradley den Song „I’ll Slip Away“ von Sixto Rodriguez. Charles Bradley ist spät zu Ruhm gekommen, mit 63 hat er sein erstes Album veröffentlicht, mit 68 ist er an Krebs gestorben, das war 2017. Einige Jahre zuvor hat er noch die Bühne geteilt mit dem ebenfalls spät wiederentdeckten Sixto “Sugarman” Rodriguez. Noch bevor die Welt Rodriguez durch den Film “Searching for Sugarman” entdeckt hat, hatte das Label Light in the Attic schon seine alten Alben ausgegraben und auf Vinyl wiederveröffentlicht. „I’ll Slip Away“ ist nur eine der vielen tollen Coverversionen auf der neuen Label-Compilation “Light in the Attic & Friends”.
Hinter den Covern stecken oft berührende Geschichten. Die 81-jährige Soul-Sängerin und Blues-Gitarristin Barbara Lynn aus Texas covert die längst vergessene Gospel-Gruppe The Supreme Jubilees. Schauspieler Ethan Hawke covert mit seiner Tochter Maya einen der unbekannteren Willie Nelson Songs, der aber seit den 90ern immer bei den Hawkes zuhause lief. Und nachdem Light in the Attic auch den gewaltigen Back-Katalog von Psychedelic Cowboy Lee Hazlewood wieder veröffentlicht hat, findet auch der sich auf der Compilation. Die Band Gold Leaves interpretiert warm und mit Pedal Steel Gitarre den Song “Won’t You Tell your Dreams”. Danke an das Light in the Attic Label in Seattle, kann ich hier nur sagen, für die vielen musikalischen Schätze, denen es über die Jahre zu neuem Leben verholfen hat, hier mit Hilfe von Coverversionen. Die Compilation erscheint zum Record Store Day limitiert auf Vinyl. Aber es gibt sie auch digital z.B. auf Bandcamp. (8,5 Punkte)
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Mary Lattimore - Blink (from Light in the Attic & Friends)