Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von The Smile, Caribou und G. Rag & die Landlergschwister
Welche relevanten Platten erscheinen morgen, was sollte man sich davon nicht entgehen lassen und worauf kann man vielleicht auch besser verzichten. Darum geht’s in unserem wöchentlichen Neuheiten-Check. Diese Woche mit The Smile, OneDa, Cumgirl8, Hard Quartet, Caribou, Geordie Greep , G. Rag & die Landlergschwister, fastmusic, Jesper Munk, PeterLicht und Dawn Richard & Spencer Zahn.
The Smile – Cutouts
Die Deutschlandkonzerte in Frankfurt und München mussten im August noch abgesagt werden, weil Jonny Greenwood auf der Intensivstation lag, jetzt, gut erholt, erscheint schon das zweite The Smile-Album innerhalb eines Jahres. Offensichtlich ist der Output des Radiohead-Ablegers mit Greenwood, Thom Yorke und Drummer Tom Skinner exorbitant hoch. "Cutouts" folgt auf das im Januar erschienene "Wall Of Eyes". Die Songs für "Cutouts" stammen aus der gleichen Session und wurden unter anderem in den Abbey Road Studios aufgenommen. Wie der Albumname "Cutouts" – Ausschnitte – schon andeutet, haben wir es mit einer Art B-Seiten-Sammlung zu tun, die sich aber nicht wie ein solche anfühlt. Es ist wirklich beeindruckend, wie die mal treibenden, mal mäandernden Jazz-Drums die beiden Radioheads inspirieren. Ich hatte vor zwei Jahren, zum Debüt von The Smile, schon prophezeit, dass die Spannung innerhalb des neuen Trios die letzten Werke der Hauptband überflügelt. Zwei Jahre später ist das sogar bei einer B-Seiten-Sammlung der Fall. (7,3 von 10 Punkten)
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The Smile - Foreign Spies (Official Music Video)
Geordie Greep – The New Sound
Es ist kein Zufall, dass jemand, der in seiner Band das "Wir können alles"-Gefühl sehr geschätzt hat, jetzt ein Soloalbum vorlegt: die Rede ist von Geordie Greep, ehemals Frontmann von black midi, die sich getrennt haben. black midi waren für mich eine der spannendsten Bands der letzten Jahre von der Insel. Warum? Weil der Leitspruch "The sky is the limit" nicht für diese grenzüberschreitende Band gereicht hat, bei dem Sound hieß es "The universe is the limit". Und so geht auch solo bei Geordie Greep weiter. Er kann alles. In Zahlen heißt das: 30 Studiomusiker auf zwei Kontinenten waren an den Songs für "The New Sound" beteiligt. Wenn es sich auf dem Kontinent nicht real angefühlt hat, hat man den gleichen Song nochmal auf einem anderen Kontinent eingespielt. Was früher gut war für die Legendenbildung im Pop, nenne ich heute ein Privileg. Aber eines, das sich auszahlt. Thema auf "The New Sound": Verzweiflung, Kontrollverlust – und genau das schwindelt dieses Album uns vor: die absolute Kontrolle über jeden Ton. Genre an Genre wird in den Songs aneinandergereiht und zwar so, dass es stets organisch klingt. Ein irrer, treibender Trip. (7,7 von 10 Punkten)
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Geordie Greep - Holy, Holy
OneDa – Formula OneDa
OneDa ist eine aufstrebende, queere HipHop-Drum-n-Bass-Künstlerin aus Manchester. Ihr Debüt nennt sie "Formula OneDa", in Anlehnung an die Formel 1, die die Rapperin eigentlich nie interessiert hat, aber seitdem es nach über 30 Jahren endlich auch eine Plattform für Mädchen und Frauen im Rennsport gibt, fand sie die Metapher sehr passend. Denn OneDa geht’s nur um eines: Empowerment. Das ist der rote Faden auf "Formula OneDa" - ein vielversprechendes, ein pushy Debüt. Aber es gibt auch noch Luft nach oben. (6,9 von 10 Punkten)
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OneDa - 'Let Me In' (Official Video)
Caribou – Honey
Sechs Jahre nach dem letzten Caribou-Album "Suddenly", veröffentlicht Dan Snaith den Nachfolger "Honey". Der Mathematiker Snaith findet darauf wenig überraschend sein Vertrauen zur Künstlichen Intelligenz. Die lässt "Honey" so klingen, als hätte er zig Sänger:innen zu Gast. Tatsächlich überwindet Snaith mit KI die Unsicherheit, die er mit seiner eigenen Stimme hat. Hier erzählt er uns, dass er sich als Kind nicht mal getraut hat, "Happy Birthday" zu singen, so furchtbar fand er seine eigene Stimme.
"The idea of telling myself as a ten year old kid who was too embarrassed to even sing 'Happy Birthday' in a room full of people, that I would end up being a person who's singing on stage in front of big crowds at festivals or wherever - it's just absurd. Like, I would never have believed it, and I would have made me incredibly nervous to think that that was going to be the outcome."
Dan Snaith
Diese Stimme, die sich Caribou Stück für Stück erarbeiten musste, war später auf einem Track, der Grammy-nominiert war. Immerhin. Aber Dan Snaith schwört auf die Möglichkeiten, die die KI seiner limitierten Stimme gibt:
"Being able to use this software, this new technology that takes your voice and transforms it into something else with somebody else's voice or not somebody particular, but like this type of voice, this type of sound, was something completely revelatory for me because I'd be writing a melody and I'd hear it in my voice and I'd be like, Well, it doesn't quite work with this song, but I can't tell whether that's the character of my voice that doesn't fit the song. Is the melody underneath good? And all of a sudden I had this way of like, testing the melody with a different kind of voice. And for me, you know, everything comes out of this whole process. The whole story of me making music comes out of curiosity and like exploring, making music and being excited about there being a new kind of technology or a new kind of sound or something that I haven't heard before, or something that I haven't done before, you know? So this was just completely a revelation"
Dan Snaith
Leider merkt man aber seinem Album "Honey" an, dass wir es hier mit einem groß angelegten Test zu tun haben. Der mag sich für Snaith gut anfühlen, für mich reiht sich "Honey" eher weit hinten ein in der großartigen Caribou-Diskografie. (6,5 von 10 Punkten)
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CARIBOU - Come Find Me
G. Rag & die Landlergschwister – Ins Freie
Die Landlergschwister haben sich 2008 aus der Münchner Band G. Rag & Y Los Hermanos Patchekos gegründet. Seither gab es sechs Alben von G. Rag & seinen Landlergschwistern, der Münchner Blaskapelle, die per Definition überall auf der Welt daheim ist. Das sechste Album heißt "Ins Freie" und bezieht sich auf Oskar Maria Grafs Buch "Wir sind Gefangene". Darin heißt ein Kapitel "Ins Freie". Auf "Ins Freie" werden gecovert: Can, aber auch Feist, Mulatu Astake oder auch The Cure. Bzw. "covern" ist hier das falsche Wort, die Versionen werden aufglandlert, wie man in München sagt. Mitlanderln tun diesmal Micha Acher von The Notwist und Mitglieder von What are People for?. Waren die Vorgänger-Alben schon kleine Münchner Meilensteine, legt G. mit dieser wilden Mischung nochmal einen drauf. Opus Magnum – aufglandlert. Die Landlergschwister sind wie das Oktoberfest: sie bringen die Welt nach München. (8,2 von 10 Punkten)
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G.Rag und die Landlergeschwister
fastmusic – „I want to love, and I love"
Fast Food, Fast Fashion und jetzt fastmusic. Die produziert Bela Hagel in Leipzig. Aufgewachsen ist er in Freiburg, die Mutter Hebamme, der Vater auch Musiker und viel zu früh verstorben. Seine ersten Songs als fastmusic schreibt er auf den Straßen Frankreichs. Sein Stil: Minimal Pop. Beim Hören des Debüts von fastmusic hatte ich schnell den Eindruck: Hier schwimmt sich jemand frei, jemand, der auf der Suche nach sich ist. Im Albumopener beschreibt Bela, wie er in einem Karussell sitzt, er versucht ruhig zu bleiben, aber das Karussell dreht sich ständig weiter. Am stärksten ist fastmusic auf seinem Debüt "I Want To Love, And I Love", wenn er den Soul in seinen Songs sucht. (6,7 von 10 Punkten)
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fastmusic - Dancing in the sun - live
PeterLicht – Alles klar
Ich erinnere mich, dass uns PeterLicht in der Pandemie im Bayern 2 Zündfunk erzählt hat, wie sehr ihm die Einsamkeit und Isolation zusetzt. Oje, dachte ich mir damals, knietief in der Pandemie und Depression. Der Ausweg: ein neues Album. Der lautmalerische Titel: "Alles klar". Ich wusste nicht mehr wohin mit mir, erzählt uns PeterLicht jetzt, darum ging es ab ins Studio. Die Welt kommt uns abhanden, sagt er, aber der Horizont ist offen. Wir haben die Wahl, der Fluss fließt weiter. Das ist der Spirit von "Alles klar". Hier zieht sich einer selbst mit zwei Fingern an der Nase aus dem Morast. Und irgendwie fühlt es sich gut an, PeterLicht dabei zu begleiten, wie er seinen Platz zwischen all den Multikrisen sucht. Auch wenn wir es hier nicht mit dem besten aller PeterLicht-Alben zu tun haben. Am 4.10 spielt PeterLicht in Nürnberg, im ClubStereo, am Sonntag, den 6.10, in München im Ampere, am 11. Oktober in Bremen, am 30. Oktober in Jena und am 1. November in Leipzig. (7,1 von 10 Punkten)
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PeterLicht - Wir schulden euch nichts (Official Video)
Cumgirl8 – The 8thcumming
Diese All-Female-Post-Punk-Band aus New York kann man guten Gewissens als radikal bezeichnen. Kennengelernt haben sie sich im Sexchat, das Quartett provoziert mit expliziten Texten und Bühnen-Outfits, sie identifizieren sich als Cyberfeministinnen und verkaufen am Merchandise-Stand auch gerne mal Abtreibungspillen. Aber neben ihrem Aktivismus machen sie auch einfach verdammt guten Shoegaze und Post-Punk. Den hören wir nach einigen EPs nun auf ihrem Debütalbum "8th cumming". Darauf spielen sie mit verschiedenen Klischees über den weiblichen Körper und machen sich über absurde misogyne Debatten aus dem Netz lustig. Für einige mag dieses feministische Band-Konzept abschreckend wirken, aber hier haben wir es im besten Sinne mit Pop zu tun, der in seinem Sound, seinem Look und seiner Message das Zeug hat, zu polarisieren. (6,8 von 10 Punkten)
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cumgirl8 - Karma Police (Official Video)
The Hard Quartet – The Hard Quartet
Don’t Call It Supergroup. Die Plattenfirma spricht dagegen von: "Vier Titanen", die zusammen das Hard Quartet bilden. Da wären: Pavement-Frontmann Stephen Malkmus, die Songwriter Emmett Kelly und Matt Sweeney, und Drummer Jim White, der gerne mit PJ Harvey tourt. Zusammen frönen sie komplett ungezwungen dem Rock ‘n’ Roll. Niemand hat sich und seine Erfahrungen dabei daheim gelassen, jeder bringt seinen typischen Stil mit. So könnte der Song "Earth Hater" auch von einem Pavement-Album gefallen sein, auf "Our Hometown Boy" hören wir unverkennbar ein Gitarrensolo von Matt Sweeney, auf "Renegade" wird Jim White zum Oktopus an den Drums. Hier hatten vier Vollblut-Musiker sehr viel Spaß – und auf einer Meta-Ebene wird hier noch verhandelt, was eine Band ausmacht bzw. früher mal ausgemacht hat, bevor wir in eine Zukunft gehen, die von immer mehr KI-gemachter Musik dominiert wird. Großartiges Debüt vom Hard Quartet, die ich für mich auch abspeichern werde als Bob Dylans The Band 2.0. (8,4 von 10 Punkten)
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The Hard Quartet - "Our Hometown Boy" (Official Music Video)
Jesper Munk – Yesterdaze
Entdeckt im Zündfunk vor über zehn Jahren- und jetzt legt der Münchner Jesper Munk mit "Yesterdaze" sein sechstes Album vor. Was hat der Wahlberliner für eine Entwicklung hingelegt, seit ihn Kollege Ralf Summer vor über zehn Jahren als Straßenmusiker in München entdeckt hat und in ein Bayern2 Studio mitgebracht hat? Auf "Yesterdaze" zeigt Jesper Munk seine Range. Von Neo R&B über Chanson hin zu jazzy Sounds. Alles wurde erstmals selbst von ihm produziert und alle Songs werden von dieser unfassbaren Stimme getragen, die an Erfahrung gewachsen scheint. Mit "Yesterdaze" löst er sich endgültig von der Rolle des "Blues-Erneurers", mit dem auch ein Major-Label monetäre Hoffnungen verbunden hat. Jesper Munk veröffentlicht auf dem Indie-Label Glitterhouse und scheint so sehr bei sich zu sein wie noch nie, auch wenn hier nicht jeder Song wirklich dringlich daherkommt. (7,1 von 10 Punkten)
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Jesper Munk - Yesterdaze (Official Video)
Dawn Richard & Spencer Zahn – Quiet In A World Full Of Noise
Vor zwei Jahren fiel das erste Ambient-Album von R&B-Star Dawn Richard und Multiinstrumenalist Spencer Zahn auf fruchtbaren Boden, mitten in den Ausklang einer Pandemie, wo sich die Welt noch nicht wieder an den Trubel und den Lärm gewöhnt hatte. Jetzt scheint es, als würde sich das Duo die Ruhe wieder zurückwünschen, so nennen sie ihr zweites gemeinsames Album "Quiet In A World Full Of Noise". Anders als vor zwei Jahren stechen jetzt Spoken Word und sanfter R&B hervor. Ein leises Hauchen in einer völlig verrückten Welt. (7,0 von 10 Punkten)
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Dawn Richard and Spencer Zahn - Traditions (Official Audio)