Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Four Tet, Marla Hansen, Bob Junior und Nitsch
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Mit neuer Musik von Bob Junior, Marla Hansen, Coma, Air, Four Tet, Suchi, Boeckner, Tua, Nemzzz und Nitsch.
Bob Junior – Friends Vol. 1
Bob Junior, der große Bruder von Boy Pablo, dem Frontmann der gleichnamigen norwegischen Dream Pop-Band, stand lange im Schatten seines kleinen, aber bekannteren Bruders, er war Schlagzeuger, Co-Produzent und Songschreiber für ihn. Doch die Zeiten sind vorbei. Der chilenisch-norwegische Musiker und Produzent Esteban Muñoz aka Bob Junior ist vom norwegischen Bergen nach Los Angeles gezogen, um selbst ein Album aufzunehmen. Allerdings nicht allein, sondern mit der Hilfe von befreundeten MusikerInnen. So ist sein Debütalbum „Friends Vol. 1“ entstanden. Zu diesen Freunden gehört z.B. Bethany Cosentino von Best Coast, Dent May oder Alfie Templeman. Aber auch der Vater von Bob Junior ist zu hören. Eine bunte Gästeliste, die wunderbar zu dem sonnigen Bedroom-Pop von Bob Junior passt. Wer Mac DeMarco mag, könnte auch den verschwurbelten Bubblegum-Folk von Bob Junior lieben. Ich bin auf alle Fälle schon Fan. (7,9 von 10 Punkten)
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bob junior - sunshine (Official Video)
Marla Hansen – Salt
Die US-Amerikanerin Marla Hansen hat schon mit Größen wie Sufjan Stevens, The National und Jay-Z zusammengearbeitet. Mit „Salt“ veröffentlicht sie jetzt den Nachfolger zu „Dust“, ihrem ersten Album bei Karaoke Kalk aus dem Jahr 2020. „Salt“ pendelt zwischen großem, mitreissenden Synth-Pop („Chains“), fragilem Folk („Dresden“) und düsteren Soundscapes („Salt“). Die Stimme von Marla Hansen hat dabei immer eine unglaubliche Strahlkraft, die Arrangements sind klar und transparent, manchmal regelrecht berührend in ihrer Sparsamkeit. Da die Wahlberlinerin ja auch Violine und Viola spielt, dürfen hier die Streicher natürlich nicht fehlen. Dazu hören wir Bläser, Klavier und Gitarre im Mix mit mehr oder weniger subtiler Elektronik. Nicht zu vergessen das grandiose Schlagzeug von Andi Haberl, dem Drummer von The Notwist. „Salt“ ist übrigens wieder einmal ein Album, das wir der Pandemie verdanken. Denn die ansonsten vielgebuchte Marla Hansen war in dieser Zeit auf sich allein gestellt und hat die Zeit hervorragend genutzt. Hat sich mit Synthesizern beschäftigt und sich elektronische Produktionstechniken draufgeschafft. Und hat mit „Salt“ ein unglaublich breit aufgestelltes, ganz wunderbares Album aufgenommen. (8 von 10 Punkten)
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Marla Hansen - Chains
Coma – Fuzzy Fantasy
Coma machen warmen, extrem eleganten Electro-Pop, mit großen Melodien, einem leichten Melo-Touch und einem New Order-haften Gleichmut, einer Gelassenheit, die in diesen aufregenden Zeiten ausgesprochen gut tut. Coma, das sind Marius Bubat und Georg Conrad. Auf ihrem vierten Album „Fuzzy Fantasy“ ziehen die beiden uns immer wieder runter von der Tanzfläche, weg aus der Kölner Clubszene, aus der die beiden kommen und rein in die melancholischen Weiten des Indie-Pop. Das hat schon 2019 auf ihrer sehr tollen „A-Train“-Single super funktioniert – einem schwebenden, somnambulen Track für die After Hour. Aber 2024 gehen Coma jetzt noch einen Schritt weiter. Ihr Songwriting ist ausgefuchster, die Instrumentierung analoger. Vom Track geht’s immer weiter Richtung Song. Und auch wenn man sich mit wirklichen Pop Songs verletzlicher macht, so Marius Bubat, war genau das diesmal ihr Ziel. Pop-Mission accomplished. (7,9 von 10 Punkten)
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COMA - Hard To Find (Official Audio)
Air – Moon Safari (Deluxe Edition)
„Moon Safari“, das legendäre Debüt-Album von Air, feiert gerade sein 25-jähriges. Air haben anlässlich dieses Geburtstags drei Konzerte in Berlin gegeben, haben zuerst „Moon Safari“ gespielt, in voller Länge und in seiner ganzen Schönheit, gefolgt von ihren größten Hits. Und es wird weitergefeiert … und zwar mit einem zweiteiligen Re-Release von „Moon Safari“, Teil 1 ist das Original Album, Teil 2 sind Raritäten, Demos und Live-Aufnahmen aus dieser Zeit. Damals, im Jahr 1998, lief „Moon Safari“ überall, nur nicht im Radio, auf heavy rotation.
Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Costa Rica-Urlaub. Wir hatten gefühlt nur ein Tape dabei … und das war „Moon Safari“. Damit sind wir nachts in einem kleinen Mietauto auf rumpeligen Straßen durch den Dschungel gefahren und haben Air gehört. Wir waren zwar nicht auf dem Mond, aber auf unserer nächtlichen Dschungel-Safari hab ich mich ähnlich lost gefühlt wie man sich im Weltraum fühlen muss. Air waren da ein wunderbarer Begleiter, fluffiger Retro- bzw. Rettungs-Pop, angenehm warm und zuversichtlich, genau das Richtige für diesen unwirklichen, manchmal doch etwas furchteinflößenden Trip. Mit ihren zeitlosen, schwebenden Melodien haben Air diesen Moment für mich in die Unendlichkeit gedehnt. Soweit zu CD 1 der „Moon Safari“-Jubiläumsausgabe. Tippitoppi Material für die nächste Zeitreise.
Auf Teil 2 finden sich Raritäten, Demos und Live-Aufnahmen aus dieser Zeit. So manches klingt wie ein mehr oder weniger fernes Echo der Original „Moon Safari“. Was in keinster Weise negativ gemeint ist, auch hier haben sie mich ziemlich schnell gekriegt. Toll auch die Live-Aufnahmen von „Sexy Boy“ und „Kelly Watch The Stars“, die mit ihrer Analoghaftigkeit die Studio-Versionen rechts zu überholen scheinen. (9 von 10 Punkten)
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AIR - Kelly Watch the Stars (𝐵𝑖𝑛𝑎𝑢𝑟𝑎𝑙 𝐿𝑖𝑣𝑒 - Official Video)
Four Tet – Three
Ähnlich mellow und zeitlos klingt auch „Loved“, der Opener vom neuen Four Tet-Album. Das aber keinesfalls mellow bleibt. Spätestens das hibbelige „Daydream Repeat“ macht klar, dass Kieran Hebden aka Four Tet hier wieder seinem Ruf als Superfrickler gerecht werden möchte. „Three“ erscheint auf Four Tets eigenem Label Text Records. Leider konnte man vorab nur drei Tracks hören. Denn wie üblich bei Four Tet gibt es auch diesmal wieder kaum Interviews, keine Presseinfos, kein Promoalbum vorab. Dafür ganz viel Material zum Beispiel auf Instagram. Von den gigantomanischen EDM-Sets mit Skrillex und Fred again - zusammen stehen sie vor Zehntausenden von jubelnden TänzerInnen. Oder wir beobachten Kieran Hebden dabei, wie er mit einem vorsintflutlich aussehenden Synthesizer herumhantiert, einem Geschenk von seinen Freunden Floating Points und Caribou, mit dem er dann auch gleich den sanften Einstiegstrack für sein neues Album einspielt. Kieran Hebden hat offensichtlich keinerlei Problem damit auf zwei Ebenen zu agieren, als mittlerweile mega-erfolgreicher Stadion-DJ und als nach wie vor ruhiger, introvertierter Elektronik-Bastler. (keine Wertung möglich)
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Loved
Suchi – Ghungroo (EP)
Neu im Rooster von !K7 ist die indisch-norwegische DJ und Produzentin Suchi Ahuja. Ihre erste EP dort trägt den klingenden Namen „Ghungroo“. Benannt nach den kleinen Metallglöckchen, die um die Knöchel klassischer indischer Tänzer geschnürt werden. Und die man dann auch wirklich hört auf diesem luftigen Track, der so euphorisch nach vorne geht. Track 2, „Blamerke“, was auf norwegisch „Bluterguss“ heißt, legt noch einen Zahn zu und wird dabei von polyrhythmischen Trommeln dominiert. Auf dem funky House-Track „Bottlepop“ kommt richtig Old-School-Feeling auf, was vermutlich an den Rave-Pfeifen liegt. Der letzte Track ist dann noch ein geheimnisvoll schimmernder Remix des Münchners Sam Goku. Gerne mehr davon. (7,8 von 10 Punkten)
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Ghungroo
Boeckner – Boeckner!
Dan Boeckner ist einer der beiden Sänger und Songschreiber der kanadischen Indie-Rock-Combo Wolf Parade. War aber auch schon Teil der Handsome Furs, der Divine Fits und der Operators. Und, ein Teil der Liveband von Arcade Fire war er auch schon. Jetzt, nach 20 Jahren im Musik-Biz, in den unterschiedlichsten Konstellationen, an den verschiedensten Orten, erscheint ein Album, das Dan Boeckner ganz allein gemacht hat. Und das deshalb auch den schlichten Titel „Boeckner!“ trägt. „Boeckner“ mit Ausrufezeichen. Das hat sich der Kanadier angeblich von den Düsseldorfer Krautrockern NEU! abgeschaut. Sein Solo-Debüt ist ein Mix aus Wolf Parade und Handsome Furs. Mit der Melodramatik, der Euphorie, den Gitarren von Wolf Parade und den coolen Synthie-Klängen der Handsome Furs bzw. der Operators. Boeckner scheint damit sein musikalisches Zuhause gefunden zu haben. Und klingt deshalb vermutlich auch so optimistisch auf diesem sehr persönlichen, irgendwie etwas anachronistisch wirkenden aber nicht unsympathischen Indie-Rock-Album. (7,7 von 10 Punkten)
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Boeckner - Dead Tourists (Official Video)
Tua – Eden
Interessanter Ansatz - hier berichtet einer von seiner Reise in die vermeintliche Bürgerlichkeit. Nicht, dass er diese Entwicklung grundsätzlich ablehnen würde, aber das „Echte Leben“ ist es halt auch nicht. Stattdessen sucht Tua, nebenberuflich auch Rapper bei den Orsons, ein Album lang nach einem alternativen Lebensentwurf, nach seinem persönlichen „Eden“. Nach einem Leben im Moment, leicht und ausgelassen. Wie ein Heiratsantrag im Strobo-Gewitter eines Techno-Raves („1in1Million“). Und liefert dabei aber auch gleich die dunklen Seiten dieses Lebens mit, die Zweifel („Im Garten“), das Scheitern („Mehr sein“ feat. Nura). Textlich deckt Tua hier ein breites Spektrum ab, versucht das Leben, diese endlose Suche nach dem Glück, in seiner ganzen Ambivalenz abzubilden. Und auch musikalisch ist „Eden“ relativ breit aufgestellt, Italo Disco und UK Breaks tauchen kurz auf, verschwinden aber auch genauso schnell wieder, gehen unter in einem Meer aus sehr chartskompatiblen Mainstream-Pop. (6,3 von 10 Punkten)
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TUA - 14.000 Tage (Official Video)
Nemzzz – Do Not Disturb
Der 20-jährige Nemzzz kommt aus der Gegend von Manchester und ist auf der Insel schon ein gefeiertes Talent. Erst vor kurzem ist er in der ausverkauften Frankfurter Festhalle aufgetreten, als Special Guest des deutschen Rappers Luciano. Luciano taucht dann auch auf Nemzzz Mixtape auf. „Do Not Disturb“ ist eine ausgesprochen soulfule Angelegenheit, was vermutlich auch an den chilligen Samples liegt auf denen Nemzzz liefert. Dabei geht es um die klassischen Probleme seiner Generation, gebrochene Herzen und falsche Freunde, aber auch wie es ist, wenn die eigene Kreditkarte abgelehnt wird. Sollten wir im Auge behalten, den Mann. (7,8 von 10 Punkten)
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NEMZZZ - PTSD (OFFICIAL VIDEO)
Nitsch – Nieder mit der Welt (EP)
Das Münchner Duo Nitsch surft gerade auf einer kleinen Hype-Welle steil nach oben. Nitsch, das ist der aus Graz stammende, aktuell in München lebende Schauspieler, Sänger und Songschreiber Niklas Mitteregger und der Musiker Nick McCarthy, ehemals Franz Ferdinand. Zusammen sind sie ein Mix aus Bilderbuch und jungem Falco. Laid back aber auch etwas dystopisch. Gerade haben sie in München in der Fat Cat Blackbox gespielt und laut Nachtmix-Kollege Ralf Summer war es ein durchaus amtlicher Einstieg in ihre Konzert-Laufbahn. (7,7 von 10 Punkten)
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Nitsch - SoSchön (Official Video)