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Aztec Camera Das vergessene Riesentalent

Am 29. Januar 2014 feierte Roddy Frame aus Schottland seinen 50. Geburtstag. Er galt als eins der größten Poptalente seiner Zeit. Doch leider hat es für den ganz großen Welterfolg nie gereicht für ihn und seine Band Aztec Camera.

Von: Achim Bogdahn

Stand: 18.02.2014 | Archiv

Aztec Camera Albumcover Frestonia | Bild: Soulfood

Die Geschichte beginnt 1964 in East Kilbride, einer Trabantenstadt mit 50er Jahre Plattenbauten im Südosten von Glasgow. Roddy Frame stammt aus der protestantischen Arbeiterklasse, der Vater belädt LKWs. Die drei Geschwister sind alle mehr als 10 Jahre älter, weswegen er selber – wie er in Interviews erzählt - frühreif ist. Roddy träumt daheim schon mit 5 von David Bowie, den er liebt, und von der ersten Gitarre. Die bringt ihm dann der Nikolaus, als er 9 ist, am Anfang dient sie nur als überdimensionales Raumschiff für Actionfiguren, aber als Punk aufkommt, 1976/77, da fängt er an wie ein Besessener, Gitarre zu spielen.

"Die Punkszene war sehr groß in Glasgow und ich komme ja aus East Kilbride in Süden der Stadt. Meine Freunde und ich fuhren damals immer nach Glasgow, um Bands live zu sehen wie die Sex Pistols, The Clash, oder die Buzzcocks. Und dann in den späten 70ern Alternative TV, Subway Sect, Joy Division- das waren damals angesagte Bands und zu der Zeit fing das auch schon mit der Indie Szene in Glasgow an- es gab damals ein Fanzine namens Urban Developement, das mitherausgegeben wurde von einem Typen namens Robert Hodgins, der dann später bekannt wurde durch seine Band The Bluebells. Über dieses Fanzine habe ich 79/80 meine ersten Songs veröffentlicht, was wiederum Alan Horne hörte, der Gründer von Postcard Records und Edwyn Colllins von Orange Juice, so kam ich zu Postcard und brachte dort ein paar Songs raus."

Roddy Frame

Nach Punk hat sich das bei ihm aber nicht angehört. Roddy Frame hat mit seiner Band Aztec Camera von Anfang an einen ganz eigenen Sound kreiert, semiakustische Popmelodien mit Jazzakkorden und ungewöhnlichen Harmoniefolgen. Seine allererste Single "Just like gold" hat er im Januar 1981 aufgenommen, am Vortag seines 17. Geburtstags. Diese Single erscheint auf dem kleinen Glasgower Indie-Plattenlabel Postcard. Vorher hatten dort Josef K. und Edwyn Collins ihre Singles veröffentlicht, Postcard trägt mit einem Augenzwinkern den Untertitel "The Sound Of Young Scotland".

Roddy Frame alias Aztec Camera | Bild: Roddy Frame

Roddy Frame alias Aztec Camera.

Die Postcard-Bands wie Josef K und Orange Juice stehen für schrammelige poppige Gitarrensounds mit schlauen, selbstironischen Texten, und sind ein Gegenstück zu den dominierenden Bands der Tage, die in Schottland immer noch erdigen Bluesrock machen wie Alex Harvey oder die so klingen wollen wie die Simple Minds oder U2. Tja, und auf einmal ist da ein 17jähriger, der als Wunderkind gilt, weil er so überragend gut Gitarre spielen und so intelligent komponieren kann. Da schmachten die Schüchternen, die Außenseiter, die Popnerds und die Mädchen Anfang der 80er Jahre, als Roddy Frame sehnsüchtig singt "Walk out to winter":

Als er diesen Song schrieb, war er 16. Der schüchterne Junge mit der Ponyfrisur und der Wildlederjacke mit den Fransen dran, irritiert zunächst die Szene, z.B. als er vor der Ex-Punk und Düsterrock-Band Killing Joke auftritt.

"Wir sollten Vorgruppe sein für Killing Joke, die damals den Ruf hatten, besonders krasse Hardcore-Fans zu haben. Wir sind dann mit unseren Akustikgitarren runter nach London gefahren, und da waren in der Halle all die Punks mit ihren Irokesen-Haarschnitten, voll tätowiert und mit Schlafsäcken und als die nur die Akustikgitarren SAHEN, gings schon los mit Gebrüll, Gefluche und Gespucke, die Sprüche wiederhole ich besser nicht hier im Radio. Wir haben etwa 20 Minuten durchgehalten, dann sind wir von der Bühne, von oben bis unten vollgesaut mit Spucke. Die Gitarren haben nicht mehr funktioniert, weil die Saiten verklebt waren. Wir haben das damals aber als Sieg empfunden, quasi die haben ihr wahres Gesicht gezeigt, da muss man nur eine Akustikgitarre auspacken und schon werden die zu Tieren. Unsere Vorbilder waren Velvet Underground, die überall auf Aggression und Ablehnung gestoßen sind, so muss das auch gewesen sein, als die zum ersten Mal an der US-Westküste vor Hippies gespielt haben."

Roddy Frame

Doch schon 1982/1983 gilt er als DAS große Versprechen der britischen Popmusik, auch wenn die Schulmädchen auf ihre Federmäppchen mit Kuli Duran Duran oder Spandau Ballet kritzeln. Diese grandiosen Gitarrensoli, die immer ein bisschen nach seinem Gitarrenheld Django Reinhard klingen, diese vertrackten Jazzakkorde in den Popsongs und diese neuen Klänge, die die Vorarbeit leisten für spätere Bands wie die Smiths.

Von Glasgow geht's nach London und in die Charts...

Albumcover "High Land,Hard Rain"

Für ihr erstes Album verlassen Aztec Camera Glasgow und gehen nach London, von Postcard Records wechseln sie zum großen Independent Plattenlabel Rough Trade. Dort erscheint 1983 "High Land, Hard Rain", ein epochales Album, das damals ein Jahr lang in den Indiecharts ist und sich fast 100.000mal verkauft. Die Single "Oblivious" geht 1983 in die Top 20 Englands und so findet sich der schüchterne, romantische Junge aus East Kilbride/Schottland plötzlich inmitten der gröhlenden Kids in der BBC Chartshow "Top Of The Pops"- die Roddy Frame zujubeln.

Zu der Zeit ist Pop das ganz große Ding, mit Bands wie ABC, Haircut 100, Altered Images, Orange Juice und ihrem "Rip it up". Und mittendrin Roddy Frame, mittlerweile gerade 19 Jahre jung, aber für die Presse ist und bleibt er 16. Konsequenterweise sind sogar in Teenie-Zeitschriften wie den Smash Hits oder Just Seventeen große Artikel über den Schotten. Roddy Frame genießt den frühen Ruhm in vollen Zügen.

"Es hat vielleicht mit der Arroganz der Jugend zu tun, aber ich empfand mich damals selbst als akustischen Gitarrengott. Es war eine großartige Zeit, ich habe damals ganz viele Dinge zum ersten Mal im Leben gemacht, das war sehr romantisch, mit 16 in der ersten eigenen Band zu spielen, dann der erste Auftritt im Ausland, in einer Bar am Grand Place in Brüssel, danach auf dem Fußboden irgendeines Lofts geschlafen, das erste Mal in London, als ich mir eine große halbakustische Gitarre von Gibson gekauft habe, von der ich schon seit meiner Kindheit geträumt hatte, zurück nach Glasgow, im Zug, und im Schlaf halte ich die Gitarre fest, das ist der Stoff aus dem Rock'n'Roll Träume sind."

Roddy Frame

Und das Märchen geht weiter: Die großen Plattenfirmen nehmen Witterung auf. Aztec Camera gelten als das große neue Ding, und Roddy selber hat große Ambitionen. Warner ködert ihn mit einem Vertrag über zehn Alben, gleich fürs erste wird Mark Knopfler als Produzent engagiert, und das kurz bevor dessen eigene Band, die Dire Straits durch die Decke schießt mit 32 Platinalben für "Brothers in Arms". Mark Knopfler schenkt Roddy Frame in Bewunderung für dessen Gitarrenkünste seine eigene semiakustische Gibson-Gitarre im Wert von 8.000 Pfund.

Die Aztecmania ist in vollem Gange beim Release von "Knife".

Als neuer Bandgitarrist kommt Malcolm Ross, vormals Josef K und Orange Juice dazu. Die Strasse zum ganz großen Erfolg scheint schon planiert zu sein. Und dann erscheint 1984 "Knife", zum Teil geschrieben auf einer großen US-Tournee, wo Roddy Frame und seine Band als Vorgruppe von Elvis Costello unterwegs sind, Costello ist ein Riesenfan. Beim Record-Release des Albums „Knife“ winden sich die Schlangen von Menschen um den HMV-Store auf der Oxford Street in London, Aztecmania.

24 und schon ein alter Hase im Rock'n'Roll

Für das nächste Album "Love" braucht Frame schon ein bisschen länger, darauf findet sich sein größter Hit "Somewhere in my heart", aufgenommen in einem Studio am Times Square in New York. Bis heute läuft dieses Stück regelmäßig im Radio, in England ist es im Jahre 1988 Platz 3 der Hitparade und in vielen anderen Ländern der Welt war es ebenfalls in den Charts. Roddy ist mittlerweile 24, aber im Rock´n Roll schon ein alter Hase. Der Rest des Albums "Love" ist allerdings schwer zu ertragen, miese 80er Jahre Produktionsideen kleistern die schönen Gitarren zu, und auch die Kompositionen haben ihre Unschuld verloren.

Die Musikszene wandert weiter, Indie wird schön langsam der neue Mainstream. Bands wie The Wedding Present, The Jesus & Mary Chain, die übrigens auch aus East Kilbride stammen so wie Roddy Frame oder Primal Scream aus Glasgow übernehmen die Rolle der Hoffnungsträger. 1990 kontern Roddy und Aztec Camera mit rockigeren und tanzbaren Klängen, auf dem Album "Stray": Unter anderem ein Duett mit The Clash Sänger Mick Jones, einem alten Idol von Roddy Frame mit dem sozialkritischen "Good Morning Britain", aus den letzten Tagen der Regentschaft von Maggie Thatcher.

Auf dem Album "Stray" ist ein Duett mit The Clash-Sänger Mick Jones.

Auch dieser Song geht in die Top 20 in UK. Mittlerweile lebt Bandleader Roddy Frame längst in London, träumt aber immer noch vom Durchbruch in den USA, wo er in den Collegeradios oft gespielt wird und sogar in den Billboard Modern Charts landet. Roddy tourt viel durch die USA, aber mittlerweile gibt es in der Band Friktionen, mehrere Drummer und Bassisten kommen und gehen. Das Eis wird dünner, die Verkäufe gehen langsam zurück. Da stellt die Plattenfirma Roddy den Japaner Ryuichi Sakamoto als Produzenten zur Seite. Der Avantgardemusiker und Pianist wurde u.a. bekannt für die Filmsoundtracks zu "Himmel über der Wüste" oder "Der letzte Kaiser". Sakamoto bringt zum Teil eine etwas ungute Ethno-Note in die Musik, am besten funktioniert es noch bei dem Song "Vertigo".

Oasis, Blur und Suede kommen, Aztec Camera gehen...

Doch die Anzeichen mehren sich, dass die Dinge langsam zuende gehen. Oasis kommt auf, der Kampf mit Blur um die Britpop Krone elektrisiert die Leute, Bands haben kurze Namen wie Pulp, Suede, Verve, Elastica, Supergrass und zum Teil ebenso kurze Halbwertszeiten. Egal. Es zählt das Neue, Frische, Wilde. Roddy Frame ist zwar erst 30, wirkt aber schon wie ein Dinosaurier. Sein 95er Album "Frestonia" ist sein letztes unter dem Pseudonym Aztec Camera, danach kündigt ihm sein Plattenlabel Warner.

Nach einer Pause kommt er wieder unter, bei dem Independiente Plattenlabel, wo er unter seinem eigenen Namen noch drei zum Teil sehr schöne Alben aufnimmt. Er wird im Januar 2014 50 Jahre alt, aber ist schon seit 35 Jahren im Geschäft - eine wahre Ewigkeit:

"Ich war vor einer Weile im Helter Skelter in London, einem Laden für Pop-Bücher und -Erinnerungsstücke, wo es auch viele alte Musikzeitschriften gibt, NME, Melody Maker. Da stand ich vor so einem Cover aus den frühen 80ern und las unseren Namen Aztec Camera und ganz viele andere Bandnamen und dachte mir, das ist ja nett, ich bin der einzige Musiker von denen, der noch aktiv ist. Und dass ich immer noch dabei bin, macht mich sehr dankbar, dass ich den ganzen Popwahnsinn und die Majorlabels ohne größere Schäden überlebt habe."

Roddy Frame

Roddy Frame heute, mit 50 Jahren und 35 Jahren im Musikbusiness auf dem Buckel.

Roddy Frame könnte mal in die Geschichte eingehen als junges Talent, das sich über ein Jahrzehnt hartnäckig und immer wieder mit Überraschungserfolgen in einer sich wandelnden Poplandschaft gehalten hat. Obwohl er quasi ein Kinderstar war und schon mit 16 zuhause ausgezogen ist, hat er irgendwie den Kopf oben behalten. Inzwischen lebt er komfortabel am Holland Park in London, führt seinen Hund Gassi und hat inzwischen ganz viele Filme aus den 80er Jahren auf DVD angeschaut, denn in dem Wahnsinn seiner Karriere kam er nicht dazu, ins Kino zu gehen.

P.S. 1: Roddy Frame bringt 2014 ein neues Album heraus. Ironischerweise auf dem Indie-Label seines Kollegen und Weggefährten aus frühesten Glasgower Tagen, Edwyn Collins, Mister "A Girl Like You", der nun gewissermaßen Roddy Frame´s Boss ist.

P.S. 2: Im Dezember 2013 hat Roddy Frame eine Tournee durch Großbritannien gemacht, wo er sein allererstes Album "High Land, Hard Rain" komplett gespielt hat - alle Termine waren ausverkauft.


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