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Gene Clark Der beste Songschreiber der Byrds

Im November hätte Gene Clark seinen 70. Geburtstag gefeiert. Für viele war er der beste Songschreiber der Byrds

Von: Klaus Walter

Stand: 03.12.2014 | Archiv

The Byrd Who Flew Alone: The Triumphs and Tragedy of Gene Clark - Dokumentarfilm von 2013 | Bild: Four suns Productions/ Marshall Darling Productions

Auch bei Gene Clark kann man manche Songs getrost als Blick in den Spiegel deuten. „The American Dreamer“ zum Beispiel, ein Lied aus dem Jahr 1971. „Denk´an all die Dinge, die man mit Dollars nicht kaufen kann“, singt er da, „jemanden zum Festhalten und ein Lied zum Singen“. Der amerikanischen Träumer beschreibt Clark als Einzelgänger und als Mann der Extreme. Gene Clark ist so ein American Dreamer, Gründungsmitglied der Byrds, und wenn es nach Sid Griffin geht, auch der beste Songschreiber der Byrds. Sid Griffin ist der Biograf von Gene Clark und er ist selbst Musiker. Mit seiner Band, den Long Ryders wandelt er auf den Spuren der Byrds und auf denen von Gene Clark. Die Verehrung für die Byrds geht so weit, dass Griffin aus den Long Riders die Long Ryders macht, wie einst die Byrds die Birds zu Byrds.

Gene Clark wird am 17. November 1944 in Tipton, Missouri geboren, als zweitältestes von dreizehn (!) Kindern. Clark wäre also am 17. November 70 Jahre alt geworden, wäre er nicht schon 1991 gestorben. Mit nur sechsundvierzig Jahren hatte er sich seine Gesundheit ruiniert. Nach den frühen Erfolgen mit den Byrds in den mittleren Sechzigern versucht sich Clark an Soloprojekten.

"Erratisches Gebaren, Trunk- und Drogensucht verhindern weitere Platten. Für den Rest seiner lädierten Karriere steht Clark unglücklich im Schatten des Byrds-Mythos."

Biograf Sid Griffin

Rockstar mit Flugangst

„American Dreamer“ ist übrigens auch der Titel einer Sammlung der besten Songs von Gene Clark. Eine andere Anthologie heißt „Flying High“, auch das ein Titel von einer gewissen Bedeutungsschwere. „Flying High“? Ein Schlüsselerlebnis im Leben des jungen Gene Clark ereignet sich 1959 auf dem Flughafen von Kansas City. Er wird Zeuge eines fatalen Flugzeugabsturzes, da ist er gerade mal vierzehn Jahre alt. Für den Rest seines Lebens leidet Gene Clark unter Flugangst, keine gute Voraussetzung für eine Karriere als Rockstar auf Welt-Tournee. Vor diesem Hintergrund bekommt der Albumtitel „Flying High“ eine ganz eigene Note. Das gilt auch für den Namen von Gene Clarks Band: The Byrds, die Vögel.

Die Byrds schreiben sich zwar mit einem Y anstelle des I´s, aber das hört man ja nicht. Und noch eine Ironie des Schicksals: Auch einer der größten Hits der Byrds hat mit dem Fliegen zu tun, irgendwie. Er erscheint 1966 und heißt “Eight Miles High”. Acht Meilen hoch, vom amerikanischen Radio wird der Song erstmal boykottiert, hinter dem Titel vermuten viele eine Anspielung auf Drogen. Die Byrds bestreiten das zunächst, später geben Gene Clark und David Crosby zu, dass „Eight Miles High“ durchaus was mit Drogen zu tun haben könnte, wie die beiden Musiker selbst durchaus was mit Drogen zu tun haben. „Eight Miles High“, mitgeschrieben von Gene Clark, ist einer der meistgecoverten Songs der Byrds, von den Ventures bis Roxy Music, von Leo Kottke bis Crowded House haben sich viele daran versucht.

Die amerikanischen Beatles

1982 nehmen Hüsker Dü, die Band um Bob Mould und Grant Hart, eine rasende Version von „Eight Miles High“ auf. Auch Mould und Hart haben durchaus was mit Drogen zu tun und die beiden sind in einer Art Hassliebe verbunden. Zu den Bands, die beide lieben, gehören neben den Byrds auch die Beatles. Und zwischen diesen beiden Bands gibt es ja nun auch einige Parallelen, das fängt schon beim Bandnamen an. Beide geben sich Tiernamen, beide ändern aber die korrekte Schreibweise. Ein Beetle mit insgesamt drei E´s ist im Englischen ein Käfer, die Beatles aus Liverpool ersetzen ein E durch ein A und werden zu den größten Protagonisten der sogenannten Beat-Musik. Die Byrds ersetzen das I in Birds durch ein Y und werden zu den größten Protagonisten der amerikanischen Beat-Musik. Oder auch: zu den amerikanischen Beatles. Wegen Songs wie “I´ll feel a whole lot better“, einer der Signatursongs der Byrds, 1989 noch mal ein Hit für Tom Petty, der den Song praktisch Eins zu Eins nachspielt und Gene Clark ein paar Dollar in die Kasse spült, der ist zu dieser Zeit nicht gerade auf Rosen gebettet.

The Byrds auf dem Londoner Flughafen 1965

Bei “I´ll feel a whole lot better“, hört man auch, warum die Byrds immer wieder als die amerikanischen Beatles bezeichnet werden. Tatsächlich sind die Beatles Schuld daran, dass sich der junge Gene Clark auf den Weg nach Kalifornien macht. Es passiert Ende 1963 in Norfolk, Virginia, dort spielt Clark mit seiner damaligen Band, den Christy Minstrels. Seine Gage investiert er in die Jukebox. „Bestimmt 40 Mal in zwei Tagen habe ich immer denselben Song gedrückt“, erinnert sich Gene Clark. „Ich wußte, das ist die Zukunft der Musik und ich will ein Teil dieser Zukunft sein.“ Wenig später verläßt er seine Band und macht sich auf nach Kalifornien. Ach ja, der Song aus der Jukebox, das war „She loves you, yeah, yeah, yeah“, das musikalische Erweckungserlebnis des Gene Clark. Auch an „You showed me“ ist Clark beteiligt. Die Byrds nehmen den Song zwar auf, aber er schafft es nie auf ein reguläres Album. 1969 machen die Turtles das Lied zum Hit.

21 Jahre später beweist sich mal wieder die alte Regel: Ein guter Song bleibt guter Song, egal ob er von weißen Männern gesungen wird oder ob er von schwarzen Frauen gerappt wird. „You showed me“ wird wieder zum Hit, diesmal für Salt´n´Pepa, deren Version wiederum später mehrfach gesamplet wird, zum Beispiel von U2 und erst 2010 von Kanye West. Da ist Gene Clark längst tot, er stirbt 1991 mit sechsundvierzig an dem, was man gerne mal den Rock´n´Roll-Lifestyle nennt, sein Biograf Sid Griffin spricht von Trunk- und Drogensucht. Griffin hat auch eine Erklärung dafür, warum sich Gene Clark 1966 von den Byrds trennt, obwohl die zu diesem Zeitpunkt eine der populärsten Bands des Planeten sind. Clark kommt nicht klar mit den Rivalitäten innerhalb der Band, vor allem Roger McGuinn und David Crosby beanspruchen die Führungsposition.

"Im nüchternen Zustand schüchtern und alles andere als streitbar befand sich Gene in derselben Lage wie sein Freund Brian Jones – Anführer einer Beat-Band, der von weniger zartbesaiteten Kollegen zur Seite geschubst wird."

Clarke-Biograf Griffin

Die Byrds feiern, Clark geht unter

Was bei den Rolling Stones Mick Jagger und Keith Richards mit dem labilen Brian Jones tun, das erledigen Roger McGuinn und David Crosby bei Gene Clark: Sie ekeln ihn aus der Band. 1967 veröffentlichen die Byrds ohne Clark das Album „Younger Than Yesterday“, einer der Höhepunkte ihres Schaffens. Und was passiert in exakt derselben Woche? Da erscheint das Solo-Debüt von Gene Clark unter dem Titel „Gene Clark with The Gosdin Brothers“. Das Album der Byrds wird zum Hit, das von Gene Clark geht unter. Und gilt heute vielen als vergessenes Meisterwerk. Ein Jahr später folgt die nächste Pioniertat von Gene Clark, so sieht es zumindest der Rolling Stone: The Fantastic Expedition of Dillard & Clark.

"Mit dem bei den Bluegrass-Brüdern ausgestiegenen Doug Dillard schuf Clark ein Album, das sich einerseits zu den Graswurzeln amerikanischer Musik bekannte und zugleich mit exzellenten Tunes einen ungeheuren Pop-Appeal ausstrahlte."

Rolling Stone

Einer der Höhepunkte des Albums ist “Train leaves here this morning”. Das Lied geht um einen, der das Talent hat, immer genau am richtigen Ort zu sein – zur falschen Zeit. Auch eine Art Selbstporträt des Gene Clark und eine Blaupause dessen, was man heute Alternative Country nennen würde. Ein paar Jahre später sollte eine andere Band mit einem Vogel im Namen diesen Song noch mal aufnehmen, ein bisschen glattpoliert, ein bisschen stromlinienförmig. Und damit erfolgreich werden. Der Name der Band: The Eagles, die mit ihrem radiofreundlichen West-Coast-Country-Soft-Rock Fantastilliarden von Platten verkaufen sollten.

Ist so viel Melancholie zu ertragen?

Gene Clark - "No other" 1974

Gene Clark wird unterdessen zum Kritikerliebling, eine undankbarer Job, wenn einen die Kritiker lieben und der Rest der Welt einen vergißt und sich lieber Platten von den Eagles kauft. Viel Kritikerlob gibt es auch für das zweite Soloalbum von Gene Clark. Gekauft wird es eher nicht. Clark ist nicht nur Kritikerliebling, er erntet noch ein weiteres vergiftetes Kompliment: Jon Savage, der englische Kritiker, nennt ihn den „melancholischsten Byrd“ und fragt - rhetorisch - ob so viel Melancholie überhaupt zu ertragen ist. Savage meint das positiv, das Publikum hat sich da schon entschieden, nein, so viel Melancholie ist dann doch too much. Too much, zu viel des Guten, das ist gewissermaßen das Leitmotiv des Albums „No Other“. Das nimmt Gene Clark 1974 auf, heute gilt es als sein Meisterwerk, damals sorgt es eher für Irritationen.

Kokain ist die Droge der Stunde, in Kalifornien entsteht allmählich das, was Kritiker den Rock-Adel nennen, schwerreiche Musiker wie die Eagles oder später Fleetwood Mac, die sich dem dekadenten Leben hingeben und sich von einer Diät aus Champagner und dem weißen Pulver ernähren. Gene Clark ist zwar nicht schwerreich, für Koks und Alkohol reicht das Geld aber doch. Das Album „No other“ ist ein schillerndes Dokument dieser beginnenden kalifornischen Dekadenz. Aus heutiger Sicht liegt es nahe, in diesem Album „No other“ eine Art musikalisches Vermächtnis des Gene Clark zu sehen, den Gipfel seiner „lädierten Karriere“. 1974 war das, Clark ist knapp dreißig Jahre alt. Noch siebzehn Jahre sollten ihm bleiben, 1991 stirbt er mit gerade mal sechsundvierzig Jahren in Kalifornien. Begraben wird er in seinem Geburtsort Tipton, Missouri. Auf dem Grabstein steht: „Gene Clark, No Other“.


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