Zum 50. Geburtstag Henry Rollins - Der Typ, der auf der Bühne sein wollte
Er ist ein Musiker, Schriftsteller, Verleger und Schauspieler. Allem voran aber ist er Selbstdarsteller: Henry Rollins, der am 13. Februar fünfzig Jahre alt geworden ist. Das Nachtmix-Playback gratuliert.
Henry Rollins hat einmal gesagt, er wollte Musiker nur deswegen werden, weil ER der Typ auf der Bühne sein wollte. Und man hört ihm den Spaß an, den er auf der Bühne und vor SEINEM Publikum hat, auf seinen Aufnahmen an. Das erste Mal in breitere Aufmerksamkeit ist Henry Rollins 1981 getreten. Gerade noch rechtzeitig für Sturm, Drang und Hardcore, der Spätfolge von Punk.
Rollins wurde Sänger von Black Flag, einer der ersten amerikanischen Hardcore-Bands, die allerdings außer großer Wut mitunter auch ein paar kompliziertere musikalische Ansätze verfolgten. Henry Rollins aus Washington, DC wurde nicht zufällig Sänger der kalifornischen Black Flag. Sondern war schon lange vorher Fan. Er war der Band hinterhergereist und konnte so ziemlich alle Stücke mitsingen. Den Rest improvisierte er. Dieses Talent war und ist wesentlicher Bestandteil seiner Performances.
Als Beweis für Rollins' tiefe Begeisterung für seine Band Black Flag reicht ein Blick auf seinen massigen Nacken, wo die gleichen vier Striche prangen wie auf den Platten von Black Flag. Es ist nicht das einzige Tattoo, das man von ihm kennt. Rollins wurde oft fotografiert. Nicht weil er so ein hübscher Kerl wäre, sondern wegen seiner Ausstrahlung, seinem durch viele Stunden im Studio gestählten Körper und den auffälligen Tattoos darauf. Als wilder Mann auf der Bühne war er immer ausgesprochen ansehnlich. Sein tätowierter Stempel auf dem Rücken: "Search And Destroy". Es geht alles Hand in Hand mit dem Sound des angry - inzwischen nicht mehr ganz so - young man.
Nach dem Ende von Black Flag 1986, machte Henry Rollins alleine weiter. Seine erste Platte veröffentlichte er gleich ein Jahr später, 1987, grell rosa im Coverartwork von Mark Mothersbough (Devo). Erst später stand nicht mehr Henry Rollins, sondern The Rollins Band auf seinen Platten. Der Plattentitel "Hot Animal Machine" war Rollins auf den Leib geschrieben, und ab diesem Zeitpunkt war er nicht mehr zu bremsen. Er nahm auf, tourte, er veröffentlichte Live–Alben, nahm auf, tourte wieder und veröffentlichte. Noch als Black-Flag-Mitglied hatte er damit begonnen, mit Spoken Word Auftritten von sich reden zu machen.
Die waren genauso gut wie seine Konzerte. Zuerst stand er gemeinsam mit Lydia Lunch auf der Bühne, die damals bekannter war als Rollins. Dann aber reichte der Name Henry Rollins für Lesetouren, die niemals Lese- sondern immer Freisprech-Touren waren. Rollins erwies sich auch da als der geborene Performer, der frei und flüssig erzählen konnte, stundenlang, dazwischen aufs Publikum einging, dann aber wieder problemlos bei seiner Geschichte anknüpfte, ohne je den Faden zu verlieren. Das ganze gern gewürzt mit Schauspiel-Einlagen. Stand-Up Comedy, in der er witzig und selbstironisch eine halbe Stunde übers Onanieren sprach, oder auch darüber, wie er als Kind zusammengeschlagen wurde. Natürlich wurden diese Auftritte veröffentlicht, ebenso wie sein Tour-Tagebuch mit Black Flag namens "Get in the Van". Immerhin gab es ja auch noch sein Label, auf dem er veröffentlichen konnte, wozu er Lust hatte.
Henry Rollins KANN witzig sein, ist aber genauso hoch moralisch in seinen Texten. In seinen ersten Texten schreibt er von rassistischen Polizisten, von Schlägertrupps, die kleine Jungs missbrauchen, er beobachtet und kritisiert die Welt. Er schreibt von Gewalt und Gewaltphantasien, von Frauen, die Männer hassen. Und Männer, die Frauen hassen. Und passte damit gut zu der Radikal-Emanze und Performerin Lydia Lunch, die in den Achtzigern gern ohne Unterhose auftrat und nonstop von Sex sprach, dabei aber merkwürdig distanziert blieb. Dazu Rollins, der maskulinste Beinahe-Feminist mit dem männlichsten Trimm-Dich-Körper, den die Popwelt je erlebt hat. Einer, der seinen platonischen Freundinnen beim Shoppen die schweren Taschen trägt. Nachhören und nachlesen lassen sich jede Menge seiner Geschichten. Rollins war Facebook, lange bevor es Facebook gab: Innere Gedanken, Triviales und Wichtiges, Belangloses oder Wut-raus- lassen und das Ganze veröffentlichen. Kein Problem.
Tatsächlich scheint es , als wäre Musik und Wort für Rollins die Rettung gewesen. Dass er eine schwierige Kindheit hatte, war lange Jahre Thema in Interviews und in seinen Büchern. Die Jahre zwischen 14 und 18 hat er vorwiegend auf dem Skateboard verbracht und viel auf der Strasse statt in einem behüteten Zuhause. Einmal schrieb er, dass er am liebsten die Schule sprengen und die Lehrer umbringen wollte. Glücklicherweise hat er in der Musik ein besseres Auslassventil gefunden.
Nichttrinker, Nichtraucher, Drogenabstinenzler: Zumindest nach dem Ende von Black Flag wurde er zum Gesundheistsapostel, wie sie heute üblich sind. In den Achtzigern und Neunzigern war Rollins ein Pionier des Gesundheitswahns, ein Exot... Trank nicht mal Bier. Verbrachte täglich drei bis vier Stunden im Fitnessstudio, und kultivierte das Wort "Arbeit". Vielleicht eine Spätfolge seines Aufenthaltes in einer ihm verhassten Militärschule.
Der gestählte Körper, die harte Schale, eine Mauer. Trotzdem wirkt der gute Henry Rollins immer unglücklich, wenn er mal vergisst, tough und grimmig drein zu schauen, und aus Versehen seinen Dackelblick drauf hat. Rollins ist großer Fan von den üblichen Verdächtigen wie Black Sabbath und Thin Lizzy, von Curtis Mayfield, Brian Wilson, Patsy Cline, Public Enemy und Suicide. Und eben von Jazz. Also eigentlich von allem, was gut ist. Songs von Lou Reed und Suicide hat er selbst gecovert, und ein paar Platten seiner Helden hat er auf seinem Label wiederveröffentlicht. Das Label heisst: 2.13.61. Benannt nach seinem Geburtsdatum.
2010 war Rollins Gastsprecher und Sänger auf der Pink-Floyd-Cover- Platte der Flaming Lips "The Dark Side Of The Moon" Eine weitere Rolle in seiner Biographie. Und eine passende. Denn wie Wayne Coyne ist auch Rollins unbeirrbar, konsequent und besessen von Musik. Ein kleiner Nebenschauplatz ist für Henry Rollins das Kino: 1994 hatte er in dem Film "The Chase" mit Charlie Sheen einen kleinen Auftritt. Als Polizist. Ausgerechnet. Wo er doch in seinen Büchern die COPS grundsätzlich und voller Verachtung geschmäht hat. Inzwischen kann man Henry Rollins in mehreren Hollywood Filmen sehen. In Mini-Rollen, eine davon in David Lynchs Lost Highway. Inzwischen hostet er Fernseh- und Radiosendungen.