Bayern 2 - Nachtmix


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Mick Jagger Rock-Macho oder "gegendertes" Disco-Tier?

Die Gockel-Pose hat er noch drauf wie in jungen Jahren: Mick Jagger! Zum 70. Geburtstag des Kopfes der Rolling Stones wagt der Nachtmix eine Annäherung an die Rock-Ikone im Namen des Postfeminismus.

Von: Barbara Streidl

Stand: 26.07.2013 | Archiv

Mick Jagger auf einem Konzert der Rolling Stones | Bild: picture-alliance/dpa

"Mick is the only man I've ever seriously wanted to fuck."

Pete Townsend

Das schreibt der britische Rockmusiker Pete Townshend in seiner Biografie über Mick Jagger, der jetzt seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Ist und war Mick Jagger ein klassischer Rock-Macho? Oder vielleicht doch eher ein Sendbote des Postfeminismus, verankert auf beiden Seiten der Geschlechter?

"Satisfaction" ist das wahrscheinlich bekannteste Lied der Rolling Stones, und er würde niemals zu alt sein, um dieses Lied zu singen, erklärte Mick Jagger irgendwann einmal. "Satisfaction" klebt also auch im 50. Bühnenjahr noch am Stones-Frontmann wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Mick Jagger, der Unersättliche. Der Ehefrauen und Groupies und Liebschaften abgefrühstückt hat wie kaum ein Zweiter, der Alben und Konzerte bis heute rausfeuert wie ein Vulkan die Lava. Mick Jagger ist daneben aber auch rätselhaft: Ist er wirklich ein Rocksong-Casanova? Oder schlimmer, ein strenger Patriarch, sowohl im Musikbiz als auch im Zwischenmenschlichen? Oder könnte er als postfeministische Ikone gesehen werden, ein Wesen, mit dem die Vision der Geschlechtergerechtigkeit Wirklichkeit geworden ist?

Postfeministische Ikone? Zumindest Lidstrich hat Mick Jagger schon immer gern getragen.

Mit dem Erscheinen von Mick Jagger auf den Bühnen Englands in den frühen 60ern wird eine neue Ära begründet: Jagger macht das, was bislang eigentlich der Job von jungen Frauen im Pop-Biz war: Kokett singen und dabei die Hüften schwingen. Die Rolling Stones brechen noch vor der Zeit, in der ihr Manager Andrew Lloog Oldham sie zu ultimativen Superstars macht, mit dem Konzept der Sixties-Popband, das die Beatles, die Hollies, die Searchers und viele andere verband: Sie haben einen Sänger, der kein Instrument spielt, sondern nur singt und tanzt und alle wahnsinnig macht mit seiner Sexyness. Das hat auch Elvis Presley in den Fünfzigern gemacht; aber die Stones sind eine richtige Band, nicht ein Sänger, der von austauschbaren Musikern begleitet wird. Diese Rolle wird später von Jim Morrison bei den Doors, Freddie Mercury bei Queen oder Steven Tyler bei Aerosmith imitiert werden.

Der junge Mick Jagger wird von vielen mit den Ballett-Göttern Nijinsky und Nurejev verglichen. Und dass seine Anziehung nicht nur Frauen betört, beschreibt der Rockmusiker Pete Townshend in seiner Biografie so:

"Er trug eine weite Hose im Pyjamastil, ohne Unterhose. Als er sich zurücklehnte, konnte ich nicht wegschauen, ich erkannte den Umriss seines Glieds, das an seinem Oberschenkel anlag, lang und dick. Mick war sehr gut ausgestattet. Er erinnerte mich an ein Foto von Rudolph Valentino, der sein Equipment ähnlich präsentierte."

Pete Townsend in 'Who I Am'

Der Stummfilmstar Valentino oder die russischen Balletttänzer Nurejew und Nijinsky: Um sie alle kreisen die Gerüchte der Homosexualität – wir dürfen nicht vergessen, dass homosexuelle Handlungen in den 60ern in England verboten waren. Erst ab 1967 ist Sex zwischen Männern ab 21 keine Straftat mehr.

Tatsächlich Affären mit Männern? Oder nur ein Kokettieren?

Hätte auch gern mal was mit Mick Jagger gehabt: Pete Townsend von The Who.

Auch Mick Jagger werden immer wieder Affären mit Männern nachgesagt. Etwa mit dem Stones-Manager Andrew Lloog Oldham, mit dem er angeblich eine Zeit lang im selben Bett schläft. In einem Interview mit dem britischen Magazin The Face gibt Jagger 1983 zu, dass er auch mit Männern Sex hatte. Aber ob das nun die Wahrheit ist oder ein Kokettieren mit dem eigenen Image, an dem Jagger Zeit seines Lebens gearbeitet hat, steht außen vor. In jedem Fall kann Mick Jagger seine Anziehungskraft von Anfang an unnachahmlich gut einsetzen. Und so fühlen sich Frauen und Männer angesprochen, wenn er für die damaligen Zeiten äußerst explizite Rocksongs singt: "Let’s spend the night together" aus dem Dezember 1966 ist quasi die geschlechterübergreifende Fortführung von Elvis Presleys heterosexuellem "One night with you": Komm, lass uns Spaß haben.

Der US-amerikanische Musikjournalist Philip Norman widmet sich in Jaggers Biografie – wie so viele andere – ausführlich den Lippen des Stones-Frontmannes. So sinnlich, so riesig, so unersättlich – kein Wunder, dass das Logo der Band, eben ein gezeichneter Mund, untrennbar verbunden ist mit dem Gesicht ihres Sängers. Philip Norman weist darauf hin, dass dicke Lippen Mitte der 50er in England ein abwertendes, rassistisches Symbol für Schwarze waren. Insofern irritiert Mick Jagger schon als Teenager sein Umfeld: ein junger Weißer mit den Lippen eines Schwarzen.

Spiel mit den Geschlechterrollen

Ähnlich vereint er in seinem Gesangsstil Geschlechter und Ethnien. Jaggers Stimme, so sein Biograf, ist eine Mischung aus allen möglichen Südstaaten-Akzenten von Scarlett O’Hara bis zu Sonny Boy Williamson. Doch nicht nur beim Singen spielt Jagger mit regionalen Akzenten und Stimmhöhe, er tut das auch beim Sprechen, kokettiert mit seinem Cockney und beißt fast schon auf die Konsonanten.

In der Fernsehshow "The Rolling Stones Rock’n’Roll Circus" zeigt Mick Jagger einmal sein perfektes Spiel mit Geschlechtlichkeit: Er trägt eine rote Uniform zum schwarzen Zylinder, die langen schwarzen Haare sitzen perfekt, das blasse Gesicht ist glatt, die Augen geschminkt – man hat fast das Gefühl, einem Schneewittchen in Männerkleidung gegenüber zu stehen. Beim Stones-Auftritt am Ende der Show dann trägt Jagger hautenge Hosen und ein Shirt, das er bald auszieht – um seinen dünnen, durchtrainierten Oberkörper zu zeigen, während er "Sympathy to the devil" singt.

In den 60ern ein Paar: Mick Jagger und Marianne Faithful

Der Rock’n’Roll Circus der Stones wartet übrigens auch mit einem Auftritt von Marianne Faithfull auf, die zu dieser Zeit offiziell die Lebensgefährtin von Mick Jagger ist und gerade sein Kind verloren hat. Faithfulls Ruf wandelt sich während ihrer Beziehung mit Jagger, sie wird von der reinen Jungfrau zum gefallenen Drogen-Engel. Kurz nach ihrem Kennenlernen schreibt Jagger gemeinsam mit Keith Richards einen Song für sie, der später auch ins Stones-Programm wandert, "As tears go by", den Marianne Faithfull 1964 zum Hit macht.

Ihre Beziehung mit Mick Jagger beginnt vier Jahre später. Und es gibt viele Geschichten über dieses Rock’n’Roll-Paar, die fast immer mit sexuellen Praktiken und heftigem Drogenkonsum zu tun haben. 1967 geht Jagger sogar ins Gefängnis wegen illegalen Drogenbesitzes – ganz der britische Gentleman verschweigt er vor Gericht, dass diese Drogen Marianne Faithfull gehören. Kurz darauf veröffentlichen die Stones den Song "We love you" und drehen dazu auch einen kleinen Film, der die Gerichtsverhandlung des Dichters Oscar Wilde nachstellt. Oscar Wilde stand wegen Unzucht mit jungen Männern vor Gericht und wurde zu schwerer Zwangsarbeit verurteilt. Natürlich mimt Jagger den sprachgewandten Dichter in Schutz in diesem Video: Wilde hatte in seinem Werk die ewige Jugend ebenso wie laszive Sinnlichkeit verherrlicht. Die BBC zeigt das Filmchen der Stones nicht, "We love you" erreicht 1967 nur Platz 8 der Singlecharts.

Brian Jones, das Sorgenkind

Das Sorgenkind der Stones: Brian Jones.

In den folgenden Jahren sorgen sich die Stones um ihren Bandkollegen Brian Jones, dessen Drogenkonsum inzwischen besorgniserregend geworden ist. Jaggers Biograf Philip Norman beschreibt, wie sehr die Band sich um ihren Freund und Kollegen kümmert, und dass besonders Mick Jagger immer der Erste ist, der wissen will, wie es Jones geht. Dennoch einigten sich die Rest-Stones auf eine Trennung von Brian Jones, gekoppelt mit einem großzügigen Pay-Out. 1969 wird Brian Jones tot in seinem Swimmingpool gefunden.

Wenige Tage später treten die Stones im Londoner Hyde Park auf. Der erste Song ist ein Lieblingslied von Brian Jones, "I’m yours and I’m hers" – doch nicht nur die Quasi Mrs. Jagger, Marianne Faithfull, ist im Publikum, sondern auch seine neue Geliebte Marsha Hunt, die bald die Mutter von Jaggers erster Tochter sein wird. Wenig später überlebt Marianne Faithfull einen Selbstmordversuch und lässt Jagger für einen italienischen Fotografen sitzen. Über ihre Trennung schreibt Faithfull später:

"Für eine narzisstische Persönlichkeit wie Mick ist es nicht akzeptabel, verlassen zu werden. Es ist verboten. Aber ich bin mindestens genauso narzisstisch wie Mick und habe davon nichts verstanden. Ich bin einfach abgehauen, bevor ich rausgeschmissen wurde."

Marianne Faithful in ihrer Autobiografie

"You can’t always get what you want" ist ein Satz, den Mick Jagger kaum akzeptieren kann. Seit Mitte der 60er ist er ein Popstar, dem Männer wie Frauen zu Füßen liegen. Diesem vermeintlichen Angebot an Geschlechtergerechtigkeit zum Trotz verhält sich Mick Jagger in seinen Beziehungen so patriarchalisch, wie es typisch ist für seine Generation.

Eigentlich doch ein guter Junge? Jagger schickte Groupies wieder zurück zu ihren Eltern.

Jaggers Biograf Philip Norman beschreibt etwa, wie Jagger die Eltern eines jungen Mädchens anruft, das nach wildem Groupie-Sex mit der halben Band erzählt, es sei von Zuhause weggelaufen. Die Eltern holen das Mädchen ab, das nach einem Gespräch mit Mick Jagger reumütig nach Hause zurück will. Auch in seinen Beziehungen will Jagger immer der Chef bleiben. Wie verliebt er auch ist, sobald Fans auftauchen, lässt er die Hand seiner Freundin fallen. Die darf ihn auch nicht im Studio besuchen. Oder gar auf Tour im selben Hotelzimmer wohnen. Was sollen die Fans über seine Unabhägigkeit denken? John Lennon konnte darüber nur lächeln:

"Wir waren nie so sehr davon abhängig, dass uns die Fans lieben wie andere. Nicht so wie Jagger. Er ist der Charlie Chaplin des Rock'n'Roll. Heiraten kann er sich nicht leisten, die Stones würden das nicht überleben."

Zitat aus Ray Coleman 'Lennon. The definitive biography'

Auch wenn Mick Jagger bei einem offiziellen Empfang sogar mal eine Unterhaltung mit Prinzessin Margaret abbricht, weil seine Freundin beleidigt abrauscht, bleibt er in seinen Beziehungen immer ein absoluter Macker. Was auch der Song "Under my thumb" zeigt.

Ist er nun ein Rock-Macho? Oder doch ein gegendertes Disco-Tier?

In ihrer Autobiografie schreibt Marianne Faithfull, dass ihr von Anfang an klar war, dass Mick Jagger bisexuell ist. Und dass seine eher weiblichen Qualitäten wie Sensibilität und Inituition einen Teil seines Erfolgs ausmachen. Mick Jagger selbst hat sich nie wirklich zu seiner Vergangenheit geäußert in der Öffentlichkeit. Ja, man kann sogar sagen, er hat sich bis heute immer wieder aus allem herausgewunden, indem er betont hat, er könne sich an nichts erinnern. Deswegen gibt es bis heute keine autorisierte Biografie und keine Autobiografie von ihm. Ganz im Gegensatz zu Bandkollege Keith Richards, dessen Autobiografie 2010 erschienen ist. Und schon im Klappentext betont Richards, dass er sich im Gegensatz zu Mick Jagger an alles erinnern kann:

"Das ist mein Leben. Glauben Sie mir oder nicht. Ich habe nichts davon vergessen."

Keith Richards in seiner Autobiographie

Richards erinnert sich zum Beispiel an die 1972er Tour der Stones, auf der Mick Jagger beim Song "Star Star" auf einem riesigen aufblasbaren Glied reitet – mit Ausnahme der Konzerte in Texas, für die diese Showeinlage zu heiß war. Rodeo auf einem Schniedel – ein guter Anlass für Fans und Kritiker, einmal mehr über die sexuelle Ausrichtung von Mick Jagger und die Größe seines Geschlechts nachzudenken.

Eine dümpelnde Filmkarriere und politische Songs

1970 kam der Film "Performance" in die Kinos, der erste Film, in dem Mick Jagger eine Hauptrolle übernahm. Neben ihm spielt Anita Pallenberg, zu dieser Zeit mit Keith Richards liiert. Auch wenn manch Jagger-Fan ihm eine große Zukunft als Schauspieler prognostiziert hatte – der Film floppt; vielleicht auch wegen der sehr ausführlichen Sexszenen zwischen Pallenberg und Jagger. "Performance" bekommt eine Menge mieser Kritiken und wird später mit dem Stempel "Rock’n’Roll-Kult" zum Klassiker. Für den Film "Performance" nimmt Mick Jagger zum ersten Mal eine Single solo auf.

Black Power Aktivistin Angela Davis

Es gibt nur wenige Stones-Songs, die eindeutig politisch zu verstehen sind. Neben dem "Street Fighting Man" und "Undercover of the night" ist da vor allem "Sweet Black Angel" vom Album Exile on Main Street: Ein Protestsong, der sich gegen die Anklage der Black Power Aktivistin Angela Davis wendet. Was Jagger zur Nummer eins auf der Hassliste von J. Edgar Hoover, FBI-Chef der damaligen Zeit macht.

"Ist Mick Jagger Ehefähig?"

Mick Jagger ist Vater von sieben Kindern und Großvater von vier Enkelkindern. Schon in den 60ern heizt vor allem die britische Skandal-Presse den Fans ziemlich ein, indem sie die Ehefähigkeit der Stones in Frage stellt: "Would you let your sister go with a Rolling Stone?" oder "Would you let your daughter marry a Rolling Stone?", liest man häufig auf den Titelseiten der Yellow Press.

Albumcover "She's the Boss" von Mick Jagger | Bild: Warner/Atlantic

Albumcover "She's the Boss" von 1985

Umso ironischer erscheint der Titel von Mick Jagger 1985 veröffentlichtem ersten Soloalbum: She’s the Boss – Jagger ist bereits von seiner ersten Frau Bianca geschieden und lebt mit dem texanischen Model Jerry Hall zusammen, mit der er 1985 bereits zwei Kinder hatte. Auf She’s the Boss spielen eine Menge bekannter Musiker mit wie Jeff Beck, Nile Rodgers, der das Album auch mitproduziert hatte, aber auch Jazz-Fusion-Pianist Herbie Hancock. Das Album erreicht die Top Ten in USA und England und in Deutschland. Und der Slogan "She’s the Boss" könnte schon fast als Friedensangebot an viele Feministinnen verstanden werden, denen Jaggers Macho-Tum gehörig auf die Nerven geht.

Kurz nach der Veröffentlichung seines ersten, gleichnamigen Soloalbums steht Jagger gemeinsam mit David Bowie im Wembleystadion und singt eine Coverversion des Martha & The Vendellas-Heulers "Dancing in the street" auf der Bühne von Live AID. Das Festival, dessen Einnahmen für Hungernde in Äthiopien gespendet werden, macht das Duett der beiden Superstars zum Megahit. Und wieder kommt die Frage nach der möglichen Homosexualität von Mick Jagger auf den Tisch. Im dazugehörigen Videoclip tanzt der früher extrem androgyne Bowie mit Jagger herum wie die Mädels aus der Cheerleader-Truppe. Die beiden singen Nase an Nase und wackeln gehörig mit ihren Popos.

Jagger leidet laut Richards am "Lead Singer Syndrom"

Mick Jaggers zweites Soloalbum Primitive Cool ist nicht mehr so erfolgreich wie sein erstes. Er arbeitete trotzdem weiter solo und lässt dabei die Stones auch nicht aus den Augen. Mit den 80ern endet dann der Kalte Krieg zwischen Mick Jagger und Keith Richards – Richards war mit Jaggers Soloeskapaden mehr als unzufrieden gewesen und hatte das auch in der Öffentlichkeit angesprochen. In einem Fernseh-Interview mit dem Sender FORA.tv vor drei Jahren nennt er Jaggers Verhalten das "Lead Singer Syndrom". Der Frontmann verlässt sich immer auf seine Band. Die wiederum kann sich aber nicht auf ihn verlassen.

"For a lead singer, for the front man, it is important that he feels totally confident he has a band behind him that not's gonna fall apart, if he tries anything, be ludacris if you like. we'll be there. At the same time the band might not feel the same about the lead singer."

Keith Richards im Interview mit dem Sender FORA.tv

Beschert Jagger das "Lead-Singer-Syndrom": Keith Richards.

Keith Richards hat Mick Jagger nicht nur auf der Bühne immer den Rücken freigehalten. Er hat ihm auch seine Soloplatten verziehen. Mit dem Stones-Album Steel Wheels und der dazugehörigen Tour 1989 kehrt Friede ein im Hauptquartier der Stones. 1993 dann erscheint Jaggers drittes Soloalbum, Wandering Spirit. Als Produzenten hat Mick Jagger Rick Rubin eingekauft. Aus der Superstar-Liga darf diesmal nur Chili-Peppers-Bassist Flea mittun - und Lenny Kravitz, als Duettpartner in der Bill Whithers-Nummer "Use Me".

Ganz schön viel Synthesizer-Geknödel für einen Rolling Stone war im Song "Use Me" – und genau das war der Hauptkritik-Punkt an Jaggers drittem Soloalbum. Jagger, der damals gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, wendet sich wieder mehr den Stones zu; Band-intern gibt es auch einiges zu tun: Der langjährige Bassist Bill Wyman geht in Rock-Rente und wird von dem Funky Man Darryl Jones ersetzt.

Ein weiteres Soloalbum und der Ritterschlag

Steht schon immer zu allen seinen Falten, auch jetzt in seinen 70ern.

2001 erscheint Jaggers viertes Soloalbum Goddess in the doorway, das mäßig erfolgreich ist. 2003 dann wird Jagger vom Prince of Wales höchstpersönlich zum Ritter geschlagen, was vor allem Keith Richards und viele Fans ziemlich entsetzt – ist das noch Rock’n’Roll? Für den 60jährigen Jagger schon, der aber auch als Sir Michael keine wohltätigen Ämter übernimmt. Ganz langsam wird es ruhiger um Jagger, die Gerüchte ranken nun weniger um Liebschaften oder Drogenkonsum als um vermeintliche Frischzellenkuren in österreichische Kurhotels. Doch Faceliftings, die besonders alternde Hollywoodstars wie James Brolin machen ließen, sind bei Mick Jagger bis heute nicht zu erkennen; es gibt weder ein Schönheits-OP-Gate von ihm wie bei Berlusconi noch ein Haarefärben-Gate wie bei Gerhard Schröder. Mick Jagger scheint einverstanden zu sein damit, dass das Alter Spuren hinterlässt in seinem Gesicht. Seine Vitalität ist ungebrochen – und seine Epigonen loben ihn auch im Rock’n’Roll-Rentenalter, wie etwa im Song "Moves like Jagger" von Maroon 5.

Mick Jagger, der Unsterbliche: 2011 gründet er die Band SuperHeavy mit Dave Stewart, Joss Stone und anderen, um verschiedene Musikstile zu verbinden: Rock und Reggae und Dancehall und Soul und Weltmusik. Im Video von "Miracle Worker" tanzt Jagger vital und beweglich – den Rock-Opa sieht man ihm nicht an. Er hat den Tipp, den ihm Tina Turner zu Beginn seiner Karriere gab, wirklich beherzigt: Engagiert schwingt er auch im Rentenalter die Hüften, fesch gekleidet in einen knallpinken Anzug. "Eternal Teenager Syndrome" nennt das Jaggers Biograf Philip Norman – kein Wunder nach 6 Jahrzehnten als Rock-Ikone.

Fazit: ein kalkulierter Frauenversteher

Mick Jagger und die Stones, so wie man sie kennt.

Zurück zu unserer eingangs gestellten Frage: 70 Jahre Rock-Macho oder gegendertes Disco-Tier? Die Antwort liegt wohl in der Mitte. Es mag sein, dass auch Jaggers gute Erziehung ihn in seinem Verhalten zu einem Frauenversteher gemacht hat. Allerdings einen patriarchalen Frauenversteher. Der die Fähigkeit des Verstehens sehr stark ausgenutzt hat. Für Geschlechtergerechtigkeit steht Mick Jagger deshalb keinesfalls. Viel mehr war sein Spiel mit der Anziehungskraft auf beide Geschlechter immer schon kalkuliert: Er wusste, dass der Abgrund des Verbotenem immer in Reichweite ist. Und dass ein Spiel mit dem Feuer für Aufmerksamkeit sorgt.


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