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The Gun Club Das schnelle Leben des Jeffrey Lee Pierce

Blues, Country und Punk, das sind die großen Eckpfeiler, an denen die Musik von Jeffrey Lee Pierce hängt. Prägend war er mit seiner Band, dem Gun Club, für viele in den achtziger Jahren. Und auch heute noch zählt beispielsweise Jack White ihn zu den ganz großen Einflussgebern.

Von: Sabine Gietzelt

Stand: 14.02.2013 | Archiv

Jeffrey Lee Pierce 1985 in Belgien | Bild: Yves Lorson / Wikimedia Commons

Jeffrey Lee Pierce hatte nicht unbedingt Starpotential. Weder war er einer dieser schönen, charismatischen oder zumindest gut gestylten Frontmänner, noch machte er es anderen besonders leicht, ihn zu mögen. Und er hatte auch nicht das Glück, im richtigen Moment aufzutauchen, wie beispielsweise Kurt Cobain.

Jeffrey Lee Pierce gab sich weder beunruhigend verletzlich, noch benahm er sich auffallend selbstherrlich oder inszenierte sich wie so viele seiner Drogen- oder Alkohol-affinen Kollegen. Allerdings wirkte er durchaus obsessiv und zerrissen, mitunter ein bisschen larmoyant. Das auffallendste Merkmal an ihm waren seine zeitweise etwas sonderbar blond, eher gelb gefärbten Haare und sein gern getragener Cowboyhut, der zu dem Namen seiner Band hervorragend passte.

Gelbe Haare unter Cowboyhut

Jeffrey Lee Pierce schrieb beeindruckende Songs, und spielte die mit seiner Band, dem Gun Club, so intensiv, dass nicht nur der Autorin dieser Zeilen eine Zäsur in die musikalische Sozialisierung gehackt wurde.

Blues, Country und Punk, das sind die großen Eckpfeiler, an denen die Musik von Jeffrey Lee Pierce festgenagelt ist. Die erst zwei Jahre nach seinem Tod erschienene Autobiographie „Go Tell The Mountain“, auch der Titel einer seiner Songs, erinnert nicht zufällig an das Spiritual „ Go Tell It On The Mountain“.

Bevor The Fire of Love, die erste Gun Club -Platte, erscheint, schreibt Pierce für das Splash, ein legendäres US-amerikanisches Fanzine. Er hört Roxy Music und die Sparks, er interviewt Bob Marley und ist begeistert von Reggae, aber als 1976 das Debutalbum von Blondie erscheint, wird alles anders.

Blondie verändert Leben

Dank seines genau passenden Alters landet Pierce mit seiner Passion für Musik mitten im Urknall von Punk. Er hört X, Richard Hell und Television, die Cramps sind - wie er auch - aus Kalifornien und er wird Vorsitzender des Blondie-Fanclubs.

Es hält ihn nicht länger in Kalifornien, er reist: New York, Miami, New Orleans, Jamaica. Jazz, Voodoo und der Blues. All das begeistert ihn. Sein Faible für Voodoo spiegelt sich auch auf dem Plattencover von "Fire Of Love" wieder.

Zurück in Los Angeles lebt er schließlich in einer WG mit Keith Morris , Musiker bei den kalifornischen Punkbands Black Flag und später Circle Jerks, der - so will es die Legende - den Namen Gun Club für Jeffrey Lees Band vorgeschlagen hat. Pierces langjähriger Musikerfreund Kid Congo ist mit in der Band, bei den Aufnahmen für "Fire Of Love" fehlt er aber.

"Fire of Love", die vielleicht beste Gun Club-Platte

"Fire of Love", erscheint 1981 - für viele die beste Gun Club-Platte . Auf jeden Fall ein phantastisches Debut. Der Sound darauf ist einigermaßen verstörend. Aggressiv, zutiefst verletzt, eine Attacke von einem Offenbarungseid. "Fire Of Love" beginnt mit einem Song, vor dem Eltern und Aufpasser damals gewarnt hätten, wenn sie von ihm gewusst hätten. Aber sie wussten nicht. Wie so viele andere auch. Der erste Song auf diesem Debut hieß: "Sexbeat".

Die zweite Platte wird in zwei Monaten Studiozeit aufgenommen, fast schon ein Langzeitprojekt für Pierce damals. „Miami“ brilliert optisch mit den einsamsten Palmen , die je ein Plattencover geziert haben, zwei Palmen vor grünem Himmel. Die Platte gibt es allerdings auch mit blauem Cover. Inhaltlich ist mehr Country und Rockabilly als Blues zu hören. Und auch diese Platte gilt als Must-Have in jeder Punk-Plattensammlung.

"Miami" mit Palmen vor grünem Himmel

Produziert hat diese Platte Chris Stein, der Produzent von Blondie. Und außer phantastischen Songs gibt es auf "Miami" noch etwas zu entdecken: Debbie Harry selbst ist mit dabei. Versteckt hinter dem Pseudonym D.H. Lawrence, aber durchaus hörbar. Auch auf dem nächsten Album "The Las Vegas Story" von1984 dankt Pierce seinem Idol Debbie Harry explizit.

1984 folgt mit "The Las Vegas Story" das dritte Album: deutlich aufwändiger, etwas milder. Das darauf folgende Album ist allerdings nicht mehr vom Gun Club. Der ist auf Eis gelegt, wird 1986 aber reformiert.

Der Gun Club macht Pause

 „Wildweed“ erscheint 1995 unter dem eigenen Namen und Jeffrey Lee Pierce posiert auf dem Cover mit geschulterten Gewehr . Aber es ist ein etwas sanfter klingender Pierce auf „Wildweed“ zu hören. Viele finden ihn solo sogar besser.

Der neue Wohnsitz von Pierce in London macht plötzlich ganz andere Kontakte möglich. Der aktuelle Schlagzeuger spielt sonst bei The Cure und 1986 nimmt Pierce mit Robin Guthrie, der früher bei den sehr atmosphärischen Cocteau Twins war, mit Mother Juno ein neues Gun Club Album auf. Auch Kid Congo Powers, der alte Freund, ist wieder mit dabei. Und als special guest: Blixa Bargeld. Mother Juno wird mit offenen Armen von den Fans aufgenommen.

Außer den regulären Platten sind unzählige Raubkopien und Bootlegs vom Gun Club im Umlauf. Und auch die gern und oft wechselnden Besetzungslisten sind legendär. Aber wenn man es genau nimmt, war es immer nur Jeffrey Lee Pierce, der mit anderen Musikern für sich gespielt hat.

Als seine größten Fans bezeichnen sich Nick Cave, Henry Rollins und Jack White. Und bei dem kann man es sogar hören.

Nick Cave, Henry Rollins, Jack White: Fans

Als ich Jeffrey Lee Pierce Mitte der achtziger Jahre interviewt habe, ging es ihm gerade ausnahmsweise mal sehr gut. Er steckte in einer musikalisch erfolgreichen Phase und war auch noch frisch verliebt. Seine Freundin Romi Mori, erst Gitarristin, später Bassistin im Gun Club, wuselte in der Küche und kochte, Pierce war entspannt und für seine Verhältnisse ausgesprochen redselig. Freundlich, nett. Offen. Die Trennung von Romi viele Jahre später warf ihn zurück in seinen selbstzerstörerischen Lebenswandel, der so gut zu der Musik passte, die ihn begeisterte und prägte.

Bereits mit 29 Jahren wurde bei ihm Leberzirrhose diagnostiziert, woraufhin er kurzzeitig versuchte, sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Aber auch das reichte nicht. Seine Gesundheit blieb instabil und als es ihm 1993 psychisch und auch körperlich Besorgnis erregend schlecht ging, nahm Pierce Lucky Jim auf und zeigte sich als manischer Gitarristen und Sänger.

Gesundheit: eher instabil

Jeffrey Lee Pierce war nicht unumstritten. Man hat ihm sein Interesse an Kriegsszenarien und rassistische und sexistische Plattentexte vorgeworfen. Pierce hat darüber nur gelacht und auf seine Vorbilder, die alten Blueser Robert Johnson und Muddy Waters und auf deren Texte verwiesen. Dass das keine faule Ausrede war, belegt seine Musik hinreichend. In Holland hat er ein recht unbekannt gebliebenes klassisches Bluesalbum aufgenommen. Er nannte sich darauf: Ramblin' Jeffrey Lee & Cypress Grove with Willie Love.

Am Ende ging es Jeffrey Lee Pierce wie so vielen seiner Gesinnungs-Brüder und Schwestern im Geiste. Die fatale Zerrissenheit, die gleichzeitig so viel Kreativität freigesetzt hat, hat ihn am Ende das Leben gekostet. Gestorben ist Jeffrey Lee Pierce am 31. März 1996 an den Folgen seines selbstzerstörerischen Lebenswandels, seine Leber war zerstört. Es heißt, er sei HIV positiv gewesen. Als Todesursache wurde ein Hirnschlag diagnostiziert.

Am Ende: Hirnschlag

Jeffrey Lee Pierce wurde 37 Jahre alt. Vor seinem Tod war er Buddhist geworden und außerdem großer Fan von Rap und Hip Hop. Sein neuestes Interesse galt etwas, was er als „Rapanese“ bezeichnet hatte, seine eigene Erfindung... eine Mischung aus Japan und Hip Hop.

2010 erschien noch einmal Musik von Jeffrey Lee Pierce. Ein Demotape mit den Fragmenten von drei Songs war aufgetaucht, zu dem Freunde, Fans und Musikerkollegen fehlende Spuren und Teile ergänzten: We Are Only Riders. Das Jeffrey Lee Pierce Sessions Project mit Nick Cave, Henry Rollins, Mark Lanegan, Lydia Lunch u.a.

 Aber etwas ganz wichtiges fehlt darauf, das unvergleichliche und sofort identifizierbare Heulen von Jeffrey Lee Pierce.


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