Kante Erinnerungen an die Hamburger Schule
Fast könnte man decken, sie ducken sich gerade am Theater ein wenig weg: Kante sind aber immer noch eine der besten deutschsprachigen Bands der letzten Dekade. Trotz - oder gerade weil sie ans Theater sind. Den Weg dorthin schildert Frontmann Peter Thiessen im Playback.

Die meisten deutschsprachigen Bands sind meist nur die Summe ihrer einzelnen Teile – bis auf eine: Kante haben mit ihrer "Summe der einzelnen Teile" die Post-Hamburger-Schule-Ära entscheidend geprägt. Kante waren immer schon mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile. Hinter der Band steckt eine alte Sandkastenfreundschaft und zwar zwischen dem Sänger und Songschreiber Peter Thiessen und dem Schlagzeuger Sebastian Vogel.
"Den Sebastian Vogel, den Schlagzeuger, den kenn ich tatsächlich von einem Spielplatz, der zwischen den Wohnungen seiner und meiner Eltern war, als wir beide gerade laufen gelernt haben. Und unsere Eltern haben sich dann angefreundet. Und seitdem sind auch wir befreundet. In der Grundschule waren wir nicht zusammen, aber im Gymnasium waren wir zusammen – und seitdem haben wir auch die Band. Also seitdem wir 17 sind ungefähr, da hat es angefangen."
Peter Thiessen
Die musikalische Sozialisation verläuft bei beiden sehr unterschiedlich: Peter Thiessen stammt aus einer klassisch geprägten Musikerfamilie und kannte bis zu seinem 15. Lebensjahr keine Popmusik, Sebastian Vogel dagegen hörte schon früh Prince oder Run DMC. Der Konsens auf den sich beide einigen konnten: Hardcore.
"Eigentlich sind unsere Wurzeln wirklich im Hardcore. Aber ich zum Beispiel hab mich damals auch schon relativ intensiv für Jazz interessiert. Wir haben einige Zeit sehr verfrickelte Musik gemacht, also sehr sportlich, jede Menge krumme Takte, mit Zählen und so. Das war vor allem mir dann irgendwann zu langweilig. Ich fand das zu sportlich, zu muckermäßig vielleicht. Dann hat mich und die Band sich lange aufbauende Strukturen auszuprobieren interessiert. Das war auch die Zeit als Postrock aufkam, das fanden wir natürlich auch interessant."
Peter Thiessen
Postrock , was sich aus dem Punk heraus entwickelte, erlebte Mitte der 90er mit Bands wie Tortoise gerade seinen Höhepunkt. Kantes erste Platte "Zwischen den Orten" veröffentlichten sie genau zu diesem Zeitpunkt vor 15 Jahren auf dem Berliner Label "Kitty Yo". Und der Name "Zwischen den Orten" war Programm: der Hardcore-Background umnebelt von softem Kraut- und Postrock, alles zumeist instrumental. Die wenigen Texte aber, mit einer deutlichen Prägung der Hamburger Schule. Alle sieben Songs auf dem Debütalbum haben für Peter Thiessen bis heute ihre Spannung gehalten.
"Es gibt immer wieder so Leute, die mir jetzt immer noch sagen, das war eure beste Platte. Ich merke jetzt immer wieder im Rückblick, dass da ganz viel etabliert drauf ist, was uns heute immer noch interessiert. Es gibt so ein Stück das heißt Technique Du Sport, was eine Mischung ist aus vertrackter Rhythmik, relativ kompliziert zu spielen, die aber nicht so vordergründig ausgestellt ist, sondern die dazu dient eine bestimmte Mechanik zu etablieren, die dann wie von selbst eine bestimmte Kraft entwickelt. Und so etwas interessiert uns heute immer noch."
Peter Thiessen
"Zwischen den Orten" und der Hamburger Schule
Als Kante ihr Debüt "Zwischen den Orten" 1997 veröffentlichten war "L'etat et moi" von Blumfeld schon drei Jahre alt. Die "Reformhölle" von Cpt. Kirk &. gar schon fünf Jahre. Die erste Single der Kolossalen Jugend erschien knapp 10 Jahre vor Kante. Da stellt sich die Frage, wie viel Hamburger Schule steckt in Kante?
"In meiner Erinnerung waren wir als Kante nie so sehr Teil von dem was ich unter Hamburger Schule verstanden hab - was ja eh ein Begriff ist, den sich die Bands nicht ausgedacht haben und man auch nicht von selber verwendet hätte. Wir sind so gesehen auch jünger als die Leute. Für mich waren das damals und heute: Blumfeld, Kolossale Jugend, Cpt. Kirk & und auch die Goldenen Zitronen. Das ist so der Kern. Ich würde mich mit fremden Lorbeeren schmücken, wenn ich das jetzt sagen würden, das wir das wesentlich mitgeprägt haben. Das glaube ich nicht."
Peter Thiessen
Für Peter Thiessen zählt aber die Haltung, die die Hamburger Schule Bands vermittelten: die politische linke Orientierung, die Entschiedenheit im Auftreten und einer gewissen Verschrobenheit. Und die findet man auch auf dem zweiten Kante-Album "Zweilicht" wieder.
"Da hat uns alles mögliche gleichzeitig interessiert, da haben wir nochmal ganz viel Musik neu kennengelernt. Da gibt's von nem Rockstück wie Die Summe der einzelnen Teile bis zu dem Stück Best Of Both Worlds, was fast ein elektronisches Stück ist, gibt es da eine sehr große Brandbreite. Das find ich im Nachhinein ziemlich abgefahren, dass wir das so gemacht haben und das wir das auch so hinbekommen haben. Letztendlich ist das doch gut gelungen."
Peter Thiessen
Thiessen war zu der Zeit als er mit Kante "Zweilicht" 2001 veröffentlichte schon fünf Jahre Bassist bei Blumfeld, der Band von Jochen Distelmeyer. Alle Bandmitglieder bei Kante hatten oder haben ihre Nebenprojekte: Gitarrist Felix Müller kennt man von der Gruppe Sport, Keyboarder Thomas Leboeg von Iso68 und Sebastian Vogel saß zwei Jahre bei Christiane Rösingers Band Britta hinter den Drums. Aber am interessantesten war immer das Verhältnis zwischen Peter Thiessen und Jochen Distelmeyer, da sie beide zwei außerordentlich talentierte Songschreiber sind.
"Was wahrscheinlich der Hauptunterschied ist, Jochen ist genuin wirklich ein Sänger und Texter. Wenn ich über mich selber nachdenke, würde ich sagen: ich bin beides eigentlich nicht wirklich. Ich bin mehr Instrumentalist oder Songwriter. Mir fällt kein Zacken aus der Krone, wenn ich mal zwei Jahre keine Texte schreibe und ich hab auch kein Bedürfnis danach. Es ist nicht so, dass ich da sitze und denke ich hab da was aufm Herzen, was die Welt unbedingt hören muss. So eine Art von Sendungsdrang habe ich nicht. Das glaube ich, hat Jochen sehr viel mehr. Ich nehme mich auch nicht als wirklicher Sänger wahr. Da mach ich halt das was ich irgendwie so kann und es irgendwie so mache, aber ich kann das nur genau auf die Art. Und Jochen ist ein richtig toller, auch flexibler Sänger. Wenn der so zu Hause ist, dann singt der so ne ganzen Tag, spielt die Gitarre, singt dazu. Er hat unfassbar viele Coverversionen drauf und singt die unglaublich toll. Und bei ihm würd ich sagen, das ist so ein richtiger Sänger und sein ganzes Leben ist darauf zentriert das zu sein."
Peter Thiessen
Kante haben keine politischen Ecken
2002 stieg Peter Thiessen dann aus bei Blumfeld, die Arbeit am dritten Kante Album "Zombi" begann. Musikalisch wieder jenseits aller Popkonventionen, irgendwo zwischen Free-Jazz der 60er und 70er, südamerikanischen Soundflächen, fast Filmscorehaftem und arty Indie-Rock. Dabei handelt das Album von der Krise, von Schwebezuständen, vom lebenden Zerfall. Also immer noch brandaktuellen Themen.
"Ich finde da ist vieles aktuell dran, vieles aber auch so, dass ich immer wieder denke, man könnte vieles davon noch deutlicher formulieren. Das Titelstück selber, da habe ich schon viel an Flüchtlinge oder Migranten gedacht. So Leute die gezwungen werden in so einem Bereich zwischen Dasein und Nicht-Dasein zu leben. Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und irgendwo im Thüringer Wald in einem Lager leben müssen. Da weiß man gar nicht, sind die da oder sind die weg."
Peter Thiessen
Trotz Songs wie "Zombi" distanziert sich Peter Thiessen davon, ein politischer Songschreiber zu sein. Seine Meinung dazu ist sogar sehr explizit.
"Als ich als Anfang 20-jähriger sehr viel mit Leuten aus einem linksradikalen autonomen Zusammenhang zu tun hatte, hab ich mich immer gescheut zu sagen: Ich mache jetzt politische Texte. Da würd ich mir bei vorkommen wie so ein Schlauberger, der schön daherredet, aber gemütlich auf dem Arsch sitzt und nichts macht. Und so geht es mir oft noch, wenn ich lese eine Band hat jetzt gerade ihre politische Platte gemacht – was ja jede Band dann irgendwann mal macht. Da denk ich immer: Ihr Wichser. Das ist so ein Marketinggag und alle fallen darauf rein. Alle kaufen sich die Platte und denken sich: Boah, was für eine politische Platte. Und man fühlt sich dann für ein paar Wochen politisch, aber verändern tut sich überhaupt gar nichts. Man steckt sich einfach ein paar Lorbeeren an, die nichts bewirken und auch nicht fundiert sind. Und ich finde das tatsächlich auch nicht ehrlich, denn wenn ich ehrlich mit mir bin, dann mach ich Musik einfach weil ich Bock auf Musik habe, aber nicht weil ich politisch was bewirken will. Ansonsten würde ich Radio machen, auf die Straße gehen oder Bücher schreiben. Wenn das wirklich der genuine Impuls ist, dann wäre das der naheliegendere Weg als den Umweg über Songs. Ich verliere mich viel zu gerne in tollen Harmonien und Klängen und da würde ich nicht behaupten, dass das ein politisches Vorgehen ist, was mich da treibt."
Peter Thiessen
Von Hamburger Schule über Jazz zum Stoner Rock
Insgesamt fiel das 2006er Album "Die Tiere sind unruhig" sehr viel rockiger aus. Offenkundiger Einfluss auf der Platte: der Stoner-Rock von den Queens Of The Stone Age. Und die Tatsache, dass Kante etwas suchten, was mehr ihre Stärken als Musiker betont und einfacher, sowie schneller einzuspielen war im Vergleich zur Vorgänger-Platte "Zombi".
Den rockigen Einfluss gab es auch bei der Nachfolger-Platte vereinzelt zu hören, obwohl sie inspiriert war vom ersten Theater- besser gesagt Revueengagement am Berliner Friedrichsstadtpalast. Die Revue "Kante plays Rhythmus Berlin" war der erste Kontakt zum Theater, die Songs auf der Platte hatten aber relativ wenig mit der Revue-Show zu tun. Seitdem hängt Peter Thiessen zusammen mit Kante ein wenig am Theater fest. Verantwortlich dafür die Berliner Regisseurin Friederike Heller, die Kante vom Friedrichsstadtpalast ans Wiener Burgtheater für die Inszenierung von Peter Handkes "Spuren der Verirrten" holt. Die Regisseurin und Kante verstehen sich so gut, dass weitere acht Stücke auf verschiedenen Bühnen Deutschlands folgen: Brecht und Sophokles in Berlin, Goethe in Dresden, Voltaire in München. Bei allen Inszenierungen ist die Band mit auf der Bühne dabei. Dadurch klingen die Stücke auch immer nach Kante.
"Es ist so ein Haufen verschiedener Gründe warum da jetzt ein paar Jahre hängengeblieben sind. Für mich ist das so, dass es in Hamburg ein paar Jahre gab, wo die Hamburger Schule insofern funktioniert hat, dass es zwei, drei Clubs oder Kneipen gab, wo man sich jeden Abend getroffen hat. Und da gab es einen großen Anteil an Labern über interessante Sachen, mit der Auseinandersetzung bestimmter Thematiken. Und in meiner Wahrnehmung hat das irgendwann abgenommen, weil Clubs zugemacht haben oder Leute weggezogen sind. Für mich war das immer ein total wichtiger Teil des Musikmachens. Und das hab ich im Theater tatsächlich irgendwie wiedergefunden, das man da auf einmal so einen Freiraum hatte, wo man so ganz ungestört so in die Tiefe denken konnte. Das mag ich extrem gern."
Peter Thiessen
Natürlich ist es auch so, dass man bei einem Engagement beim Theater auch mit einem festen Einkommen für einen festen Zeitraum rechnen kann. Was vielen Musikern, gerade den älteren Semestern, immer besser in die Biografie passt.
"Und es hat auch damit zu tun, dass man heutzutage über Platten rausbringen kein Geld mehr verdienen kann. Wenn man Glück hat, kann man über Live-Konzerte irgendwie Geld verdienen, aber auch nur absolut begrenzt, wenn man nicht gerade total abgeht. Und das war bei uns auch so. Und bei mir war es so, dass ich mittlerweile Vater geworden bin und zwei tolle Söhne habe – und das verändert natürlich viel im Leben. Das hat ziemlich stark in meinen künstlerischen Kräftehaushalt eingegriffen. Deswegen kam mir das sehr gelegen mich am Theater mit Stoffen zu befassen, die es schon gibt und mir dazu eben die Musik auszudenken."
Peter Thiessen
Kante goes Tom Waits
Momentan arbeitet Peter Thiessen mit Kante an dem Stück "Black Rider" von Robert Wilson und William S. Burroughs - und die Original-Musik stammt von Tom Waits. Trotz der guten Auftragslage am Theater, freuen sich Kante auch wieder auf ein Leben on the road. Neues Songmaterial von Kante gibt es für drei Platten, aber noch keinen einzigen Text dazu.
"Im Moment hab ich einen genauen Plan, aber ob das dann so sein wird, weiß ich nicht. Aber es gibt eine Reihe von Musiken, die mich in den letzten Jahren sehr beeindruckt und fasziniert haben. Und das ist zum Beispiel Tinariwen, Tuareg Blues, oder ein Bambino auch aus dem Grenzgebiet zwischen Niger und Mali. So etwas find ich toll. So eine Platte wie Bone Machine von Tom Waits ist auch gut. Aber auch Paul Dessau ist klasse. Aber was seit langem als Band ein Plan ist, das wäre eine monochrome Platte zu machen. Wir würden gerne eine Platte machen, die alle Einflüsse aufnimmt, aber man trotzdem das Gefühl hat, es ist ein Stück."
Peter Thiessen
Kante sind die Post-Hamburger-Schule-Band, die ein feines eklektisches Gespür für Pop und um alles abseitige Drumherum entwickelt hat. Ali Farka Toure steht bei ihnen schon immer genauso auf der Playlist wie die Goldenen Zitronen. Wer denkt, das Theater hält sie momentan gefangen, der muss sie dort besuchen gehen und finden wird man eine der wichtigsten deutschen Bands der letzten Dekade – und wohlmöglich auch der nächsten.