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Eine Hommage zum 80. James Brown - Soulbrother Number One

Seinen 80. Geburtstag am 3.Mai 2013 hat James Brown leider nicht mehr im Irdischen feiern können. Wir ziehen posthum noch einmal den Hut vor Mr. Dynamite, dem Soulbrother Number One.

Von: Judith Schnaubelt

Stand: 24.05.2013 | Archiv

James Brown | Bild: picture-alliance/dpa

So now, Ladies & Gentlemen, it’s startime! Are you ready for startime?“ rief Fats Gonder 1962 im ausverkauften Harlemer Apollo Theater.

Yeah“ schrie das Publikum unisono und begeistert zurück. So fingen die Konzerte des James Brown immer an: mit einem Einheizer.

Das gehört einfach zu einer guten Show“, konstatierte der Meister einmal pragmatisch. Er wusste am Besten, wie eine gute Show geht. Wie man einen Hexenkessel anfeuert, zum Brodeln bringt, ihn hoch kochen lässt, wieder runter fährt; Flamme auf ganz klein, um dann wieder nachzulegen. Stundenlang dynamisches Spektakel, Achterbahnfahrt der Rhythmen. Und im Zentrum immer er, der tanzende Derwisch. Klagend, schreiend, stöhnend wirbelt er durchs Fegefeuer, shout and shimmy. Er, der alle mit sich reißt, dabei selbst aber nie die Kontrolle verliert.

The Minister Of The New New Super Heavy Funk

Noch heute ist es undenkbar, sich mit aktueller Black Music näher zu beschäftigen, ohne James Brown respektvoll zu erwähnen, einen der einflussreichsten und meist gesampelten Musiker der Popgeschichte.

Die DNA des Hip Hop, die Breakbeats und Grooves; die Herrschaft des Rhythmus im Pop; die Wiederholung der Wiederholung, der verstärkte Funk; Auf die Eins und die Drei im 4/4-Takt: das alles geht auf ihn zurück. Auf den „Godfather of Soul“, später auch „The Minister of the New New Super Heavy Funk“ genannt.

1967 nehmen James Brown und sein JB Orchestra „Cold Sweat“ auf. Inklusive einem der ersten wichtigen Drumbreaks der Pophistorie, der später x-fach gesampelt wurde. Ja, James Brown veränderte den Beat der Welt. Einer seiner wichtigsten Mitstreiter, Posaunist Fred Wesley, sagte einmal:

"Ich weiß nicht, woher diese Musik kommt, woher er das nimmt. Das kann nicht in Noten aufgeschrieben werden, es ist einfach James Brown."

Fred Wesley

Egal in welcher Besetzung: Es war immer die disziplinierteste Band der Welt, die mit James Brown spielte, weil er absolute Disziplin verlangte. Ob von seiner begnadeten Horn Section um Maceo Parker, Pee Wee Ellis und Fred Wesley. Ob von Schlagzeuger Clyde Stubblefield. Oder von Steve Reid, einem der großen Jazz-Drummer, der als junger Mann auf Browns „Popcorn“  trommelte.

In einem Interview für den Zündfunk hat mir Steve Reid einmal Folgendes erzählt:

"Ich bin nur zweimal zu spät zur Probe gekommen - und schon war ich gekündigt. Trotzdem war er für mich der Größte. Great Respekt to James Brown."

Steve Reid

Die Jugend verbrachte James Brown im Bordell und Knast

Jetzt ein kleiner Rückblick auf die Anfänge des Meisters, mit Auszügen aus Rickey Vincents Buch „Funk“, 1996 bei St. Martins Press veröffentlicht. Und mit Zitaten aus James Browns Autobiographie „Godfather of Soul“, die er zusammen mit Bruce Tucker verfasst hat, 1993 als deutsche Ausgabe im Hannibal-Verlag erschienen.

James Brown wurde am 3. Mai 1933 geboren, in einer Hütte, die nur einen Raum hatte und die in den Kiefernwäldern außerhalb von Barnville, North Carolina stand. Seine Eltern trennten sich, als er vier Jahre alt war. Die Mutter verließ die Familie und James war den ganzen Tag über sich selbst überlassen, weil sein Vater immer arbeitete.

"Ich glaube, wenn man als Kind so viel allein ist, dann wirkt sich das sehr stark aus, so allein in den Wäldern, nachts in einer Hütte, in der sonst niemand ist, keiner mit dem man reden kann. Das hat mich für immer geprägt, das hat mich innerlich unabhängig gemacht. Ganz gleich, was mir später noch alles passierte - Gefängnis, private Probleme, die Schikanen der Regierung - ich konnte mich immer auf mich selbst zurückziehen."

James Brown

Als James Brown sechs Jahre alt war, zog er zu seiner Tante Minnie nach Augusta, Georgia. Sie betrieb ein Bordell und Klein James sah eine Menge Glückspiel, schwarz gebrannten Schnaps und Prostitution. Als Jugendlicher tanzte er für ein paar Pennies, putzte Schuhe, pflückte Baumwolle, sang in der Kirche und fing an zu stehlen. Ein paar mal schickten sie ihn von der Schule nachhause, weil er nicht ordentlich gekleidet war. Als er 16 Jahre war, erwischte ihn die Polizei nach diversen Autoeinbrüchen und er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. 

"Ich war erst ein paar Monate in der Anstalt, da stellte ich schon ein Gospelquartett zusammen. Gospel zu singen ist eine Art Hilfe für die Seele und machte mich zufrieden. Es dauerte nicht lange und die anderen Jungs nannten mich Musicbox."

James Brown

Mit Bobby Bird auf Tour und zum ersten Hit

Anfang der 50er Jahre lernte James den Doowop-Sänger und Musiker Bobby Bird kennen, während eines Footballmatches, bei dem Knastjungs gegen Kids aus dem Ort angetreten waren. Bobby Bird nahm James, nachdem man ihn wegen guter Führung bereits nach drei Jahren aus der Haft entlassen hatte, in seiner Band „The Avons“ auf.

"Unsere erste Probe hielten wir an einem Sonntagnachmittag, im Wohnzimmer von Birds Wohnung. Wir hatten keine Instrumente, nur unsere Stimmen und Birds Klavier, ein altes Walzenmodell. Den Takt schlugen wir mit den Füssen. Ich hielt mich auch auf dem Laufenden über die neuesten Tänze. Den „Slop“, den „Funky Chicken“, bevor er so hieß, den „Alligator“ und den „Camel Walk“. Dann entwickelte ich meinen eigenen „Camel Walk“, bis er schließlich zum „James Brown“ wurde. Man sollte ihn nicht mit dem „Moonwalk“ von Michael Jackson verwechseln. Der ist eigentlich ein „Bicycle“, wie der „Bicycle“ von Chaplin, nur rückwärts."

James Brown

Drei Jahre traten Bobby Bird, James Brown und ihre Mitmusiker in Jukebox-Kneipen, Clubs und Colleges auf und wurden zu doowoppenden Lokalgrößen. Irgendwann gaben sie ihrer Band den Namen „The Famous Flames“, noch ehe sie berühmt waren. Aber: ein Talentscout vom King Records-Label in Cincinnati/Ohio entdeckte die Jungs und lud sie zu Schallplattenaufnahmen ein. Ursprünglich wurden Country-Songs bei King Records produziert, aber in den 50er Jahren gründete Labelchef Sid Nathan das Sublabel Federal für Rhythm and Blues-Produktionen. Johnny Guitar Watson oder Hank Ballard & The Midnighters nahmen hier Hits auf. Und 1956 startete James Brown mit seinem Song „Please, Please, Please“ in Cincinnati seine Karriere.

Es wurde der erste Hit für James Brown, Bobby Byrd und die Flammen. Dabei wollte Sid Nathan, übrigens ein weißer Amerikaner, den Song erst nicht veröffentlichen. Warum nicht, erzählte James Brown in einem Interview mit dem US-amerikanischen „National Public Radio“ im Jahr 2005:

"Sid Nathan hat nicht verstanden, warum ich 26 mal das Wort „please“ wiederholte. Das war natürlich Gospel-Style. Und er hat auch nicht verstanden, warum ich es eher wie einen Beat herausschleuderte. So was hatte er noch nie veröffentlicht."

James Brown

Im Frühjahr 1956 kam die Single aber doch heraus und verkaufte mit der Zeit über eine Million Exemplare. A new Star was born in Cincinnati:  James Brown. Ein Hit nach dem anderen folgte.

Vom Godfather of Soul zum Lehrer der Black Community

Von Cincinnati aus arbeitete er sich dann ostwärts, bis nach New York hinüber, ins legendäre „Apollo Theater“ zu Harlem. Da wollte James Brown dann 1962 eines seiner Konzerte mitschneiden lassen, um anschließend ein Live-Album mit den Aufnahmen zu produzieren. Wieder war Labelchef Sid Nathan nicht überzeugt: „Live-LPs verkaufen sich nicht gut“, meinte er. Und so beschloss James Brown, die Produktion selbst zu finanzieren. Sein Credo:

"Du brauchst Macht, um frei zu werden. Und Du brauchst Freiheit, um kreativ sein zu können."

James Brown

Nachdem das Album „Live at the Apollo“ dann 1963 doch auf King Records erschien, stieg es auf Platz zwei der Album-Charts ein, blieb dort über ein Jahr und wurde ein Millionenseller. Mister Selbstbewusst hatte im Business neue Standards gesetzt. Und 1965 kam schon die nächste Innovation, diesmal musikalisch, mit „Papa's Got A Brand New Bag“. Warum der Song anders war als alles vorher, beschreibt James Brown so:

"Der Song hatte das Feeling des Gospel, bestand aber aus Jazzphrasen. Außerdem hatte er einen völlig anderen Sound. Ewas Scharfes, Zupackendes von den Gitarren und dem Bass her. Jimmy Nolen spielt eine Scratch-Gitarre, wobei er die Saiten hart und schnell gegen die Bünde drückt, um einen scharfen und explosiven Ton zu erreichen. Er griff die Akkorde nur auf drei Saiten. Und Maceo spielte ein fantastisches Saxophonsolo in den Break hinein. „Papa’s Bag“ war seiner Zeit um Jahre voraus. 1965 wurde Soul gerade erst populär, aber musikalisch war ich schon weiter in eine ganz andere Richtung gegangen. Ich hatte begriffen, dass meine Stärke nicht die Bläser waren, sondern der Rhythmus. Ich hörte alles, sogar die Gitarren, als wären sie Drums. Über „Papa’s Bag“ sagten sie später, dass sei der Anfang des Funk gewesen."

James Brown

Den Quantensprung in seinem Song „Papa’s got a brand new bag“, den James Brown rein musikalisch in seiner Autobiographie „Godfather of Soul“ herleitet,  könnte man auch als intuitive Reaktion auf die Zeitläufte in den USA verstehen. Rickey Vincent hat den Song in seinem Buch „Funk“ jedenfalls dahingehend interpretiert:

"Es war ein Song, der 1965 die Soulmusik für immer verändern sollte. „Papa’s Gotta Brand New Bag“ bereitete die Ära des Funk vor. Der Song wurde im Februar aufgenommen, im Monat, in dem Malcolm X ermordet wurde. Am 17. Juli 1965 wurde er veröffentlicht, drei Wochen vor den „Watts Riots“. Da war tatsächlich etwas Neues im Gange. Und die Musik war unmittelbarer und intensiver. Lebendig zwingend und würdevoll. Der Song war glühender Ausdruck für den Seelenzustand des schwarzen Mannes."

Ricky Vincent

Im Song „Get it together“, den James Brown & The Famous Flames 1967 aufnahmen, zeigt sich noch eine andere Seite von Mr. Brown. Zunächst klingt der Songs, als wär’s ein Abgesang auf eine Loveaffair, dann aber fallen Sätze, wie: „Krieg’ dich wieder auf die Reihe. Du bist vorzeitig aus der Schule raus. Was bist du nur für Vollidiot. Das ist überhaupt nicht hip.“  Hier deutet sich schon die Rolle an, die er später im Song „Public Enemy No.1“ explizit für sich reklamieren wird: Auch ein Lehrer wollte er sein, für die Black Community.

Say It Loud, I'm Black and I'm Proud

Mitte der 60er Jahre politisierte sich James Brown deutlich. Er wurde Mitglied der schwarzen Bürgerrechtsorganisation „NAACP“, lernte Martin Luther King und den Black Power-Aktivisten Stokely Carmichael kennen. In den Südstaaten der USA trat er nur auf, wenn schwarze und weiße Besucher nicht mehr, wie sonst üblich, nach Hautfarben getrennt im Publikum saßen. Und er kaufte einige Radiostationen, damit die DJs endlich die Black Music, die sie mochten, auflegen konnten. Funky Black Music. Was James Brown nicht unterstütze, waren bewaffneter Aufstand und gewalttätige Revolution. Das war nicht sein Ding. Als Martin Luther King 1968 ermordet wurde und deshalb Unruhen in den Großstädten befürchtet wurden, rief er via Radio und TV zur Besonnenheit auf. „Tun wir nichts, was Dr. King zur Unehre gereicht“, sagte Brown. Später - im Jahr 1968 - nahm er dann den Song auf, der eine der Hymnen der Bürgerrechtsrechtsbewegung werden sollte. „Say It Loud, I'm Black and I'm Proud,“ Angeblich ist der Song auf Druck der Black Panther entstanden, aber es ist schwer vorstellbar, dass ein James Brown sich von irgendjemand bedrängen hätte lassen.   

Auf die 60er Jahre zurückblickend, schrieb der britische Musikjournalist Peter Shapiro einmal:

"James Browns laute und trotzige Präsenz hat für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner mehr bewirkt, als das jeder einzelne Protestmarsch hätte tun können."

Peter Shapiro

Auch in anderer Hinsicht hat der „Soulbrother Number One“ eine Menge bewirkt hat. Und zwar weltweit. Er hat mit seiner exaltierten und funky Persönlichkeit, mit seiner Betonung des Rhythmischen, mit den durchaus auch sexuell aufgeladenen Grooves und Shouts eine ganze Generation verklemmter junger Menschen befreit, bis weit in die 70er. Der Soundtrack dazu hieß: 

„Get Up (I Feel Like Being A) Sex Machine“.  Und hier tritt auch endlich jener Mann am Bass in Erscheinung, der als 16-jähriger von James Brown in Cincinnati/Ohio entdeckt und vom Fleck engagiert wurde: Bootsy Collins. Heute noch einer der größten Funk-Bassisten auf diesem Planeten, immer noch in Cinicinnati lebend und weiterhin im Funkbusiness aktiv als schillernder Bootzilla. Vor Jahren hat er mir in einem Interview mal erzählt, wie viel er und sein Bruder Catfish diesem James Brown zu verdanken haben. „Eigentlich hätten wir ihn bezahlen müssen, für all’ das, was wir in von ihm gelernt haben“, hat Bootsy lachend gesagt. Und das hätten sicher auch Michael Jackson, Prince, Public Enemy und hundert andere sofort unterschrieben. 

Bis Mitte der 70er landete James Brown noch einige Hits, dann übernahmen die P-Funk-People, die Discoproduzenten und schließlich die Hip-Hop-Djs und MCs seinen Platz in Sachen Innovationen.

Immerhin lud Hip Hop-Pionier Afrika Bambaataa aus New York James Brown im Jahr 1981 ins Studio ein. Zu einem gemeinsamen Duett, um dem „Godfather of Soul“ Respekt zu bezeugen. „Unity: The Third Coming“ hieß die Single. Aber das Golden Age des James Brown war damals eigentlich längst vorbei. Kurzer Erfolg kam noch mal 1986 mit seinem Album „Gravity“ ins Haus. Und über den Rest der Geschichte bis James Browns Tod am 25. Dezember 2006 im Krankenhaus von Atlanta/Georgia, sei der Mantel des Schweigens ausgebreitet, obwohl es noch viel zu erzählen gäbe.  


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