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Liz Fraser und die Cocteau Twins Die Stimme Gottes

Elizabeth Fraser hatte eigentlich nie vor, Popstar zu werden. Vielleicht hat sie deswegen der Öffentlichkeit den Rücken gekehrt – nachdem sie ein ganzes Genre miterfunden und zahlreiche Fans zum Heulen gebracht hat.

Von: Kaline Thyroff

Stand: 29.08.2013

Liz Fraser | Bild: Beggars

Begonnen hat alles 1979 – in dem Jahr, in dem The Clash London Calling veröffentlichen.

Liz Fraser ist 17 und trifft ihre zukünftigen Mitmusiker Robin Guthrie und Will Heggie in ihrem Heimatort Grangemouth an der Ostküste Schottlands. Einem Ort, der außer einer Ölraffinerie und einem Hafen nichts zu bieten hat. Liz Fraser ist Punk, ihren Look hat sie sich – wie sie selbst sagt – von Wilma Feuerstein abgeschaut und weil das ihren Eltern nicht gefällt, wird sie zu Hause vor die Tür gesetzt.

Wenigstens gibt es da noch diesen Club in Grangemouth, in dem Robin Guthrie regelmäßig Punk-Platten aufgelegt. Ohne Punk, erzählt Liz Fraser später in einem Interview mit dem britischen Musikmagazin Sounds, hätte sie sich wahrscheinlich gar nicht für Musik interessiert und in einem Fast-Food-Laden angeheuert. Die Sex Pistols, die Ramones und auch die Stooges haben sie davor bewahrt.

Simple Minds, Jean Cocteau und Shoegaze

Die Cocteau Twins benennen sich nach einem Demo-Song der Glasgower Simple Minds, die damals auch noch eine Punk Band sind, und die in ihrem Song „Cocteau Twins“ wiederum auf den französischen Filmemacher Jean Cocteau Bezug nehmen.

Jüngere Bands in England wie Joy Division oder Wire sind zu dieser Zeit damit beschäftigt, das Tempo des Punk etwas zu drosseln und den Post-Punk zu begründen. Anstatt für Lederjacken geben die Cocteau Twins ihr Geld aber lieber für Effektgeräte aus und werden damit zu Vorreitern eines Genres, das später Shoegaze genannt wird. Zu dieser Zeit kannte den Ausdruck allerdings noch niemand.

Elizabeth Fraser und Robin Guthrie sind seit Gründung der Cocteau Twins nicht nur eine Band, sondern auch ein Paar. Und zumindest auf den ersten Blick sind sie sich sehr ähnlich - schüchtern und leise.

Gitarre spielen gelernt habe er nie, gibt Robin Guthrie offen zu, aber experimentieren kann er auch ohne Anleitung. Mit Effekten und Hall will er am Anfang vor allem verstecken, was er nicht kann, nämlich Akkorde spielen. Mit dieser eigenwilligen Technik schafft er es, dass seine Gitarren kaum mehr als Gitarren zu erkennen sind.

Was für den Gitarristen Echos und Fuzz sind, ist für Liz Fraser die Phantasiesprache. Was sie singt, versteht sie nicht einmal selbst. Ihre Texte findet sie nämlich vor allem in Büchern und Wörterbüchern, die in ihr fremden Sprachen geschrieben sind, erzählt sie in einem ihrer seltenen Interviews – hier bei der BBC.

"Viele meinerTexte habe ich in Büchern und Lexika gefunden, die in Sprache geschrieben sind, die ich gar nicht verstehe. Diese Worte haben keine Bedeutung – bis ich sie singe."

Elizabeth Fraser

Schon immer ging es ihr als Sängerin mehr um Sound als um Bedeutung. Dass sie nur ganz selten auf Englisch singt, hat aber auch noch einen anderen Grund:

"Es gibt mir mehr Freiheit. Und ich hatte auch einfach nicht den Mut, auf Englisch zu singen. Ich war vielleicht auch einfach zu schüchtern dafür."

Elizabeth Fraser

Diese Schüchternheit ist es auch, für die sich Liz Fraser und Robin Guthrie sympathisch sind. Sie hatten nie vor, der Welt mit ihrer Musik zu erzählen, wo es lang geht. Dennoch ist die Musik der Cocteau Twins ein Statement. Indem sie versuchen, ihr Nichtkönnen zu verstecken, erfinden sie Neues und spielen Songs, die so viel größer sind als beide wahrscheinlich je geahnt hätten.

Wegbereiter für die Pixies, Breeders oder Nick Cave

Wer die Cocteau Twins hört, darf seinen eigenen Film ablaufen lassen.

Auf einer Website namens „Cocteau Cafe“ organisieren Fans nicht nur jährliche Treffen und sammeln jede noch so kleine Neuigkeit über die Band, sondern erzählen sich auch, in welchen Situationen sie die Cocteau Twins am liebsten hören. Die einen liegen auf einer Wiese und starren in den Himmel, andere empfehlen Schiffsfahrten, wieder andere malen Bilder, nehmen Drogen oder bereiten ihre Hochzeit vor.

"Ihr Album Treasure habe ich hoch- und runtergehört, als ich mich für meine Hochzeit fertiggemacht habe. Das hat gut gepasst, weil es für mich der romantischste Sound ist, den ich je gehört habe."

Robert Smith, Sänger von The Cure in der Doku 'Beautiful Noise'

Nicht nur für Robert Smith von The Cure ist „Treasure“ von 1984 ihr bestes Album. Die Kritiker bejubeln es und für verschiedene Musikmagazine gehört es zu den besten Platten der Achtziger Jahre.

Treasure erscheint – wie auch die vorherigen Alben – auf dem britischen Label 4AD, 1979 gegründet von dem Engländer Ivo Watts-Russell. Nach ihm ist sogar der erste Song darauf benannt. Vielleicht will sie die Band so bei ihm bedanken - dafür, dass er keine Sekunde zögerte, sie unter Vertrag zu nehmen, nachdem er ihr Demotape gehört hatte.

In den folgenden Jahren wird 4AD eines der wichtigsten Indielabels der Achtziger und Neunziger Jahre und steht für eine eigene, mysteriöse Welt. Während Ivo Watts-Russell sich für atmosphärische Musik begeistert, die mehr sein kann als ein Party-Soundtrack, entwickelt der Grafiker und Fotograf Vaughan Oliver die passende Bildsprache, die auch die Plattencover unverkennbar werden lässt.

So eigenständig jede einzelne Band auf dem Label ist, auf zwei Dinge können sie sich einigen: zauselige und oft sehr spektakuläre Achtzigerjahre-Frisuren und einen Sound, der hallt, spukt und abhebt. Bands wie Bauhaus, Dead Can Dance und vor allem die Cocteau Twins bereiten hier einem ganz neuen Genre den Weg. Später kommen die Pixies, Lush und die Breeders dazu. Und auch Nick Cave macht mit The Birthday Party bei 4AD seine ersten Schritte in England.

Dazu ruft Ivo Watts-Russell auch selbst eine Band ins Leben, das Labelkollektiv This Mortal Coil. Keine Band steht so sehr für 4AD wie diese. Jeder, der mit dem Label verbandelt ist, darf mitspielen. Natürlich auch Elizabeth Fraser und Robin Guthrie, die auch ihren neuen Bassisten Simon Raymonde bei This Mortal Coil kennenlernen. Einer der erfolgreichsten Songs dieses Projektes ist „Song To The Siren“, ein Cover von Tim Buckley.

In dem Moment, als er das hört, verliebt sich Jeff Buckley, dessen Sohn, in Liz Fraser oder vorerst: in ihre Stimme. Getroffen haben sich die beiden erst fast zehn Jahre später – dazu aber später mehr.

Die Zeit ihres Lebens

Spätestens alle zwei Jahre bringen die Cocteau Twins ein neues Album raus und spielen lange Tourneen. Fans beschreiben die Konzerte als Erweckungsmomente, als Seelen-Nahrung und als Massen-Meditation. Sogar eingefleischte HipHop-Fans soll Liz Fraser zu Tränen gerührt haben. Dabei passiert auf der Bühne gar nicht viel. Liz Fraser steht einigermaßen regungslos in der Mitte, oft lässt eine Nebelmaschine die ganze Band in Trockeneis verschwinden.

Einige wenige Fans sollen sogar enttäuscht sein, als sie sehen, dass Menschen aus Fleisch und Blut hinter dem Nebel und dieser Musik stecken, deren Ursprung sie insgeheim noch immer direkt im Himmel vermutet haben.

Anfang der Neunziger Jahre wird Liz Frasers Sprache langsam klarer. Sie verabschiedet sich von ihrer Phantasiesprache und singt auf Englisch. Und in vielen Songs auf dem Album „Heaven or Las Vegas“ geht es um ein neues Thema, nämlich um die neugeborene Tochter von Fraser und Guthrie: Lucy-Belle.

Das Album ist der größte kommerzielle Erfolg der Cocteau Twins. Gleichzeitig beginnt es in der Band aber zu brodeln. Nach einem Streit trennen sie sich von ihrem Label 4AD und stehen damit auch kurz davor, sich als Paar zu trennen. Robin Guthrie kämpft mit Alkohol- und Drogenproblemen und Liz Fraser mit Traumata aus ihrer Kindheit, die sie jetzt erst zu verstehen lernt.

"Zu dieser Zeit habe ich mich ziemlich gefangen gefühlt. Und ich habe mich zum ersten Mal selbst gespürt. Plötzlich kam alles hoch: alter Ärger, neue Wut. Im Prinzip waren es dreißig Jahre auf einmal, die ich spürte."

Elizabeth Fraser

Auf „Four Calender Café“, dem vorletzten Album der Cocteau Twins, ist ihnen von ihrer Punk-Vergangenheit endgültig nichts mehr anzuhören. Robin Guthrie ist ein routinierter Gitarrist geworden und Liz Fraser gibt Fragen preis, die sie sich im Moment für ihr eigenes Leben stellt – unter anderem: „Are you the right man for me?“

Damit meint sie Robin Guthrie. Trotz Streits und Schwierigkeiten sind die beiden vorerst nicht nur eine Band, sondern auch ein Paar geblieben – die gemeinsame Tochter gab ihnen Hoffnung auf Zusammenhalt.

Dazu gründen Robin Guthrie und Simon Raymonde ihr eigenes Label Bella Union, ursprünglich, um damit nach der Trennung von 4AD eigene Veröffentlichungsmöglichkeiten für die Cocteau Twins zu haben.

Dazwischen allerdings verliebt sich Elizabeth Fraser neu. In Jeff Buckley – einen Mann, dessen Stimme genauso außergewöhnlich ist wie ihre eigene.

Schon immer hat sie sich gewünscht, mit ihm ein Duett zu singen. Er wollte sie treffen, seit er ihre Stimme in Song To The Siren hörte, einem Song, den eigentlich sein Vater Tim geschrieben hatte.

Liz Fraser und Jeff Buckley haben eine kurze aber stürmische Beziehung, lassen sich gegenseitig ihre Tagebücher lesen und wenn man sieht, wie Liz Fraser in einer BBC Doku über Jeff Buckley und die kurze gemeinsame Zeit spricht, bekommt man den Eindruck: das war die Zeit ihres Lebens.

Magische Momente

Von Robin Guthrie trennt sich Liz Fraser. Fünf Jahre später lösen sie nach achtzehn Jahren auch die Band auf. Die Wunden sind offenbar bis heute nicht geheilt.

2005 heißt es plötzlich, die Cocteau Twins würden beim Coachella Festival in Kalifornien wieder zusammen auf der Bühne stehen, und danach sogar eine ganze Tour spielen. Noch in derselben Woche bläst Liz Fraser aber alles ab.

Sie will nicht noch einmal mit ihrem Ex-Freund zusammenarbeiten. Im ersten Interview nach der Auflösung der Band sagt sie dem britischen Guardian, sie würden sich gegenseitig vermutlich die Luft zum Atmen nehmen.

Liz Fraser – die Stimme Gottes – viele Bands hätten sie seitdem gerne zumindest für einen gemeinsamen Song engagiert. Angeblich gibt es unzählige Anfragen, sogar von Bands wie Linkin Park. Fast alle sagt sie ab. Massive Attack aber dürfen sich glücklich schätzen.

Eigentlich hätte Madonna den Gesang auf „Teardrop“ übernehmen sollen. Die Anfrage war schon raus, Madonna begeistert, dann fiel der Band aus Bristol plötzlich auf, dass ihn niemand anders als Liz Fraser singen konnte. Madonna war enttäuscht, aber Teardrop wird auch ohne sie ein Mainstream-Erfolg. Und Liz Fraser verrät: ein Jahr nach Jeff Buckleys Tod durch Ertrinken, habe sie beim Schreiben der Teardrop-Lyrics vor allem an ihn gedacht.

Seitdem haben sich ihre Fans daran gewöhnt, dass nichts passiert. Nicht viel zumindest. 2007 wird zum ersten Mal ein Solo-Album angekündigt, aber das kam bis heute nicht. Ein paar Songs schreibt sie für Film-Soundtracks – unter anderem für „Herr der Ringe“ – vermutlich weil sie die einzige Sängerin auf dieser Welt ist, die fließend elbisch spricht.

2005 singt Liz Fraser außerdem auf zwei Songs des französischen Songwriters Yann Tiersen, der von magischen Momenten mit ihr im Studio berichtet.

Für mich hatte Elizabeth Fraser ihre magischsten Momente aber immer mit den Cocteau Twins. Sie haben vollkommen neue Klänge geschaffen – und sind weniger bewusst als aus Versehen zu einer der stilprägendsten Bands der Popgeschichte geworden.

Auch, wenn man sich mit dem Dream-Pop-Revival und dem Chillwave-Sound der letzten Jahre beschäftigt - mit Bands wie Beach House, Wild Nothing oder DIIV – stößt man zwangsläufig auf sie. Diese Bands sind nämlich erstaunlich nah dran an dem was die Cocteau Twins vor 30 Jahren gemacht haben.

Am 29. August 2013 ist Elizabeth Frazer fünfzig geworden. Mittlerweile lebt sie in Bristol mit dem Schlagzeuger Simon Reece, den sie bei Massive Attack kennengelernt hat.

Ich hätte sie für dieses Playback gerne interviewt, angeblich wurde meine Anfrage auch an sie persönlich weitergeleitet. Antwort gab es aber keine und das überrascht mich nicht. Ihre Musik hat Liz Fraser noch nie gerne erklärt, vielleicht weil sie auch ihr selbst ein Rätsel war und immer noch ist.


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