Die Strokes und die Popkultur der Nuller Jahre Die Wiedergeburt von Cool
2001 bringt Zündfunk-Kollege Noe Noack aufgeregt eine Vinyl-Single aus London mit und behauptet, das sei definitiv der nächste heiße Scheiß. Und er sollte Recht behalten: Die Strokes regierten die Nuller Jahre.
Fünf Alben haben die Strokes in den vergangenen zwölf Jahren veröffentlicht. Die ersten beiden haben sie noch der Rettung des Rock'n'Roll gewidmet. Als der allerdings nicht mehr zu retten war, wurden die Fünf aus New York immer experimenteller. Mittlerweile steht fest: die Strokes sind definitiv nicht mehr auf ihre Gitarren angewiesen um großartige Songs zu schreiben. Auf ihrem jüngsten Album "Comedown machine" verkünden sie "this is our final album". Zeit um Bilanz zu ziehen und dem Leadsänger der ehemals 'coolsten Band des Universums', Julian Casablancas, zum 35. zu gratulieren.
2001 bringt Zündfunk-Kollege Noe Noack aufgeregt eine Vinyl-Single aus London mit und behauptet, das sei definitiv der nächste heiße Scheiß. Kurz darauf erschüttert das Debütalbum der Strokes nicht nur die Zündfunk-Redaktion, sondern die gesamte Popwelt. Fans wie Kritiker jubeln wie zuletzt bei Oasis und ihrem Debüt "What's the story morning glory".
Die Strokes verbinden auf sensationelle Weise Fragmente der Rockgeschichte von Velvet Underground, Television, Talking Heads, Blondie bis zu The Who und sind dabei so cool, wie es zu dieser Zeit nur eine Band aus New York sein kann. Sänger und Songschreiber Julian Casablancas ist schnell der Posterboy eines von den Strokes heraufbeschworenen neuen Rock-Undergrounds. Und die elf Songs auf "Is this it" sind sein Manifest. Elf verdammte Hits.
Jeder von ihnen komplex, aber nie kompliziert. Die Riffs schräg, aber nie wirklich dissonant. Die Melodien eingängig, aber nicht abgegriffen. Nach drei Minuten ist in der Regel Schluss und der nächste Song macht wieder alles richtig. Und alle Songs werden uns von Casablancas regelrecht vor die Füße geschleudert, hingerotzt, fast ausgekotzt. Lässig und gleichzeitig soulful, leidenschaftlich und arrogant. Die Strokes sind 2001 die Band der Stunde, die Retter des Rock'n'Roll und die Nummer 1 sämtlicher Lesercharts und Jahres-Hitbilanzen, von Spex bis New Musical Express.
Minderjährig auf Entzug
Neben Sänger Julian Casablancas besteht die Band aus Albert Hammond Jr. und Nick Valensi an den Gitarren, Nicolai Fraiture am Bass und Fabrizio Moretti am Schlagzeug. Alle fünf kommen aus New York, alle haben reiche Eltern, einige von ihnen waren Teil der New Yorker Kulturschickeria der 60er/70er Jahre. Julian ist der Sohn von John Casablancas, dem Gründer der Modelagentur Elite. Allerdings hat er kein besonders enges Verhältnis zu seinem Vater, eher zu seinem Stiefvater. Reiche Familie, teure Privatschule. Julian geht auf die Dwight School in Manhattan, dort lernt er Moretti und Valensi kennen. Später schickt ihn sein Stiefvater auf die älteste Privatschule der Schweiz. Alles ist hier streng und diszipliniert, was Julian wenig beeindruckt. Aber dort lernt er Albert Hammond Junior kennen, den Sohn von Mr. „It never rains in Southern California“. Noch bevor er seinen 20. Geburtstag feiert, hat Casablancas seine erste Entziehungskur hinter sich, weil er schon morgens harte Drinks zu sich nimmt.
Die Strokes spielen in dieser Zeit vor 20 Leuten in kleinen Clubs in New York. Anfang 2001 haben sie ihren ersten Gig in England als Vorband von And you will know us as the trail of dead. Ein halbes Jahr später stehen sie schon zusammen mit Green Day und Iggy Pop auf der Hauptbühne des Reading Festivals. Casablancas muss sich vor ihrem Auftritt vor Aufregung übergeben, wie so oft in dieser Zeit.
Hype oder wirklich die Retter des Rock 'n' Roll?
Rückblickend fällt es fast schwer zu entscheiden, was mehr beeindruckt: das tatsächlich grandiose Debüt der Strokes oder der sagenhafte Hype, der um diese Band gemacht wird. Den Anfang macht - wie so oft - der NME, das Zentralorgan der britischen Musikpresse, der in einen regelrechten Euphorietaumel verfällt und einen begeisterten Artikel nach dem anderen zu den Strokes publiziert. Aber auch andere klinken sich ein, die Strokes sind 2001 die Band der Superlative:
"New Yorks aufregendste Band seit 25 Jahren"
NME
"Die hipste Band des Planeten"
Q
"Die Zukunft des Rock"
New York Times
"Das wichtigste, aufregendste und beste amerikanische Rockalbum seit Nevermind von Nirvana"
Rolling Stone
Bis hierhin bewegt sich noch alles im Rahmen des üblichen Medien-Boheis, den ein tolles Debüt schon mal auslösen kann. Skurriler wird’s dann erst, als schon nach dem ersten Album eine Biographie der Strokes erscheint: "This it is: the first biography of the strokes", von Martin Roach, der die New Yorker als „die coolste Band des Universums" abfeiert.
Aber die Strokes sind so cool auch wieder nicht, als dass der Druck, der durch all das entsteht nicht schwer auf ihren Schultern liegen würde. Restlos mulmig wird’s Julian Casablancas dann, als ihm Courtney Love einen Song widmet mit dem furchteinflößenden Titel:
"But Julian, I’m a little bit older than you"
Courtney Love
Gegengift des Mainstreams
Obwohl das Durchschnittsalter der Band 2001 bei 21 liegt, wissen die Fünf schon sehr genau, worauf die Meute sehnlichst wartet: auf ein Gegengift zum uninspirierten und todlangweiligen Mainstream, der zu jener Zeit von Boygroups, New-Metal-Acts und Casting-Bands wie den No Angels dominiert wird. Anders als die industriell gefertigte Meterware klingen die Strokes frisch und authentisch. Sie erinnern an die goldenen Zeiten des New Yorker Undergrounds, an Musiker wie Tom Verlaine, Richard Hell oder Patti Smith. Und: die Strokes sehen einfach unverschämt gut aus, ihre Vintage-Klamotten kommen unübersehbar aus New Yorks hippen East Village, die engen Hosen und Jacken, die ausgewaschenen T-Shirts und, fast ein Markenzeichen der Strokes, an den Füßen: Converse.
Damit treten die Fünf ein Garagenrockrevival los, dass die nächsten Jahren prägen soll. Die Welle schwappt von Amerika über England auch zu uns. Neben den Strokes verpassen Bands wie der BlackRebelMotorcycleClub, die YeahYeahYeahs oder auch die White Stripes dem Rock’n’Roll eine Frischzellenkur. Gitarrenrock feiert ein furioses Comeback.
Und live sind die Strokes sowieso nicht zu toppen.
"Wenn wir spielen, möchte ich am liebsten jeden im Publikum küssen, sie mit nach Hause nehmen und Party machen."
Fab Moretti, Drummer
Dem grandiosen Debüt der Strokes folgt eine gigantische Tour, die die Band fast aufgerieben hätte. Die Fünf sind seit 1998 in dieser Besetzung als Band zusammen, haben ein sehr nahes, ja brüderliches Verhältnis – aber monatelanges Aufeinanderhocken in stickigen Nightlinern und zugigen Backstage-Räumen kann die besten Freunde schon mal an ihre Grenzen bringen. Doch die Strokes sind sich von Anfang an sehr bewusst, dass ihre Band etwas Besonderes ist. Sie selbst sprechen von der „perfekten Band“ und tun alles, diese nicht zu gefährden.
Das schwierige zweite Album
Anfang 2003 beginnt der Kampf mit den Aufnahmen zum zweiten Album. Die Messlatte liegt extrem hoch. Nicht nur die Erwartungshaltung der Fans und Kritiker macht Julian zu schaffen, sondern vor allem der Druck, den er sich selbst macht. Denn Julian Casablancas ist nicht nur ausgesprochen cool, sondern auch ausgesprochen ehrgeizig. Von seinem Stiefvater, einem Maler, hat er schon als Teenager eingebläut bekommen: wer als Künstler erfolgreich sein will, der muss härter arbeiten als alle anderen. "The hardest working band in show business“ verbarrikadiert sich also für ihr zweites Album von abends acht bis morgens acht in ihrem Proberaum und feilt an Album Nummer zwei.
“Room on fire” ist allen Unkenrufen zum Trotz ein würdiger Nachfolger des Debüts. Alles, wofür wir die Strokes lieben, ist auch diesmal wieder da, nur noch einen Tick besser, was Arrangement und Produktion angeht.
Nach zwei Alben, etlichen Hits und ausverkauften Konzerten kühlt der Hype um die Strokes ab. 2006 erscheint ihr drittes Album „First impressions of earth“. Waren die Songs der Strokes bisher vor allem eins, nämlich lässig-cool, klingen sie jetzt tighter, ausgefeilter. Die Rock’n’Roll-Patina ist ab, die Strokes versuchen stattdessen, mit mehr Präzision und komplexeren Songs zu punkten. Eine Entwicklung, die erst mal viele Fans irritiert.
Die (Solo-)Zeit nach dem Hype
Die Strokes pausieren ab 2006, kein neues Album, keine Tour stehen an. Aber anstatt im New Yorker East Village shoppen zu gehen, macht Drummer Fabrizio Moretti sein eigenes Ding: Little Joy. Zusammen mit seiner Freundin Binky Shapiro und mit Rodrigo Amarante, dem Sänger der brasilianischen Indieband Los Hermanos, nimmt Moretti in Los Angeles ein sehr entspanntes, ja sonniges Album auf. Moretti spielt statt Schlagzeug Gitarre und geht mit Little Joy auf Tour. Gleichzeitig veröffentlicht er 2008 auch noch zusammen mit Devendra Banhart als Megapuss ein höchst sympatisches Folkalbum.
Auch Strokes-Gitarrist Albert Hammond Jr. ist jetzt solo unterwegs. Von ihm erscheinen gleich zwei Alben: 2006 “Yours to keep” und zwei Jahre später "Como te llama". Hübsch, aber nicht wirklich relevant, diese beiden Platten. Hammond ist ein durchaus talentierter, aber nicht überambitionierter Songschreiber, der sich hier den Luxus leistet, nicht an die Charts, sondern nur an seine Selbstverwirklichung zu denken. Nachdem selbst Bassist Nicolai Fraiture als Nickel Eye ein allerdings eher verzichtbares Solo-Album veröffentlicht hat, gerät Sänger Julian Casablancas unter Zugzwang. Das Ergebnis heißt „Phrazes for the young“ und besticht in erster und leider auch einziger Hinsicht durch die tolle Stimme Casablancas.
Die Revolution ist vorbei
Es ist höchste Zeit für ein neues Album der Strokes. 2011 ist es endlich soweit. „Angles“ ist kein Aufguss des Debüts, Garagenrock ist passé, stattdessen waren die Strokes - wie es sich für gute Kumpels gehört - gemeinsam in der Disco.
Auf „Angles“ klingt kein Song wie der vorherige. Die Strokes haben sich freigeschwommen, das Rock-Diktat ist gefallen. Natürlich werden sie mit dieser Platte keine Rock-Revolution mehr auslösen wie 2001, sie werden damit keine „NuWave“ mehr lostreten. Aber sie haben ihr Spektrum enorm erweitert, die Strokes spielen mit den unterschiedlichsten Stilen, sie benutzen Synthies, variieren Tempi, Strukturen und Stimmungen. „Angles“ ist eine aufregende Platte, nicht weil sie den Zeitgeist definiert, sondern weil hier eine Band tief im Experimentierkasten versinkt und sich selbst neu definiert. Zum ersten Mal produziert sich die Band selbst und nutzt dabei die ganze Studiotechnik voll aus. Und zum ersten Mal hat Julian Casablancas auch nicht alle Songs allein geschrieben: „Angles“ ist ein echtes Gemeinschaftswerk.
Was für „Angles“ gilt, gilt auch für das jüngste Werk der Strokes, für „Comedown machine“. Und jetzt wird es Zeit, dass ich Abbitte leiste bei den Strokes und mich öffentlich entschuldige. Als nämlich vorab der Song „One way trigger“ erschien, hab ich ihn in Bayern2 im Zündfunk gespielt und, was ich bisher noch nie getan hatte, vorzeitig ausgeblendet. Ich war zutiefst schockiert, dass Julian Casablancas hier klingt wie ein Mädchen und die Synthies wie von einer Aha-Single. Das Album selbst hab ich dann voller Entrüstung erst mal ignoriert, völlig zu Unrecht, wie sich später rausstellen sollte.
Auf „Comedown machine“ liefern die Strokes 11 Songs sprich 11 Überraschungen. Damit haben sie ihre schnelle Wiedererkennbarkeit auf ewig eingebüßt, die guten Absatzzahlen vermutlich auch. Aber besser sich selbst und die verbliebenen Fans nicht langweilen als immer und immer wieder denselben Song spielen.