Serhij Zhadan über Russland "Sie wollen uns vernichten"
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an den ukrainischen Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan. Scharf kritisiert er gerade den offenen Brief von deutschen Intellektuellen und Autoren. Deren großer Irrtum: Sie würden glauben, die Russen würden verhandeln.
Serhij Zhadan, der diesjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, reagierte empört auf den offenen Brief von deutschen Intellektuellen, in dem sie Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland forderten. In einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" wirft er den Autoren um die Schriftstellerin Juli Zeh Zynismus vor. "Wir können unseren Widerstand nicht aufgeben, weil wir sonst vernichtet werden. Wir müssen vom Westen Waffen fordern, weil wir sonst vernichtet werden“, schreibt Zhadan. Der größte Fehlschluss der Verfasser liege darin, zu glauben, die Russen wollten verhandeln. "Sie wollen uns vernichten.“ Wenn die Ukraine verliere, so Zhadan, gingen die Opfer in die Hunderttausende. "Das Blut dieser Toten haben jene auf dem Gewissen, die immer noch unbeirrt mit dem Bösen spielen und dabei allen Wohlergehen und Frieden wünschen."
Lesung: "Internat" von Serhij Zhadan
Seine Bücher entführen uns immer wieder nach Charkiw – in die Metropole im Osten der Ukraine, die jetzt von der russischen Armee bombardiert wird. Serhij Zhadan hat der Stadt große und wilde Romane gewidmet, darunter "Mesopotamien", ein Hauptwerk. In "Internat" erzählt er vom seit 2014 andauernden Krieg im Osten der Ukraine, im Donbass. Pawlo Iwanowitsch, von Beruf Lehrer und "Pascha" genannt, will seinen Neffen nach Hause holen. Die Stadt, in der der junge Mann zur Schule geht, wurde angegriffen, Pascha soll den Sohn seiner Schwester retten. Er gerät dabei zwischen die Fronten und in eine sonderbare Welt. Wer Serhij Zhadan folgt, denkt auch an Kafkas Landvermesser Josef K. und seine folgenreiche Fahrt zum Schloss.
Am Anfang des Romans steht der Satz: "Der Winter wird lange dauern, alle werden sich daran gewöhnen, werden leiden und sich gewöhnen." Das könnte man als Sinnbild für den seit 2014 andauernden und durch Moskau unterstützen Krieg im Osten der Ukraine lesen. Für Serhij Zhadan, der in den vergangenen Jahren immer wieder zu Lesungen oder auch zu Konzerten mit seiner Band "Sobaky v Kosmosi" in die Frontabschnitte gefahren ist, ist das Bild aber ein reales, kein Symbol. Er kann von vielen anderen erzählen, von Sonnenblumenfeldern, die nicht abgeerntet wurden. Oder von zerstörten Brücken. Der Roman "Internat" erinnert daran, dass die Ukraine seit 2014 Schauplatz eines völkerrechtswidrigen Angriffs ist. Und nicht erst seit dem 24. Februar 2022. Die Übersetzung von Juri Durkot und Sabine Stöhr wurde 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
In einer Solidaritätsaktion lasen Schauspielerinnen und ihre Kollegen vom Münchner Residenztheater drei Stunden lang aus "Internat" von Serhij Zhadan. Ausschnitte aus dieser Veranstaltung können Sie im Lesungen-Podcast nachhören. Mit den Schauspieler*innen Valentino Dalle Mura, Robert Dölle, Barbara Horvath und Johannes Nussbaum.
Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags ist die Lesung bis 19. September 2022 als Podcast verfügbar.
Serhij Zhadan, "Internat". Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr und Juri Durkot, Suhrkamp 2018.