Bayern 2 - Notizbuch


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Aus dem Knast zu Olympia Wie der Boxsport Serge Michel eine zweite Chance gab

Vor ein paar Jahren hätte noch niemand damit gerecht, dass Serge Michel aus Traunreut bei Olympia 2016 für Deutschland boxt. Da saß Michel nämlich noch im Gefängnis. Im Interview erzählt er von den Höhen und Tiefen auf dem Weg nach Rio.

Von: Laura Goudkamp

Stand: 07.08.2016

Olympia-Boxer Serge Michel beim Training | Bild: BR

Du hast gerade dein letztes Training in Deutschland hinter dir. Wie ist Dein Gefühl für Olympia?

Serge Michel: Ich konzentriere mich auf mein Programm und es läuft bis jetzt alles nach Plan. Natürlich ist die Vorfreude und die Motivation eine andere als vor einem normalen Turnier. Es ist eben Olympia!

Hättest du gedacht, dass du es schaffst dich für Olympia zu qualifizieren?

Irgendwie schon. Man muss immer dran glauben, dass man es schafft, sonst braucht man gar nicht erst in den Ring zu steigen. Jedes Mal, wenn ich boxe, möchte ich auch gewinnen. Natürlich war Olympia lange ganz weit weg. Zuerst war es ein Traum, dann wurde es zum Ziel und jetzt habe ich mein Ziel erreicht.

Olympia-Boxer Serge Michel mit Bundestrainer Zoltan Lunka

Als Sechsjähriger bist du von der russischen Insel Sachalin ins 8000 Kilometer entfernte Traunreut in Oberbayern gekommen. Wie war das am Anfang für dich?

Das war schon eine krasse Umstellung. Die ersten Jahre meines Lebens habe ich in einer sehr rauen und harten Gegend gelebt. Und auch die Erziehungsmaßnahmen von meinem Vater waren dementsprechend etwas rauer, um es vorsichtig auszudrücken. Das könnte schon auch ein Grund gewesen sein, warum ich in Traunreut angeeckt bin. Trotzdem will ich meinem Vater keine Schuld geben, oder den Mist den ich gebaut habe auf Erziehungsmaßnahmen zurückführen. Mit 16 hat man schon so viel Verstand, dass man selber entscheiden muss, was schlecht und was gut ist.

Inwiefern bist du in Traunreut angeeckt? Hattest du Schwierigkeiten dich zu integrieren?

Eigentlich nicht. Deutsch zu lernen, ist mir sehr leicht gefallen. Auch in der Schule war ich jemand, der schnell Freunde gefunden hat, schnell Beziehungen aufgebaut hat. Die Probleme kamen nach und nach. Mit 14, 15 fing’s an. Schule vernachlässigt, durchgefallen, Null-Bock-Einstellung. Nach der achten Klasse bin ich dann von der Schule geflogen und bin dann irgendwann auf der Straße gelandet.

Aber du hast noch bei deinen Eltern gewohnt, oder?

Klar, ich habe noch daheim gewohnt, aber ich war ohne Perspektive, ohne einen Abschluss, keine Arbeit. Dann habe ich halt großen Mist gebaut.

Du sprichst von „Mist bauen“ – Was für einen Mist?

Gewalttaten, Einbruch und Diebstahl, nichts worauf ich stolz bin. Ich habe es geschafft in einem Jahr so viel Mist zu bauen, dass ich dann – zu Recht – eine Jugendstrafe bekommen habe und die auch absitzen musste.

Du warst eineinhalb Jahre im Jugendgefängnis. War das ein Wendepunkt in deinem Leben?

Zu dem Zeitpunkt noch nicht. Nach dem ich entlassen wurde, habe ich auch großes Angesehen genossen von den Leuten, mit denen ich damals unterwegs war. Deswegen hat mich das Jugendgefängnis eigentlich nicht abgeschreckt. Ich hab dann da weiter gemacht, wo ich aufgehört habe. Nach einer erneuten Schlägerei musste ich wieder ins Gefängnis. Aber dieses Mal war alles anders. Meine Freundin war schwanger.

"Das war natürlich richtig schwer für mich in der Gewissheit, Du verlässt jetzt Deine Familie für acht Monate. Das war dann auch der Moment, wo ich dachte, ich muss etwas ändern, sonst verliere ich meine Familie!"

- Serge Michel

Und das war dann eine andere Situation ...

Das war natürlich richtig schwer für mich. Die Gewissheit, Du verlässt jetzt Deine Familie für acht Monate. Das war dann auch der Moment, wo ich dachte, ich muss etwas ändern, sonst verliere ich meine Familie. Meine Frau verlässt mich, sucht sich einen anderen Mann, mein Sohn bekommt einen anderen Papa. Deswegen hab ich schon im Gefängnis angefangen zu trainieren. Da hab ich auch viel meinem Vater zu verdanken.

Wieso?

Mein Papa ist mein Heimtrainer und hat einen Boxverein in Traunreut. Er war auch immer im Besucherraum im Gefängnis und ihm war wichtig, dass ich nach der Haft sofort in den Sport einsteige, das war sein großer Wunsch. Er hat gewusst, dass er mich nur so aus dem Sumpf ziehen kann.

Was bedeutet dir die Teilnahme bei Olympia?

Sehr viele Leute haben mir Vertrauen entgegen gebracht und ich will auch ein stückweit etwas zurückgeben und Danke sagen. Wenn ich das Boxen und meine Familie nicht gehabt hätte, wüsste ich nicht, wo ich heute wäre.

Die sportliche Karriere von Serge Michel

2010 kommt Serge Michel aus dem Jugendgefängnis und gewinnt innerhalb eines Jahres die bayerische und die süddeutsche Meisterschaft. Im gleichen Jahr gewinnt er Bronze bei der deutschen Meisterschaft und wird Kaderathlet im Deutschen Boxsport-Verband. Vor wenigen Wochen dann der krönende Abschluss – die Qualifikation für Olympia 2016 in Aserbaidschan. Serge Michel tritt in der Gewichtsklasse Halbschwergewicht in Rio an.


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