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Bosnien: 20 Jahre nach dem Krieg "Jede Nacht haben sie andere geholt"

Ist die Vergewaltigung von Frauen eine besonders effektive Kriegswaffe? Was bringt Soldaten oder Polizisten dazu, ihre Macht auf diese Weise zu demonstrieren? Steckt eine Strategie dahinter, selbst wenn Befehle von oben oft nicht nachweisbar sind?

Von: Mechthild Müser

Stand: 11.07.2015 | Archiv |Bildnachweis

Das Potocari Memorial Center erinnert an das Massaker von Srebrenica von 1995 | Bild: Mechthild Müser

n-ost-Reportagepreis 2016

Mechthild Müsers Feature "Jede Nacht haben sie andere geholt - Vergewaltigung als Kriegsstrategie" wurde am 23. Juni 2016 mit dem n-ost-Reportagepreis ausgezeichnet. "Mechthild Müser geht das schwere Thema groß und strategisch an. Ihr Feature packt: Musikalische Trenner, die metallisch-schmerzend daherkommen; Frauen, die ihre Erfahrungen so schildern, dass der Atem stockt. Mechthild Müser erzählt einprägsam erschreckend und zugleich schlicht. Dieser Stil macht das Feature zu einer besonderen Dokumentation und Analyse", heißt es in der Begründung der Jury.

Juliane Bartel Medienpreis 2015

Preisträgerin Mechthild Müser (l.) neben Laudatorin Julia Fritzsche

Am 3. November 2015 erhielt Mechthild Müser für "Jede Nacht haben sie andere geholt" den Juliane Bartel Medienpreis. In der Laudatio heißt es: "Das Feature ist sehr gut komponiert, mithilfe der gut ausgewählten Protagonistinnen gelingt der Autorin ein tiefgehender Einblick in ein erschütterndes Thema." Der Juliane Bartel Medienpreis wird vom Land Niedersachen und dem NDR vergeben und würdigt die kreative Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichstellung.

"Jede Nacht holten sie andere Frauen, manche auch mehrmals. Frauen und Mädchen. Wir wurden auf so vielfältige Weise erniedrigt. Es ist schon hart, darüber zu sprechen. Sie sagten, sie würden uns die Bäuche aufschneiden und Katzen reinstecken und uns wieder zunähen. Ich trage das mein ganzes Leben mit mir herum und kämpfe dagegen an. Ich bin krank und gedemütigt, ich bin niemand und nichts geworden."

Milena

In Bosnien wurden während des vier Jahre dauernden Krieges mindestens 25.000 muslimische Frauen systematisch vergewaltigt: alte wie junge. Ziel war unter anderem die ethnische Vertreibung der muslimischen Bosnier. In patriarchalen Gesellschaften gilt die sexualisierte Gewalt an Frauen auch als besondere Demütigung der Männer. Die Botschaft: Ihr seid nicht mal in der Lage, eure Frauen zu schützen! Bis heute wagen sich die betroffenen Frauen nicht in ihre Heimat zurück. Eine Versöhnung scheint fast unmöglich.

Sexuelle Gewalt als Kriegstrategie

Ban Ki-moon

"Sexuelle Gewalt wird als älteste Waffe und am wenigsten bestrafte Tat in Kriegen bezeichnet. Wir müssen die Entschuldigung zurückweisen, dass Vergewaltigung in Kriegszeiten nicht zu vermeiden ist. Man kann sie stoppen." UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der Londoner Konferenz gegen Kriegsvergewaltigung, Juni 2014

Im April 2014 haben die Vereinten Nationen in 21 Staaten allein 34 Milizen- und Soldatengruppen ausgemacht, die sexuelle Gewalt als zusätzliche Waffe nutzen. Jeweils vier in Mali und Südsudan, drei für die Zentralafrikanische Republik und den Kongo. In Syrien vergewaltigen Regierungssoldaten und Geheimdienste genauso wie Teile der bewaffneten Opposition. Und davor und danach? Niemand kennt die Zahl der vergewaltigten Frauen im Zweiten Weltkrieg, im Vietnam-Krieg, in den 70er Jahren in Bangladesch, in den 80er Jahren in El Salvador. Im Bürgerkrieg in Ruanda wurde geschätzt eine Viertelmillion Frauen vergewaltigt, ebenso viele im Kongo. Im ersten Quartal 2015 Tausende in Südsudan, in Nigeria, in Syrien.

"Nach Bosnien gab es Darfur und viele andere Orte, jetzt Kenia, Irak, Syrien, es ist Teil jedes Krieges. Die Frage ist, was können wir als globale Gesellschaft tun, um das zu verhindern? Wie können wir Bewusstheit schaffen? Wie können wir Soldaten erziehen? Womit können wir beginnen, um es zu verhindern?"

Mirsad Tokaca, Leiter des Research and Documentation Center, Sarajewo

WDR/BR/DLR 2015

Literatur zum Thema:

  • Jadranka Cigelj: Appartement 102 - Omarska. Ein Zeitzeugnis, Diametric Verlag 2005: Jadranka Cigelj ist Anwältin und eine der 37 Frauen, die im Lager Omarska gefangen gehalten wurden. Sie schildert das Überleben im Lager, in dem Willkür und Gewalt an der Tagesordnung sind, und erzählt von einer Liebe, die dort begann.
  • Maria von Welser: Wo Frauen nichts wert sind. Vom weltweiten Terror gegen Mädchen und Frauen, Ludwig Verlag 2014: Die Fernsehjournalistin Maria von Welser ist in viele Regionen der Welt gereist. Sie schildert die Folgen von Vergewaltigungen und die Unfähigkeit der Politik, und sie erzählt von Frauen, die sich zur Wehr setzen.
  • André Georgi: Tribunal, Thriller, Suhrkamp Verlag 2014: Ein Thriller über den Versuch, einen Kronzeugen nach Den Haag zu bringen, ohne den ein Prozess gegen einen bosnisch-serbischen Massenmörder zu scheitern droht. Der Drehbuchautor André Georgi thematisiert die Männer-Seilschaften und die Brutalität der Milizen, ihre Verachtung gegenüber Frauen und ihr perfides Spiel.

Linktipps:


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