Bayern 2 - radioTexte


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Vom Verschwinden der amerikanischen Idee "Homeland Elegien" von Ayad Akhtar

Der Traum vom freien Leben in einem freien Gesellschaft ist in den USA längst zerbrochen. Der Roman ist eine messerscharfe Analyse einer kaputten Gesellschaft, die nach 9/11 in eine Paranoia fiel, aus der sie sich mit einer "unendlichen Selbstgefälligkeit" zu befreien versuchte, einem Land, "in dem selbst der Kampf um soziale Gerechtigkeit in eine Verehrung individueller Rechte mündet, so viel Geld zu verdienen wie man möchte, so viele Waffen zu haben wie man will, aber der bloße Schutz individueller Rechte kann keine sinnvolle Definition für ein Land sein", sagt Ayad Akhtar.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 30.10.2020

Schriftsteller Ayad Akhtar | Bild: picture-alliance/dpa

"Wenn das Kapital ein Land übernimmt"

Pulitzer-Preisträger Ayad Akhtar spielt in seinem Roman ganz bewusst mit Fiktion und Wahrheit, denn er "gehöre zu den Schriftstellern, die Tatsachen verdrehen müssen, um sie desto deutlicher sehen zu können." So sind seine "Homeland Elegien" eine Mischung aus Essay, Autobiographie und Erfindung. Er wollte eine Form finden für ein postfaktisches Zeitalter, das einem vertrauensvollen Zusammenleben diametral entgegen gesetzt ist. Der Roman ist eine messerscharfe Analyse der amerikanischen Gesellschaft, aus der Sicht einer muslimischen Einwandererfamilie aus Pakistan. Akhtars Alter Ego namens Ayad erzählt die Geschichte seines Vaters, der fasziniert ist von Amerika, von Trump, den er als Kardiologe einmal behandelt, der sich wohlfühlt in der "kitschigen Flitter- und Seide-Schummrigkeit", ganz im Gegensatz zu Ayads Mutter, die in den USA nie heimisch wurde, das längst vom Kapital beherrscht wird und vom Konsumwahn, von Spekulanten und Immobilienblasen.

Erschienen bei Claassen in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren

"Was jetzt wuchs, waren nicht Gemeinden oder Wirtschaften, sondern das Kapital selbst. Schulden definierten gesellschaftliche Realitäten, sie beeinflussten oder erzwangen Entscheidungen, die das Leben der meisten Zeitgenossen betrafen: den Wohnraum, die Gesundheit, die Ausbildung und die Zukunftsaussichten der Kinder und seit Neuestem auch den Zugang zu den Apparaten, die den Löwenanteil unserer Wahrnehmung ermöglichten."

aus 'Homeland Elegien'

"Eine Feier des kritischen Denkens"

"Homeland Elegien ist ein Hybrid: Familien- und Bildungsroman, Memoir und Zeitgeschichte, zornige Hommage und Anti-Idyll, Klagelied, Gesellschaftspanorama und filmische Prosa mit vielen Grautönen; klug, schonungslos, von essayistischer Tiefe; vor allem aber der zutiefst diskursive Roman eines versierten Dialektikers. Spannende Aufklärung in postaufklärerischer Zeit, mit einer Analyse grundlegender Probleme und einer Feier des kritischen Denkens", meint Cornelia Zetzsche, die mit Schriftsteller Ayad Akhtar gesprochen hat.

Cornelia Zetzsche: "Homeland Elegien ist die Geschichte einer Migrantenfamilie und handelt zudem vom Zustand der Vereinigten Staaten von den 80erJahren bis heute, eines ziemlich morschen Landes, Was brachte Sie zu dieser Geschichte und dem Titel Elegien?"

Ayad Akhtar: "Es war ein besonderer Moment in meinem Leben. Meine Mutter war gestorben, mein Vater hatte schwere Anzeichen von Verfall, das politische System kollabierte, und Donald Trump war Präsident geworden. Ich sah, wie die Kluft wuchs zwischen Stadt und Land, zwischen dem Herzland und den Küstenregionen und zwischen den ökonomischen Klassen. Und ich fühlte den Drang, ein Klagelied zu singen. Mir war klar, etwas starb im Land. Etwas, das uns Amerikanern, uns Bürgern unbekannt war. Elegien also auf das Vergehen meiner Eltern, das Verschwinden der Idee von Amerika, ihres Homelands und auf etwas Unbekanntes."

"Der Sohn der Familie, ein Dramatiker, ein Amerikaner muslimischer Herkunft, sucht seinen Platz im Leben. Die Mutter, Fatima, sieht immer noch Pakistan als "Homeland". Der Vater, ein Kardiologe ist eine Weile Trumps Arzt, er träumt den Amerikanischen Traum, trotz aller Erfahrungen. Was ist sein Motiv?"

"Er ist verliebt in diesen Individualismus, in die Idee vom Amerikanischen Traum, der letztlich durch das Versprechen von wirtschaftlichem Wohlstand definiert ist; ein ganzer Kontinent nimmt das sehr ernst. Im Verlauf des Buches ist er sehr erfolgreich, ein bekannter Arzt von vielen berühmten Leuten, auch von Trump. Aber das löst nicht sein Problem der Zugehörigkeit zu Amerika. Wenn die Zugehörigkeit an eine materielle Idee gebunden ist und man, wie er am Ende, mit dieser Idee scheitert, fehlt das Gefühl von Zugehörigkeit. Das Zugehörigkeitsgefühl hier ist anders als in Europa, dort hat es zu tun mit der Erfahrung vieler Generationen, mit sprachlicher und ethnischer Übereinstimmung. Amerikanische Zugehörigeit ist intellektueller Natur, zumindest für den Vater

"Die Familie in Ihrem Roman ist säkular, aber muslimischer Herkunft. Wie würden Sie die Situation von Muslimen in den USA heute beschreiben?"

"Na ja, wir haben extra ein Heimatschutzministerium gegründet und Leute am Flughafen 20 Jahre lang schikaniert, ohne ersichtlichen Grund, richtig?! Das war eher schon eine nationale Obsession als ein produktiver Umgang mit der Wunde des 11.September. Ich denke, diese Ära ist vorbei. Die Beschäftigung mit der Pandemie hat die Ängste der Gesellschaft von den Muslimen auf das Virus gelenkt. Das markiert eine neue Zeit, ein neues Trauma, wenn Sie so wollen. Aber 20 Jahre lang war es hart. Wenn man nach 9/11 als Kind einer muslimischen Familie aufwuchs, hatte man keine Chance, nicht schikaniert und beschimpft zu werden. Es gab alle möglichen unangenehmen Erfahrungen, die einen fragen ließen, warum die Eltern hier waren, ob man selbst Amerikaner war und was das hieß. Ich glaube nicht, daß Trump gewinnen wird, aber wenn er gewinnt, wer weiß, was dann passiert."

"Ihr Alter Ego ist Ayad in einem Buch, das sich Roman nennt. Wo verläuft die Grenze zwischen Fakten und Fiktion?"

"Das frage ich mich in der Realität auch. Ein Buch zu schreiben, mit einem Erzähler, der meinen Namen trägt, mit Fakten aus meinem Leben, das war der Versuch, Leser zu erreichen, für die Fakten und Fiktion durcheinander gerieten. Und diese erkenntnistheoretische Verwirrung ist Teil des Dilemmas, in dem wir in unserer Zeit leben. Ein Kunstwerk ist kein Versuch, die Wirklichkeit zu korrigieren, bestenfalls kann es sie spiegeln. Ich versuche also, diese Desorientierung zwischen Fakten und Fiktion zu spiegeln. Nicht als Konzept. Ich möchte den Leser dort erreichen, wo er heute steht: süchtig nach Schlagzeilen und Instagram, mit einer anderen Art Bewußtsein und Konzentration, einem oberflächlicheren Zugang zu Information. Ich wollte durch diese Art von Aufmerksamkeit verführen zu einem tieferen Gespräch über das Land und das, was in Amerika geschah."

Lesung mit Franz Pätzold und Autorengespräch im "Offenen Buch"

Schauspieler Franz Pätzold, der mit Martin Kušej ans Wiener Burgtheater ging

Mehr von Ayad Akhtar gibt es am Sonntag, dem 1. November, wegen des Feiertags erst um 14.30 Uhr, in radioTexte - Das offene Buch. Schauspieler Franz Pätzold liest einen Ausschnitt aus dem Roman Homeland Elegien über Trumps Anfänge als großmäuliger Enterntainer in der Fernseh-Show "The Apprentice", als Immobilienspekulant und Herzpatient von Ayads Vater.

Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche

Als kostenloser Podcast unter bayern2.de/lesungen


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