Literarische Essays Otto A. Böhmer: "Abenteuer der Inspiration"
Es muss nicht immer ein greller Geistesblitz einschlagen, aber es ist ein erfüllter Augenblick oder ein kleiner Neuanfang - die Inspiration. Am Beispiel Annette von Droste-Hülshoffs und Hermann Hesses spürt Otto A. Böhmer dem "Abenteuer der Inspiration" nach. Lesungen mit Lisa Wagner, Gert Heidenreich, Sabine Kastius und Shenja Lacher
Was treibt Dichter*innen zum Schreiben? Wie, wo und warum entsteht die Idee? Ist der Moment der Inspiration ein Gedanke, der "wie ein Blitz" aufleuchtet, wie Nietzsche es formulierte, oder ist der Augenblick eher einem Hauch ähnlich, "wie wenn in das Rauschen von Saiten plötzlich ein Ton kommt", wie es Musil seinem "Mann ohne Eigenschaften" in den Mund legt? Inspirationen (lat. "Einatmung" oder "Einhauchung") sind unterschiedlich intensiv, wie auch die Gefühle, die uns durchfluten und zusetzen, unterschiedlich sind. Kein Wunder also, dass manche auch die Angst überfällt vor solch einem "Konzentrat" an Empfindungen.
"Ehemals sah man es jedem an, daß er einmal denken wollte – es war wohl die Ausnahme! –, daß er jetzt weiser werden wollte und sich auf einen Gedanken gefaßt machte: man zog ein Gesicht dazu wie zu einem Gebet und hielt den Schritt an; ja man stand stundenlang auf der Straße still, wenn der Gedanke »kam« – auf einem oder auf zwei Beinen. So war es »der Sache würdig«!"
(Friedrich Nietzsche in Die Fröhliche Wissenschaft)
Hermann Hesse und Annette von Droste-Hülshoff
Inspirationen leiten Phasen des Neubeginns ein, immer wieder, Zeiten des phantastischen Gelingens, die aber mitunter ins Gegenteil umschlagen können. Hermann Hesse hat seinen Siddhartha sagen lassen, als der sein altes Dasein abstreift: "O wie gut ist dies Geflohensein, dies Freigewordensein! Wie rein und schön ist hier die Luft, wie gut zu atmen! (...) er war gestorben, ein neuer Siddhartha, vergänglich war jede Gestaltung."
Der Schriftsteller und Literaturkritiker Otto A. Böhmer hat dem "Abenteuer der Inspiration" ein Buch gewidmet, in dem er sich in sensiblen Porträts deutscher Dichterinnen und Dichter von Lessing bis Dürrenmatt auf die Spur der literarischen Geistesblitze begibt.
"Im Idealfall bleibt dieser erfüllte Augenblick sich selbst treu, wächst über sich hinaus und wird zu einer Idee, die Haltung bewahrt, sogar im Alltag, der den schönen Schein ansonsten gekonnt zu behindern weiß. (...) Das Abenteuer der Inspiration ist mehr als ein Abenteuer, es bekennt sich zum Wagnis des großen Wurfs und gleicht einem kleinen, unscheinbaren Wunder."
(Otto A. Böhmer im Vorwort zu seinem Buch Das Abenteuer der Inspiration)
"Verweile doch, du bist so schön"
Die Inspirationen, von denen Otto A. Böhmer in seinem Buch erzählt, sind keine Zustände der Ergriffenheit oder der Entrücktheit, sondern ergeben sich beiläufig, unspektakulär. Hermann Hesse las mit zarten dreizehn Jahren "etwas Wunderbares, ganz und gar Verzaubertes, das Schönste, was mir je im Leben begegnet war", das ihn nachhaltig prägte: ein Gedicht von Hölderlin. Seitdem war dem späteren Nobelpreisträger klar, dass er "entweder ein Dichter oder gar nichts" werden wollte.
In seinem Essay zu Annette von Droste-Hülshoff "Man arbeitet sich durchs Leben" widmet sich Böhmer den literarischen und realen "Abenteuern" der Autorin, Musikerin und Komponistin, als sie 1841 auf der Meersburg am Bodensee ankommt. Hier wollte sie ihre poetische Welt aufbauen.
Dazu sollte auch der nicht unattraktive Levin Schücking beitragen, ein junger Journalist und Schriftsteller, den sie mit einiger List als Bibliothekar auf Schloss Meersburg installiert hatte. Seiner Anwesenheit ist es wohl zu verdanken, dass die siebzehn Jahre ältere Autorin zahlreiche Gedichte verfasste. Das Abenteuer der Inspiration vollzog sich jedoch nicht einseitig; die Beiden arbeiteten zusammen an verschiedenen Projekten, zum Beispiel an der Novelle "Der Familienschild". Nach dem Tod Droste-Hülshoffs im Jahr 1848 verfasste Schücking die erste Biografie über seine bis heute berühmte Weggefährtin.
"Mag das Abenteuer der Inspiration auch nicht sonderlich lange währen, so hält seine Zeit des schönen Scheins doch Geschichten bereit, die alles, fast alles zu bieten haben, was unser Leben lebenswert macht."
(Otto A. Böhmer)
Der Autor
Otto A. Böhmer, geboren 1949 in Rothenburg ob der Tauber, lebt als Schriftsteller, Literaturkritiker, Filmemacher und Rundfunkautor in Wöllstadt (Wetterau). Er studierte Philosophie, Politologie, Soziologie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Münster und Freiburg im Breisgau und promovierte mit einer Arbeit über Johann Gottlieb Fichte. Von 1977 bis 1986 war er als Lektor für mehrere Verlage tätig (u.a. Suhrkamp, Insel, Brockhaus). Er hat u.a. mehrere Dichterbiographien veröffentlicht, z.B. über Goethe, Schiller, Eichendorff, Heine und Nietzsche und ist Autor philosophischer Sachbücher. Zuletzt erschien von Otto A. Böhmer der Roman "Auf das was da noch war (2021).
Das Abenteuer der Inspiration
am 18. Januar kurz nach 21.00 Uhr in den radioTexten am Dienstag auf Bayern2
Ausgewählte Lesungen aus Otto A. Böhmers "Das Abenteuer der Inspiration":
"Man arbeitet sich durchs Leben. Annette von Droste-Hülshoff und die Träume des Tages"
mit Lisa Wagner und Gert Heidenreich und
"Mehr Sehnsucht als Erfüllung. Hesse und die Stufen des Lebens"
mit Sabine Kastius und Shenja Lacher
Die Lesungen sind natürlich auch als Podcast hier verfügbar.
Das Buch ist bei Diogenes erschienen.
Moderation: Antonio Pellegrino
Podcast verfügbar