radioTexte am Dienstag Otto A. Böhmer: Das Abenteuer der Inspiration

Wie lebte Annette von Droste-Hülshoff, wie Hermann Hesse? Wo lag der Ursprung ihrer Inspiration, ihrer Geistesblitze? In seinen lebhaften Porträts skizziert Otto A. Böhmer die wichtigsten Etappen, Begegnungen und Wegkreuzungen deutscher Dichter und ihrer Inspirationsquellen. Eine Lesung mit Lisa Wagner, Gert Heidenreich, Sabine Kastius und Shenja Lacher

Inspirationen sind unterschiedlich intensiv, so wie auch die Gefühle, die uns zusetzen, unterschiedlich sind. Entsprechend fallen die Wertungen aus, die wir mit ihnen verbinden. Wir hätten es gerne groß und heftig, haben indes Angst davor und sind zuletzt dankbar, wenn wir es überhaupt schaffen, fortzukommen von den gewöhnlichen Beschwernissen. Das Abenteuer der Inspiration weiß die Gunst des erfüllten Augenblicks zu schätzen. Im Idealfall bleibt dieser erfüllte Augenblick sich selbst treu, wächst über sich hinaus und wird zu einer Idee, die Haltung bewahrt - sogar im Alltag. Hermann Hesse las bereits mit dreizehn Jahren "etwas Wunderbares, ganz und gar Verzaubertes, das Schönste, was mir je im Leben begegnet war" und das ihn nachhaltig prägte: Ein Gedicht von Hölderlin. Seitdem war dem späteren Nobelpreisträger klar, dass er "entweder Dichter oder gar nichts" werden wollte. Ulrich Clarisse, der Protagonist in Robert Musils Roman "Mann ohne Eigenschaften" sinniert: "Nach einer Weile wird die Idee allen anderen Ideen, die du schon gehabt hast, ähnlich, sie ordnet sich ihnen unter, sie wird ein Teil deiner Anschauungen und deines Charakters". Die Inspirationen, von denen Otto A. Böhmer in seinem Buch erzählt, fallen meist unspektakulär aus. Ein Kapitel widmet er den literarischen und realen "Abenteuern" von Annette von Droste-Hülshoff, als sie 1841 auf der Meersburg am Bodensee ankommt. Hier wollte die Dichterin ihre poetische Welt erweitern. Dazu sollte auch der attraktive Levin Schücking, ein junger Journalist und Schriftsteller beitragen, den sie als Bibliothekar auf Schloss Meersburg beschäftigte. Seiner Anwesenheit ist es wohl zu verdanken, dass die siebzehn Jahre ältere Autorin zahlreiche Gedichte verfasste. Inspirationen ergeben sich wie beiläufig. Sie kommen von Stimmungen her, von Erlebnissen, von Liebesgefühlen. Wenn sie kommen, sollte der Dichter sie für sich nutzen und sie zur tragenden Idee werden lassen: "Denn eine Idee: das bist du; in einem bestimmten Zustand; aus dem Gewirr deiner Seele", lässt Robert Musil seinen "Mann ohne Eigenschaften" sagen, "hat sich ein unendlicher Zug geformt, und alle Schönheiten der Welt scheinen an seinem Weg zu stehen. Das bewirkt oft eine einzige Idee".

Mit freundlicher Genehmigung des Diogenes Verlages können wir die Sendung bis 15. Februar 2022 als kostenlosen Podcast anbieten.