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Diderot und der Luxus Luxus - Sünde oder Segen?

Das Leben des berühmten Herausgebers der „Encyclopédie“ war eher von Geldsorgen als von Luxus geprägt. Denis Diderot widmete diesem Kompendium allen Wissens zwanzig Jahre seines Lebens. Er soll ein getriebener, universell interessierter Geist gewesen sein. Seine Prosa wie auch seine theatertheoretischen oder politischen Überlegungen inspirierten nicht nur Goethe, Schiller oder später gar Karl Marx zu Lobeshymnen . Gert Heidenreich liest aus den Gedanken zum Luxus aus Diderots „Enzyklopédie“.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 08.02.2019 | Archiv

Portrait von Denis Diderot (1713? bis 1784),  entstanden im Jahr 1767, Künstler: Louis Michel Van Loo | Bild: picture-alliance/dpa / heritage images

"Luxus ist der Gebrauch, den man vom Reichtum und Gewerbe macht, um sich ein angenehmes Dasein zu verschaffen."

(Jean-François de Saint-Lambert, aus der Enzyclopédie)

Ist Luxus eine unnötige Darstellung von Prestige, eine liederliche Ausschweifung, ein Laster?  Nach der Definition des französischen Autors Jean-François de Saint-Lambert scheint dem nicht so zu sein. Die Hauptursache des Luxus sei, so de Saint-Lambert, jene Unzufriedenheit mit unserem Zustand, jenen Wunsch besser zu sein, der in allen Menschen liege und liegen müsse. Das Streben nach Luxus ist also dem Menschen immanent. Der Dichter und Militär, der in dem Mammutwerk der Aufklärung, der „Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ den Artikel über Luxus verfasst hat (in Band 9, erschienen 1765)  richtet bereits das Augenmerk auf den entscheidenden Begriff, nämlich das „angenehme Dasein“, der eine Veränderung in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts anzeigt. Luxus hat es schon immer in Oberschichten gegeben, doch im 18. Jahrhundert fand eine Verschiebung im Verständnis des Luxus-Begriffs statt: aus den Konnotationen Pracht und Verschwendung wurde eher Komfort, ein "angenehmes Dasein“, Kommodität. 

"Nachdem ich festgestellt habe, dass die Leidenschaften, die den Luxus anregen, und der Luxus selbst von Vorteil für die Bevölkerungszunahme und für den Reichtum der Staaten sein können, sehe ich nicht ein, warum dieser Luxus und diese Leidenschaften schädlich für die Sitten sein sollen."

(Jean-François de Saint-Lambert, aus der Enzyclopédie)

Durch die damalige Dynamisierung der Ökonomie, die Bourgeoisie als neues Klientel, wurde dem Luxus nicht mehr einzig ein desaströses, sondern auch ein funktionales Moment in Ökonomie und im Lebensstil zugesprochen - im Sinne eines Lebens mit "Komfort". So verstanden, wurde der Luxus auch bei den Aufklärern, den Enzyklopädisten, nicht von vornherein abgeurteilt. Im Gegenteil: Luxus könne für sämtliche Beteiligte von Vorteil sein - wenn sich alles die Waage halte. 

"Die Mittel zur Bereicherung müssen zum Reichtum des Staates beitragen, und die Art und Weise des Genusses muss dem Staate nützen; jedes Eigentum soll der Gemeinschaft dienen(…). Kurz: der Luxus und die Leidenschaften, die zum Luxus führen, müssen dem Geist der Gemeinschaft und dem Wohl der Gemeinschaft untergeordnet sein."

(Jean-François de Saint-Lambert, aus der Enzyclopédie)

Die Summe des europäischen Wissens

Die Umsetzung dieser Forderung de Saint-Lamberts ist sicherlich heute auch noch interessant - man denke an die momentanen Zahlen zur Verteilung des globalen Reichtums oder die eigenwilligen Steuerpraktiken der größten Konzerne. 

Münzprägung mit der Schraubenpresse, Kupferstich, 1771.Illustration zu Diderots und D'Alemberts "Encyclopedie", 1751-81. Spätere Kolorierung

Als die ersten Bände dieser von Denis Diderot und Jean Baptiste Le Rond d’Alembert konzipierten Enzyklopädie des Wissens ihrer Zeit im Jahre 1751 erschienen, trafen sie den Nerv der damaligen Ära, jedoch nicht unbedingt auf Zustimmung des Königs bzw. des Ancien Régimes. Diderot war sogar einige Monate im Gefängnis von Vincennes gelandet aufgrund seiner materialistischen Ansichten, die er in seinen vielfältigen Schriften kundgetan hatte. Das letztlich doch von der Zensur geduldete Kompendium, 35 Bände stark und zwischen 1751 und 1780 publiziert, versammelte nicht nur das Wissen der Zeit, sondern auch einige der größten Denker der Epoche, wie Voltaire, d’Holbach, Montesquieu, Rousseau oder Denis Diderot als Autoren. Bis heute sind die über 70.000 Artikel quer durch alle Wissenssphären das schriftliche Erbe der Aufklärung schlechthin.

Lesung mit Gert Heidenreich

Filmszene aus: "Die andere Heimat", Drehbuch: Gert Heidenreich und Edgar Reitz, basierend auf Gert Heidenreichs gleichnamiger Erzählung.

Gert Heidenreich, 1944 in Eberswalde geboren, in Darmstadt aufgewachsen und in der Nähe von München zuhause, ist nicht nur erfolgreicher Schriftsteller und einer der bekanntesten Sprecher für TV, Radio und Hörbücher. Neben seinen Romanen, Gedichten und Theaterstücken verfasste er Reportagen über die Sahara, die Länder Schwarzafrikas, Indien und Zentralasien für Merian. Darüber hinaus schreibt er Drehbücher fürs Kino und Fernsehen ("Die andere Heimat", "Meister des Todes", "Saat des Terrors"). Der ehemalige Vorsitzende des P.E.N.-Clubs wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er 1986 den Grimme-Preis, 2013 den Bayerischen Filmpreis (für das Drehbuch von "Die andere Heimat"), 2014 den Deutscher Filmpreis in Gold und den MarlerMenschenrechtspreis von Amnesty International 2017. Zuletzt erschienen: Die andere Heimat, Erzählung, 2013; Der Fall, Roman, 2014; Nächte mit Leonard. Erinnerungen an Leonard Cohen, 2015; Das Lied von Kulager, Nachdichtung, 2016, auch als Hörbuch vom Bayerischen Rundfunk produziert; Schweigekind, Roman 2018.

Für seine herausragende Sprecherleistung wurde Gert Heidenreich im März 2019 mit dem Deutschen Hörbuchpreis geehrt. Wir gratulieren!

"Luxus" - aus Diderots "Enzyklopädie"

Der Schriftsteller Gert Heidenreich wird in diesem Jahr als bester Interpret mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2019 geehrt.

am 2. April in den radioTexten am Dienstag,
kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2

Lesung mit Gert Heidenreich

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Die Sendung finden Sie auch als Podcast in der BR-Mediathek sowie auf dieser Seite als Stream.


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