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Durs Grünbein: Der Komet BR 75 mit Durs Grünbein: eine Familie im Nationalsozialismus

In seinem Buch „Der Komet“ erzählt der Lyriker von seiner Großmutter und von der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Beim BR-Kulturabend liest Durs Grünbein aus seinem Bericht und spricht über die literarische Spurensuche.

Stand: 12.06.2024

Durs Grünbein: Der Komet: BR 75 mit Durs Grünbein: eine Familie im Nationalsozialismus

"Ein Komet rast auf die Erde zu, ein langgestreckter Schweif folgt ihm mit einer Schleppe aus Staub. Auf seiner Flugbahn werden Lichtpartikel freigesetzt, die durch die Erdatmosphäre dringen. Enthält er genügend Eis und gerät er in den Wärmebereich der Sonne, fängt sein Schweif zu sprühen an. Dann kommt es vor, daß er auf Erden für die Bewohner sichtbar wird. Diese Sichtbarkeit aber, sagen die Astronomen, ist oft nur eine Illusion. Man kann sich nicht sicher sein, was man da sieht. Unwahrscheinlich, daß der Mensch die großen, schicksalsträchtigen Dinge auf sich zukommen sieht mit bloßem Auge. Das Eintreten der Katastrophe, die schließlich alle erfaßt, bleibt lange unsichtbar, bis sie irgendwann eintritt."

(aus: Durs Grünbein, Der Komet)

Sie ist der bedrückenden familiären Enge in der schlesischen Heimat entflohen: Dora W., die Hauptfigur in Durs Grünbeins Buch „Der Komet“. 1936 bricht sie auf nach Dresden, bezieht mit ihrem Verlobten eine Wohnung in der Altstadt und gründet eine Familie. Dora W. ist die Großmutter von Durs Grünbein. Der Schriftsteller – einer der bedeutendsten, vielfach ausgezeichneten deutschsprachigen Lyriker der Gegenwart – erzählt ihre Geschichte. Und mit ihr die Geschichte der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus und schließlich der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945. Ausgehend von den überlieferten Erinnerungen der Großmutter rekonstruiert Durs Grünbein minutiös den Alltag in der Diktatur. Ebenso berichtet er, am Beispiel einzelner Lebensgeschichten, von der Entrechtung, Ausgrenzung und Ermordung der Juden in Deutschland.

Immer wieder schon hat Durs Grünbein, 1962 in Dresden geboren, über die Familien- und die mit ihr verbundene Zeitgeschichte geschrieben. Es gibt etwa ein langes Poem, eine Gedichtsammlung, mit dem Titel „Porzellan“, entstanden in über zehn Jahren, 2005 erschienen. Auch in seinem Prosa- und Gedichtband „Die Jahre im Zoo“ von 2015 geht Durs Grünbein schreibend zurück in die Vergangenheit. In „Der Komet“ knüpft er an die literarischen Ergründungen an und erzählt weiter und noch einmal neu. „Ich habe nur diese Geschichte“, berichtet er beim BR-Kulturabend im Capitol in Sulzbach-Rosenberg. Die Familie der Großmutter habe im Zuge der Luftangriffe auf Dresden ihr gesamtes Hab und Gut verloren, sagt der Schriftsteller. Es gebe kein Familienarchiv, nur ein paar Fotografien, die gerettet werden konnten. Und die Erzählungen der Großmutter. Durs Grünbein kann sich, in der Recherche, allein auf ihre Erinnerungen. Er verbindet sie mit eigenen historischen Recherchen. Und er verwendet das Bild des Kometen für die Erzählung der großen, der Zeitgeschichte.

Aus Anlass des 75. Geburtstages des Bayerischen Rundfunks war Durs Grünbein am 10. Juni zu Gast in Sulzbach-Rosenberg, gemeinsam eingeladen vom Literaturarchiv – Literaturhaus Oberpfalz und von Bayern 2. Beim Kulturabend im Rahmen der Reihe „Die Zwei vor Ort“ hat er aus seinem Buch „Der Komet“ gelesen und Auskunft über sein Schreiben gegeben. Ebenso hat er für sein Publikum Gedichte gelesen. Durs Grünbeins Werk – zuletzt der Band „Der Komet“ – erscheint im Suhrkamp-Verlag. Mit dessen freundlicher Genehmigung sind die Lesung und Auszüge des Gesprächs zu finden im Bayern 2-Podcast „Buchgefühl – reden und lesen“. Redaktion und Moderation: Niels Beintker


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