Für Frieden, Demokratie und Frauenrechte Friedenspreis für Tsitsi Dangarembga
Seit 30 Jahren kämpft Tsitsi Dangarembga für Frieden, Freiheit, Demokratie und Frauenrechte in Simbabwe. Streitbar als Bürgerin, einfühlsam als Filmemacherin und Schriftstellerin, die den Fokus ihrer Arbeit ganz klar auf Frauen richtet. Sie seien zum Schweigen gebracht worden, sagt Tsitsi Dangarembga. Frauen den Raum zu geben, sich zu artikulieren, auch in ihren drei preisgekrönten Romanen, ist ihr wichtigstes Anliegen.
Als im Juni bekannt wurde, dass der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, mit dem die Frankfurter Buchmesse immer endet, in diesem Jahr an Tsitsi Dangarembga geht, waren viele ratlos. Höchste Zeit, sie kennenzulernen. Tsitsi Dangarembga ist eine couragierte Schriftstellerin und Filmemacherin in Simbabwe, die in Berlin Filmregie studierte, nach Simbabwe zurückkehrte, dort als Künstlerin arbeitet und für die Rechte von Frauen eintritt. Ihr 1988 erschienener Debütroman „Nervous Conditions“ zum Beispiel, auf Deutsch mit dem Titel "Aufbrechen" 2019 erschienen, wurde 2018 von der BBC in die Liste der 100 wichtigsten Bücher aufgenommen, die die Welt geprägt haben. Der Film „Neria“, für den sie 1993 die Story schreibt, zählt zu den beliebtesten Filmen in Simbabwe. Nun ist sie als Aktivistin in Simbabwe angeklagt, weil sie gegen Korruption und für Reformen protestierte. Die Regierung unter Emmerson Dambudzo Mnangagwa missbrauche die Pandemie, um legitime Demonstrationen zu unterbinden, sagt Tsitsi Dangarembga.
"Frieden bedeutet für mich die Freiheit und Chance zu wählen, wer ich sein will, und die Mittel, die Unterstützung und den Pfad, zu dieser Person zu werden. Dazu gehört die Redefreiheit, ohne die sich ein solcher Weg nicht öffnen, eine Person dazu nicht befähigt werden kann", erzählt Tsitsi Dangarembga im Gespräch mit Cornelia Zetzsche. Schreiben sei für sie eine Möglichkeit, Frauen Raum zu geben, sich zu artikulieren, wie in ihren drei preisgekrönten Romanen.
"Den Impuls zur Trilogie hatte ich gleich nach der Unabhängigkeit. Ich hatte gesehen, wie wenig mutig Mädchen vor der Unabhängigkeit waren und dachte, das sei nun eine neue Ära. Ich wollte Mädchen ermutigen, etwas für sich selbst zu tun, wollte sie wissen lassen, dass es Widerstände gibt, aber ihnen das Wissen mit auf den Weg geben, dass sie etwas vom Leben erwarten und etwas fordern dürfen."
Tsitsi Dangarembga
Heldin ihrer Trilogie ist Tambudzai, ein Mädchen vom Land, das zur Frau wird, in der Stadt strandet und dabei fast zerbricht. Ist Tambudzai als Kind noch voller Tatendrang, um zur Schule gehen zu dürfen, erlebt sie im zweiten Teil der Trilogie Rassismus und Gewalt und steht im dritten, "Überleben", vor dem Nichts. Tambudzai hat den Boden unter den Füßen verloren, und ihre Autorin zeigt, wie sich das körperlich äußert, im physischen Kollaps.
"Ich wollte hervorheben, dass wir mehr sind als unser Geist und unsere Gefühle. Wir sind auch Körper, Und ich wollte zeigen, das sich unsere Erfahrungen in unseren Körpern manifestieren. Das ist der Fall bei Tambudzai. Die Traumaforschung, in vielen Teilen der Welt, zeigt, Traumata können genetisch weitergegeben werden an die Kinder."
Tsitsi Dangarembga
Tambudzai trägt die Erfahrung des blutigen Unabhängigkeitskrieges, der Frauenverachtung, des Rassismus in sich. Und ist dabei anfangs selbst eine Kollaborateurin des Systems, das sie kaputtmacht, in ihrem Fokus auf Geld und reiche Ehemänner etwa. Fast sieht es aus, als scheitere sie, bis sie am Ende das System erkennt, das Machtsystem aus der korrupten Elite im eigenen Land und westlichen Institutionen. Und Tsitsi Dangarembga schont mit ihrer sanften Stimme, aber radikalen Kritik keinen: weder die Regierungspartei Simbabwes, die Zanu-PF, die von einer Befreiungsfront zur korrupten, autoritären Clique wurde, noch die Weltbank oder die Vereinten Nationen. Westliche Länder betrauerten Opfer von Charlie Hebdo, aber für die 200 Toten nach einem islamistischen Angriff in Kenia, hatten sie keinen Blick, so wenig wie für die Flüchtlinge heute.
"Es ist ein Narrativ, dass einige Körper mehr Wert haben als andere. Elf tote Körper sind mehr Grund zu trauern als 200? Ich dachte an Zeiten der Sklaverei, als Körper auf den Grund des Meeres geworfen wurden, wenn die Leute zu krank waren und es keine ökonomische Aussicht hatte, sie auf die andere Seite der Welt zu transportieren, höchstens, wenn sie versichert waren. Und ich dachte, jetzt sehen wir etwas Ähnliches, die Körper auf dem Grund des Mittelmeeres."
Tsitsi Dangarembga
Wenn Tsitsi Dangarembga die Dauerkrise in Simbabwe erklärt, 90 Prozent Arbeitslosigkeit, Armut und Korruption, dann geht sie weit zurück zu den Anfängen der Kolonialherrschaft, zu Christoph Kolumbus ins Jahr 1492, und spannt den Bogen bis zum Internationalen Währungssystem Bretton Woods heute, der Ungleichheit weltweit und im eigenen Land. Die Epidemie habe Simbabwe, wo fast alles Open Air geschieht, wenig erfasst. Aber während die Erkrankung für normale Bürger einem Todesurteil gleichkomme, bauten sich die Regierungselite und das Militär eigene Krankenhäuser:
"Wir haben in Simbabwe gesehen, wie die Covid-Regeln von der Regierungspartei, der Zanu-PF, als Waffe gegen politische Gegner verwendet werden. Wir haben im Moment einen Lockdown. Versammlungen sind nicht erlaubt, aber Zanu-Pf-Versammlungen finden statt."
Tsitsi Dangarembga
Während Tsitsi Dangarembga in Deutschland mit dem Friedenspreis eine der höchsten Auszeichnungen bekommt, steht sie im eigenen Land vor Gericht, weil sie - ungenehmigt - gegen Korruption und für Reformen demonstriert hat. Bürger tragen Verantwortung, in welcher Gesellschaft sie leben, sagt Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe, in dem die Menschen bei der Unabhängigkeit 1980 so voller Hoffnung waren, die nun schwindet.
"Es zerstört die Seele. Der Tod der Hoffnung ist brutal und schwer zu ertragen für Simbabwer. Die Leute denken sich, wir überstanden den Krieg, wir haben die Unabhängigkeit und nun das. Worauf können wir noch hoffen?"
Tsitsi Dangarembga
Lesung aus dem neu erschienenen Roman "Überleben"
Schauspielerin Yodit Tarikwa, die vom Theater Basel und dem Maxim Gorki Theater in Berlin ins Ensemble des Münchner Residenztheaters kam, liest direkt nach der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche, die Laudatio hält Auma Obama, die Schwester des ehemaligen Präsidenten der USA, Ausschnitte aus dem neuen Roman von Tsitsi Dangarembga.
Sonntag, 24. Oktober, 12.30 Uhr auf Bayern 2. Ausschnitte aus der Laudatio gibt es abends im Kulturjournal um 18.05 Uhr.