Renaissance-Bestseller Giovanni Boccaccios "Il Decamerone"
Übersetzt heißt "Il Decamerone" das Zehntagewerk. Um 1350, während die Pest in Europa wütete und rund 25 Millionen Menschen dahinraffte, schrieb Giovanni Boccaccio diese zehn mal zehn Geschichten gegen den Tod, die in der Renaissance zum Bestseller wurden. Gustl Weishappel liest sie - ein Klassiker aus dem BR-Archiv in den radioTexten.
Die Rahmenhandlung führt ins Florenz des Jahres 1348, wo soeben eine furchtbare Seuche ausgebrochen ist, die alle, die es sich leisten können, fliehen: die schwarze Pest. Zehn Adelige, sieben Frauen und drei Männer, verlassen die Stadt und beziehen zusammen ein Haus auf dem Land, um das massenhafte Sterben hinter den Stadtmauern zu vergessen. Die zehn wollen ihr Leben genießen und feiern, nicht um es fürchten und zittern. Sie setzen sich zusammen und erzählen sich täglich zehn Geschichten - zehn Tage lang, jeder eine an einem Tag - und trotzen so dem Tod.
Witzig, sinnlich und erotisch
Die Erzählungen, die Boccaccio so berühmt machten, dass er fortan in einem Zuge mit Dante und Petrarca genannt wurde, entwerfen eine vor Liebe und Leidenschaft strotzende Gegenwelt zur grausamen Realität. Sie sind witzig, manchmal recht drastisch, sinnlich und erotisch - und immer überraschend. Wiederholt lockt Boccaccio die Leser gekonnt auf falsche Fährten, so dass sie sich selbst mit ihren schlüpfrigen Gedanken ertappt fühlen.
Da ist etwa der weiß gekleidete Abt, der den schönen Jüngling Allessandro nachts auffordert, sich zu ihm zu legen - und sich bei den ersten Berührungen als eine Frau entpuppt: als die Tochter des englischen Königs. Oder da ist die schöne edle kluge Adlige, die unter ihrem Stand geheiratet hat und einen Mönch dazu bringt, sie mit dem Mann ihrer Träume zusammenzubringen.
"Der Edelmann ... betrat den Garten, kletterte auf den Baum, sah, dass das Fenster offenstand und stieg in die Kammer, wo er sich, so rasch er konnte, in die Arme seiner schönen Dame legte. Diese hatte ihn sehnsüchtig erwartet, empfing ihn freudig erregt und sagte: 'Dank sei dem ehrwürdigen Pater, der dich den Weg hierher gelehrt hat'. Darauf vergnügten sie sich miteianander, plauderten und lachten herzhaft über die Einfältigkeit von Bruder Schafskopf; sie amüsierten sich köstlich miteinander und spotteten über Rocken, Kämme und Wollkratzen. Dann regelten sie ihre Angelegenheit so, dass sie, ohne noch einmal zu dem Herrn Ordensbruder zurückkehren zu müssen, viele weitere Nächte in Seligkeit miteinander verbrachten, wohin Gott in seiner großen Barmherzigkeit mich und alle Christenseelen, die es danach verlangt, bitte geleiten möge."
Giovanni Boccaccio: Das Decameron, aus der Dritten Novelle am dritten Tag
Der drohende Tod, die Erfahrung des massenhaften Sterbens bleibt in den Geschichten immer präsent, gleichsam als eine Folie, vor der die Leidenschaften und die Freude am Leben umso deutlicher hervortreten. Die 100 Geschichten werden so zu seinem großartigen "memento mori", der eindringlichen Mahnung, bei allem Genuss die Vergänglichkeit nicht zu vergessen.
Giovanni Boccaccio
Giovanni Boccaccio (1313-1375) studierte die Rechte und arbeitete seit 1340 als Notar und Richter in Florenz. Unter dem Einfluss von Francesco Petrarca, mit dem er 1350 eine lebenslange Freundschaft schloss, studierte er die Klassiker der Antike und widmete sich der Schriftstellerei. Berühmt wurde Boccaccio durch seine 1348-1353 entstandene Novellensammlung "Il Decamerone" ("Das Dekameron"), die 1470 gedruckt wurde und bereits 1472 ins Deutsche übersetzt wurde. Sie gehört zu den ersten großen Prosawerken der Neuzeit.
Schatz aus dem Archiv des Bayerischen Rundfunks
BR-Moderator Gustl Weishappel liest aus dem Zehntagewerk in der Übersetzung von Gustav Diezel.
Sie hören diesen Bestseller der Renaissance in drei Folgen in der klassischen Lesung der radioTexte: Donnerstag, 6. August, 13. und am 20. August, 21.05 Uhr auf Bayern 2.
Redaktion und Moderation: Judith Heitkamp