Bayern 2 - radioTexte


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Peter Handke erinnert an Kito Lorenc "So schöne Gedichte gibt‘s nirgends!"

Zum 75. Geburtstag des deutsch-sorbischen Dichters 2013 saßen die beiden Granden der Wortkunst bei einer Lesung noch zusammen, Peter Handke und Kito Lorenc. Das wurde im Sommer in der Suhrkamp-Villa in Berlin wiederholt. Ohne Kito Lorenc, der 2017 verstarb. Mit leiser Stimme las Peter Handke Gedichte seines Dichterkollegen, dem Vermittler zwischen dem Sorbischen und dem Deutschen. Die eine Sprache tauge für Behördengänge und philosophische Gedanken,so Kito Lorenc, die andere für Haus und Garten und den Nussbaum im Hof. Jede kann was, was die andere nicht kann. Lesung mit Gert Heidenreich.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 05.09.2018 | Archiv

Kito Lorenc und Peter Handke | Bild: Picture Alliance

Kito Lorenc zur Erinnerung

"Die Poesie des Kito Lorenc, sie ist bestimmt, und grundiert, vom Ahnen. Das ist freilich beileibe kein Vorahnen, das 'böse'. Zwar kommt es aus einem Erinnern. Aber die poetische Ahnung greift ein in die Erinnerung, nimmt sich ihrer an, übersteigt sie, beflügelt sie, skandiert sie, rhythmisiert sie, reimt sie (zeitweise, ohne Reimwillen oder -plan, sozusagen 'sporadisch', frei nach der Inselgruppe der Sporaden im Ägäischen Meer). Das alles sind die Tätigkeiten der Kito Lorenc’schen naturdichterischen Ahnung, und die Aktivverben für diese", schreibt Peter Handke in dem Vorwort des von ihm zusammengestellten Bandes mit Gedichten des deutsch-sorbischen Dichters.

Die Sorben

Es ist ein kleines Volk, das der Sorben, doch eines mit einem großen Behauptungswillen. So überdauerte das in der oberen und niederen Lausitz ansässige slawische Volk die mittelalterliche deutsche Ostexpansion und bewahrte Brauchtum und Sprache, die mit Ende des 16. bzw. mit dem beginnenden 17. Jahrhundert aus dem mündlichen auch in den schriftlichen Bereich überging.

Und weiter schreibt Peter Handke: "Kito Lorenc ist ein Kind, ein Kind im umfassenden Sinn, der Landschaft an den Ostgrenzen Deutschlands, der Lausitz, oder, wie sie sorbisch anders schön heißt, der Łuzˇica ("zˇ" wie das "j" von Jeanne d’Arc), Kind der Łuzˇica, so wie seine Poesie deren Kind ist, der Bäche, Felder, Hügelwälder, Moore und Heide dort zum einen, des Aneinanderstoßens – auch das in vielerlei Sinn – dreier Länder, eines deutschen, eines polnischen, eines tschechischen zum anderen. Seine Gedichte sind geboren aus dem sorbischen Dreiländereck, in ein paar Schlenkern oder eher Anspielungen auch aus der weniger heiteren, weniger stillen, weil weniger fruchtbaren Dreistaatenecke. Solche Gedichte wie die paar Dutzend von Kito Lorenc hat es im Deutschen noch keinmal gegeben und wird es, traurig und vielleicht gar nicht wahr, nie wieder geben, nimmermehr, nevermore."

"Die Sprache der Macht und die Macht der Sprache"

Kito Lorenc war Mitglied des deutschen PEN-Zentrums und der Sächsischen Akademie der Künste. Er wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. So bekam er 1974 den Heinrich-Heine-Preis des DDR-Kulturministeriums, 1991 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste und 2009 den Lessing-Preis des Freistaates Sachsen. 2012 erhielt er für sein dichterisches, übersetzerisches und herausgeberisches Gesamtwerk den Petrarca-Preis. Zuletzt wohnte Kito Lorenc in Wuischke/Wuježk bei Hochkirch in der Oberlausitz und arbeitete als freier Autor. Sein Großvater, Jakub Lorenc-Zalěski (1874-1939), war Förster und ein bekannter sorbischer Schriftsteller, dem die Nazis Schreibverbot erteilt hatten.

Goldener Schlüssel zur Lyrik

Kito Lorenc erhielt nach Erich Fried, Peter Handke und Volker Braun nicht nur den "Goldenen Schlüssel der Poesie von Smederevo", er ist vielmehr ein goldener Schlüssel zur Lyrik. Wer seine schrägen Verse, seine magisch melancholischen Naturbilder liest, wird gedichtsüchtig. Und packt vielleicht sogar seinen Rucksack und wandert durch die Lausitz, die Heimat des sorbischen Sprachverdichters.

Wenn kleine Dichter eines Sonntags spurlos verschwinden

"Dichter muss man nicht mögen
Dichter haben nichts gelernt können nichts
Dichter kann man nicht ernst nehmen..."

Kito Lorenc

Deswegen lässt sie der Dichter Kito Lorenc irgendwann an einem Sonntag verschwinden, spurlos, "zwischen Unterholz und Windbruch, in den grün und blau geschlagenen Wald". Die Ironie schwingt oft mit in seinen Gedichten voller Wortspielereien mit bestehenden Redewendungen. Oder mit welchem Sarkasmus er in einem älteren Gedicht aus DDR-Zeiten die Umweltverschmutzung durch Putzmittel anprangert, macht nicht nur Kindern Spaß, für die er den Gedichtband "Die Rasselbande im Schlamassellande" schrieb:

"Imi Ata Spee
schwimmen in der Spree
schwimmen in der Spree
Fit
schwimmt mit
fix und fit
Spray
fliegt in die Höh
jähöh"

Kito Lorenc

Kito Lorenc wurde als Christoph Lorenz am 4. März 1938 in Schleife/Slepo bei Weißwasser geboren. Seine "Muttersprache", Sorbisch, brachte er sich mit 14 Jahren selber bei. Denn seit 1937 hatten es die Nationalsozialisten der Minderheit verboten, öffentlich Sorbisch zu sprechen. Erst auf der Oberschule in Cottbus fing er an, sich in die Sprache seines Großvaters zu vertiefen. Jakub Lorenc-Zalěski war Dichter und Kito war fasziniert von der ihm fremden Sprache und der Kalligraphie. "Ich würde das 'große Haus' des unbekannten Herren betreten, sein 'reiches Schiff' besteigen und das Land Kannitverstan erkunden, das wie eine Antiwelt in meiner eigenen existierend, gleich hinter unserer Türschwelle begann."

Nach dem Abitur studierte Lorenc Slawistik, arbeitete als Übersetzer und veröffentlichte 1961 seinen ersten Lyrikband. Über ein gutes Dutzend sind mittlerweile erschienen. Und dafür wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Kito Lorenc ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, Träger u. a. des Heinrich-Heine-Preises, des Ćišinski-Preises, des Heinrich-Mann-Preises, des Lessing-Preises und des renommierten Petrarca-Preises.

Andere Sprache

"Kräht eine Sprache
rein durch die Tür
gackert die andre
raus durch das Fenster
Fingersatz Angst
kopfab vom Klotz
flattert der Flügel
neben den Text
ausbluten lassen
Seele und Hals"

Kito Lorenc

Lesung und Gespräch mit Peter Handke

Mehr Gedichte des deutsch-sorbischen Schriftstellers Kito Lorenc gibt es am Sonntag, dem 9. September, in radioTexte - Das Offene Buch zu hören, gelesen von Peter Handke und Gert Heidenreich. Im Gespräch: Peter Handke. Moderation und Redaktion: Cornelia Zetzsche.
Kito Lorenc "Gedichte", erschienen bei Suhrkamp.
"Das offene Buch", sonntags um 12.30 Uhr auf Bayern 2.


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