Sasha Marianna Salzmann: "Außer sich" Shooting-Star der deutschen Literaturszene
"Ein Debütroman mit großer sprachlicher und dramaturgischer Kraft: Vom postsowjetischen Moskau über ein Asylheim in der westdeutschen Provinz bis in ins heutige Istanbul, erzählt Marianna Salzmann von den Umbrüchen und der Verbundenheit der Flüchtlingsfamilie Tschepanow. Vor allem erzählt sie aber sicher, perspektivenreich, humorvoll und mit großer Unbedingtheit von der jungen Generation dieser Heimat-Wanderer, die um die eigene Identität kämpft: sprachlich, politisch und sexuell", so die Jury des Deutschen Buchpreises. Am Sonntag ist sie zu Gast im "Offenen Buch" mit Lesung und Gespräch.
"Wie spät es war, bestimmte in diesen Tagen der Ministerpräsident"
So elegant beschreibt Sasha Marianna Salzmann in ihrem Debüt-Roman den Umbruch der Türkei zu einer Diktatur. Mit großer Leichtigkeit und der Außensicht einer Schriftstellerin, die mit Russisch und Jiddisch aufgewachsen ist, ist Salzmanns Stil ungeheuer lebendig. Die Sprache ist die einzige Heimat, nicht nur ihrer Protagonistin; über die russische Sprache schreibt sie: Sie sei so viel besser ist als die Welt, aus der sie komme, "blumiger und bedeutsamer, als die Realität je sein könnte".
Mit einem Koffer Bücher nach Deutschland
Sasha Marianna Salzmann wurde am 21. August 1985 in Wolgograd geboren; aufgewachsen in Moskau als Tochter einer jüdischen Ärztefamilie, in der es immer hieß, sei stolz darauf, Jüdin zu sein, aber sag es niemandem. Die Familie nahm sogar vorsichtshalber einen russischen Familiennamen an. 1995 kann die Familie als sogenannte Kontingentflüchtlinge die Sowjetunion verlassen. Alles, was Marianna mitnehmen darf, ist ein Koffer voller Bücher. Zusammen mit ihrem siebenjährigen Bruder landet die kleine Familie in verschiedenen Flüchtlingsheimen, bis man endlich in einem Dorf nahe Hannover eine Bleibe findet.
Flirrende Identitäten
Schon früh fängt sie an zu schreiben, sich mit Sprache und Identitäten zu beschäftigen, nähert sich schreibend ihrem neuen Umfeld, in dem sie sich diskriminiert und ausgegrenzt fühlt. Diese Thematik nach Zugehörigkeiten, das Scheitern an der Realität behandelt sie immer wieder in ihren Theaterstücken und auch in ihrem Roman. Ihre flirrenden Figuren zersetzen sich, lösen sich auf, schweben zwischen Identitäten. Den Namen Sasha nimmt sie an, als ihr Urgroßvater gleichen Namens stirbt. Wer ist man, wenn alles um einen wegfällt, wenn man keine Familie hat, kein Zuhause, keine Heimat, wenn jegliche Verbindung zu einem Umfeld gekappt wird und man sich nirgends zugehörig fühlt.
Von Null auf Hundert
2005 studiert Marianna Salzmann an der Universität Hildesheim Literatur, Theater und Medien, drei Jahre später belegt sie an der Universität der Künste in Berlin den Studiengang Szenisches Schreiben. Erste Gedichte und Kurzgeschichten werden veröffentlicht. Ihr erstes Stück, zugleich ihre erste Regiearbeit, "Weißbrotmusik", wird mit dem "Preis der Wiener Wortstaetten" ausgezeichnet. Sie gehört zu den Gründern des Kulturmagazins "freitext", das sie über zwölf Jahre redaktionell betreut. Wird für "Muttersprache Mameloschn" mit dem Mühlheimer Publikumspreis geehrt und ist seit 2013 "Hausautorin" des Maxim Gorki Theaters in Berlin. Sie unterrichtet politisches Schreiben, gründet eine Experimentierbühne am Gorki, die in Fachkreisen als spannendstes Projekt im deutschsprachigen Raum gilt. Ihren Debüt-Roman beginnt sie 2012/13, als sie als Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya in Istanbul lebt. 2017 landet sie als jüngste Autorin mit "Außer sich" auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Autoren-Lesung und Gespräch im "Offenen Buch"
Am Sonntag, dem 26. November, ist Sasha Marianna Salzmann, der Shooting-Star des Theaters und der Literatur, zu Gast in radioTexte - Das offene Buch. Sie erzählt aus ihrem Leben, dem Schreiben und ihren Protagonisten. Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche.
"radioTexte - Das offene Buch" jeden Sonntag um 11 Uhr auf Bayern 2.
Auszeichnungen (Auswahl)
2002 - Stipendiatin Literatur Labor Wolfenbüttel
2009 - Exil-DramatikerInnenpreis der Wiener Wortstaetten für "Weißbrotmusik"
2012 - Kleist-Förderpreis für "Muttermale Fenster blau"
2012 - Stipendium der Kulturakademie Tarabya/Türkei
2013 - Publikumspreis bei den Mülheimer Theatertagen für "Muttersprache Mameloschn"
2017 - Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung für "Außer sich"
2017 - Shortlist zum Deutschen Buchpreis mit "Außer sich"
2017 - Nominierung zum aspekte-Literaturpreis mit "Außer sich"