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"Kinder sollen Lachen" Tanja Maljartschuk und Yamen-Hussein: Schreiben im Krieg

Seit elf Jahren lebt die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk in Wien. Schreiben ist unmöglich geworden. Denn: "Gott ist in Butscha gestorben". Aber sie hat es versucht. "Schreiben Sie, haben sie gesagt", so beginnt Tanja Maljartschuk ihren Text fürs Offene Buch über die Unmöglichkeit, in dieser Zeit zu schreiben. Der Dichter Yamen Hussein aus Homs floh 2014 aus Syrien und lebt heute im deutschen Exil, er schreibt: "Die Zeit ist aus Blut". Er und Tanja Maljartschuk müssen von Ferne zusehen, wie ihre Familien in Gefahr sind und ihre Heimat zerbombt wird. Was soll da noch Literatur?

Von: Cornelia Zetzsche, Eva Demmelhuber

Stand: 05.05.2022

Ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk und Yamen Hussein aus Syrien | Bild: Michael Schwarz/Yamen Hussein/BR-Bildmontage

"Was kann Literatur? Was können Literaten?

Das fragte Cornelia Zetzsche 2019 die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk, als ihr Roman "Blauwal der Erinnerung" erschien. "Mutig werden und darüber zu sprechen", antwortete die Autorin damals, "immer in der Opposition zu sein, und das ist nicht leicht, das ist manchmal sehr schwer, vor allem, wenn die anderen schweigen, aber Schweigen ist ein Verbrechen." Fast visionär ihr Roman von damals, denn er zeigt die ewige Wiederholung der Geschichte am Beispiel der Ukraine. Ein kunstvolle Verwebung zweier Leben, eine von Panikattacken heimgesuchte Frau, deren Leben aus den Fugen geraten ist, entdeckt die ukrainische Geschichte, einen vergessenen Volkshelden, Wjatscheslaw Lypynskyi, einen leidenschaftlichen Kämpfer für die Eigenständigkeit der Ukraine um die Jahrhundertwende. Jetzt, seit dem 24. Februar, dem brutalen völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, den russischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fühlt sich Tanja Maljartschuk nicht in der Lage, weiter zu arbeiten. Und doch hat sie sich exklusiv für Bayern 2 an einer Geschichte versucht.

"Schreiben Sie etwas Literarisches, haben sie gesagt, eine Erzählung zum Beispiel, ein Märchen, einen Text, der weder eine Zeitungskolumne noch ein Essay über den Krieg ist. Schreiben Sie, haben sie gesagt. Ich versprach es, wissend im Voraus, dass das Versprechen nicht haltbar sein kann. Gott ist in Butscha und Mariupol gestorben (und vielleicht schon viel früher). Die Metapher ist tot. Die Emotion stirbt demnächst. Und ohne diese drei Voraussetzungen entsteht keine Literatur im Sinne der Literatur. Vielleicht entsteht sie im Sinne der Überlebensnotwendigkeit?"

('Kinder sollen lachen' von Tanja Maljartschuk)

"Gott ist in Butscha und Mariupol gestorben. Die Metapher ist tot."

Der 24. Februar setzt unter die europäische Friedensordnung einen Schlußstrich. Eine Zeitenwende, bei der alles, was in der Ukraine eine Verbindung zu Russland hat, verschwinden wird. Russisch konnotierte Straßennamen werden verschwinden, die russische Sprache wird sukzessive eliminiert. "Von Bruderkrieg ist die Rede und von einer totalen Ablehnung", fragt Cornelia Zetzsche im Gespräch mit Tanja Maljartschuk, "alles Russische, auch der Kultur, auch der Literatur, auch der Romane, auch vergangener russischer Literatur. Warum?"

Tanja Maljartschuk: "Putin hat uns dazu gezwungen, das ist vollkommen seine Verantwortung, dass in der Ukraine die russische Kultur, auch die vergangene Kultur, vollkommen abgelehnt wird und mit jedem Tag mehr. Auch die russische Sprache wird in der Ukraine bald gestorben sein. Man will befreit sein, auch von der russischen Kultur. Jetzt fallen auch die Denkmäler von Puschkin in der Ukraine. Und dann frage ich mich, was haben sie dort überhaupt gemacht? Warum in einer Stadt, wo Puschkin nie gewesen ist, warum steht da ein Denkmal von ihm? Ich verstehe es nicht. Wieso kein Denkmal von Ovidius oder von anderen Dichtern, wieso Puschkin? Ich sag's Ihnen, weil die Ukraine immer eine Kolonie von Russland gewesen ist."

"Kann man die Geschichte dadurch auslöschen, dass man den Denkmäler schleift?"

Tanja Maljartschuk: "Ja, es kommt darauf an, welche Geschichte hinter diesem Denkmal steckt. Wenn ein Denkmal wichtig ist, wenn es ein Kunst-Beispiel ist oder so, dann ist es etwas anders. Man denkt auch darüber nach, dass man ein extra Museum für all diese imperialistischen Denkmälern schafft, irgendwo in der Ukraine, wo all diese gefallenen Denkmäler einen Platz finden. Man will nicht die Geschichte auslöschen, man will sich befreien. Und bevor man sich befreit, muss man das löschen. Dann wird man anders darüber reden können, darüber reden lernen. Aber jetzt ist ein Krieg der Kolonisierung. Anderes ist das nicht möglich. Zuerst muss man den Aggressor besiegen in sich selbst, und erst dann kann man wirklich über alles mögliche sprechen. Auch über Dostojewski, Tolstoi, über Tschechow usw. Jetzt in diesem Moment ist das nicht anders möglich."

Yamen Hussein: Tyrannen gehen unter, "überdauert haben die Gedichte und das Lachen der Kinder"

Diese Verszeilen schrieb der syrische Dichter Yamen Hussein, als er nach seiner Flucht aus Syrien 2014 als Stipendiat des PEN-Programms "Writers in Exile" in München unterkam. 2013 floh er aus seiner Heimatstadt Homs, weil er Artikel gegen die staatlichen Restriktionen verfasste. Er flog von der Universität, begann zunächst unter  Pseudonym zu publizieren. Doch mit seiner Rolle als Gründungsmitglied des "Nabd Bündnis für die Jugend Syriens“, einer friedlichen Protestbewegung gegen das Assad-Regime, verlor er seine Anonymität. Gesucht von der Geheimpolizei, gelang Yamen Hussein schließlich die Flucht über den Hermon, ein an seinen höchsten Stellen fast 3000 Meter hohes Gebirgsmassiv, in den Libanon. Heute lebt der Dichter Yamen Hussein in Berlin. Seinen neu erschienener Gedichtband "Nachruf auf die Leere" widmete Yamen seinen Eltern,

"die das Dunkel meines Zimmers in Homs hüten,
während ich fort bin,
die den Stein des Lebens in die Haustür legen,
damit sie nicht zugeschlagen wird vom Wind."

"Frühlingswind

Mörderischer Frühlingswind
nimmt den Müttern die jungen Blüten,
weht sie vor die Tür.
Niemand in dieser ängstlichen Stadt
lässt die verletzten Rosen ein.
Auf Fensterbänken und Schwellen
ein Massenbegräbnis,
Trauerzüge aus Farben und Düften.
Geschlossene Türen töten, was schön ist."

(erschienen in der Übersetzung von Leila Chammaa und Jessica Siepelmeyer)

Die Lesung mit Katja Bürkle und Paul Herwig sowie das Gespräch mit Tanja Maljartschuk gibt es kostenlos in der BR-Mediathek.


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