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"Unter der Haut" Körperreisen mit A.L. Kennedy und Philip Kerr

Literarische Expeditionen, die im wahrsten Sinne unter die Haut gehen: In vier Essays kriechen Schriftsteller in Hautfalten und vergiftete Ohrmuscheln, erinnern an berühmte Nasen der Popkultur und beobachten Gehirnschnitte. Es lesen Lisa Wagner und Martin Umbach.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 10.03.2020 | Archiv

Aktstudie eines Mannes von Jacques Louis David, 1748-1825: "Aktstudie, genannt Patroklos", 1780. Öl auf Leinwand, 122,5 x 170 cm. Musée d’Art Thomas-Henry | Bild: picture-alliance/dpa/akg-images

Wer kann wissen, wie wir wurden, wer wir sind? "Jeder Mensch trägt die ganze Gestalt des Menschseins in sich", dachte Michel de Montaigne, der dementsprechend dem Wunder des menschlichen Geistes durch genaue Studien des Organismus auf die Spur kommen wollte. Doch auch heute noch ist das menschliche Wesen ein Mythos, ein Rätsel geblieben, das sich immer wieder neu zu entdecken lohnt. Vier Schriftsteller*innen haben keine Mühen gescheut, den Versuch à la Montaigne fortzusetzen, die Menschheit zu verstehen, indem man den Menschen in seinen Einzelteilen erforscht.

Die Haut spricht

"Ich weiß nicht, was den Krieg mit meiner Haut gewonnen hat. Aber was ich in all den Jahren fehlgeschlagener medizinischer Behandlungen (...) gelernt habe, ist, dass die Haut oft spricht, wenn wir selbst dazu nicht in der Lage sind."

(Christina Patterson)

Die Haut ist das funktional vielseitigste Organ des menschlichen Organismus. Obwohl nur millimeterdünn, schützt sie uns vor der Welt, hält uns zusammen, wahrt die Temperatur, die wir zum Überleben brauchen, warnt vor Schmerz, ermöglicht es uns, Berührung zu genießen. Christina Pattersons Essay ist nicht nur eine Würdigung an das größte Organ, sondern auch eine persönliche Erinnerung an ihren "Krieg" mit ihrer Haut, den die britische Autorin und Journalistin letztlich friedlich beenden konnte. Auf dem Weg zum "Frieden" fand sie immerhin auch berühmte Leidensgenossen:

Der US-amerikanische Schriftsteller John Updike

"Warum habe ich so jung geheiratet? Weil ich, kaum dass ich eine hübsche Frau gefunden hatte, die mir meine Haut verzieh, nicht riskieren wollte, sie zu verlieren."

(Schriftsteller John Updike, seit seinem sechsten Lebensjahr an Schuppenflechte leidend, aus seinem Essay: Im Krieg mit meiner Haut)

Nasen der Popkultur

Die schottische Schriftstellerin A.L. Kennedy

Die vielfach preisgekrönte schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy bricht eine Lanze für die Nase, dieses "öffentlichste aller Organe", wie auch für den Geruchssinn, der mit der Macht ausgestattet ist, Gedanken zu verändern. Auf ihrer Entdeckungsreise durch "Kolben"-Kuriositäten und vergessene Nasenwunder erwähnt Kennedy beispielsweise die Tatsache, dass wir über vier Nasenlöcher verfügen und geht falschen und echten berühmten Nasen in der Pop- bzw. Subkultur nach. Wie seine Berufskollegin spürt auch Patrick McGuiness in seinem Essay über das Hör-Organ dem berühmtesten Ohr der Literatur nach - für ihn eindeutig das Ohr des ermordeten Königs in Shakespeares "Hamlet". Der 1968 in Tunesien geborene Journalist und Autor mehrerer preisgekrönter Lyrikbände ist als Professor in Oxford tätig.

Philip Kerr blickt ins Hirn

"Die Lobotomie war das Scarface medizinischer Prozeduren."

(Philip Kerr, Gehirn)

Der Bestsellerautor, der für seinen Roman "Das Wittgensteinprogramm" den Deutschen Krimi-Preis 1995 und zwei Jahre später gleich noch einmal für den Thriller "Game Over" ausgezeichnet wurde, taucht in seinem Essay über das "Gehirn" ab in finstere Zeiten der Hirn-Operationen, die wahrlich unter die Haut gehen. Kerr, der 2018 in London verstarb, zollt jedoch am Ende seines Ausflugs in die Medizingeschichte der Entwicklung der Wissenschaft großen Respekt.

"Unter der Haut"

Eine literarische Reise durch unseren Körper

Schauspieler und Synchronsprecher Martin Umbach liest "Unter der Haut".


Mit vier Beiträgen von A.L. Kennedy, Philip Kerr, Patrick McGuinness und Christina Patterson

Lesungen mit Lisa Wagner und Martin Umbach am Dienstag, 17. März um kurz nach 21 Uhr auf Bayern 2

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Das Buch "Unter der Haut", übersetzt von Klaus Berr, Ingo Herzke, Nathalie Lemmens, ist im Goldmann Verlag erschienen.

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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