Thomas Thieme liest Wilhelm Bartsch: Hohe See und niemands Land
Wilhelm Bartsch beruft sich in seinen Gedichten immer wieder auf den großen englischen Dichter und seine berühmten Sonette – so auch in seinem preisgekrönten Buch „Hohe See und niemands Land“. Thomas Thieme liest eine Auswahl.
"Farewell! du bist mir, Liebste, mehr als teuer, / Nimmst du mein Eigentum als deins, mein Stern / Du warst wie hohe See mir nie geheuer / Und noch beim Lieben wie der Mond so fern."
(aus Wilhelm Bartsch: Hohe See und niemands Land)
Eine Liebe wird in den Blick genommen und auch bemessen. Leider erst in dem Augenblick, in dem sie annulliert wurde und folglich nicht mehr existiert. Und der, der zurückschaut auf das Vergangene, stellt sich die Frage, was er angesichts der traurigen Gewissheit tun soll. Soll er tanzen im Sturm wie König Lear? Und ist er am Ende tatsächlich ein König der Schmarotzer? Fest steht: Die Konfrontation mit dem eigenen Lieben und Begehren ist alles andere als leicht. Anders ginge es vermutlich auch nicht. Die Liebe war groß und intensiv.
Der Lyriker Wilhelm Bartsch eröffnet mit diesem „Farewell“ seinen jüngsten Gedichtband „Hohe See und niemands Land“. Er verwendet den gleichen Auftakt wie William Shakespeare, dessen 87. Sonett Inspiration und ebenso Vorlage gab für dieses Gedicht, eine freie Adaption. Überhaupt ist der englische Dichter ein steter Bezugspunkt für Wilhelm Bartsch, 1950 in Eberswalde geboren und seit vielen Jahren in Halle/Saale zu Hause. „Das 87. Sonett verwendet auch ganz kunstvoll altes englisches juristisches Vokabular“, erzählt Wilhelm Bartsch. „Das Objekt der Liebe ist zu wertvoll für den, der hier erzählt. Und er gibt seinen Anteil zurück. Eine bravouröse Haltung. Es geht hier auch um die Eigentumsfrage.“ Die Sonette von Shakespeare wurden so zur Klammer für die eigene Auswahl der Gedichten, für Texte, die zum Teil in vielen Jahren entstanden sind. Von ihnen führen die poetischen Pfade zu anderen Dichtern, darunter etwa zu Novalis oder zu Wolfgang Hilbig. Und natürlich geht es, dem Titel folgend, immer wieder auf die Hohe See – die reale, aber auch die des Lebens.
„Der Urknall dafür, dass ich überhaupt Gedichte geschrieben habe, kam aus Bayern“, sagt Wilhelm Bartsch. Und erinnert an den Augsburger Bertolt Brecht. Als Bartsch Schüler war, habe ihm der Deutschlehrer eine Schallplatte mit Brecht-Liedern vorgespielt. Plötzlich verspürte er das Begehren, sich mit Gedichten dem Leben zu lehren. Jahrzehnte später hat Wilhelm Bartsch nun für seine Poesie eine große Anerkennung in Bayern erhalten: Die Bayerische Akademie der Schönen Künste zeichnete ihn unlängst mit dem Rainer-Malkowski-Preis aus, mit einem der höchstdotierten Literaturpreise in Deutschland. Die Jury würdigte den „souveränen, ganz eigensinnigen Umgang mit Reim und klassischem Versmaß, mit einem so ironischen wie pathetischen Vexierspiel zwischen Shakespeare und deutscher Unheilsgeschichte“. Alte Formen wie das Liebessonett oder die Ballade würden in einem unerhörten Ton erklingen, als seien sie vollkommen neu.
Der Gedichtband „Hohe See und niemands Land“ ist im Göttinger Wallstein-Verlag erschienen. Thomas Thieme, an vielen deutschen Theatern engagiert und an den Münchner Kammerspielen vor etlichen Jahren in einer großen „Othello“-Inszenierung zu erleben, liest eine Auswahl aus dem Buch. Nicht zum ersten Mal interpretiert er Texte von Wilhelm Bartsch: 1984, bei der Übersiedelung von der DDR in die Bundesrepublik, nahm er Gedichte des halleschen Freundes mit nach Frankfurt und las sie im HR. Auf dieses Weise wurde Bartsch in der Bundesrepublik bekannt...
Mit freundlicher Genehmigung des Wallstein-Verlages sind Lesung und Gespräch zu finden im Bayern 2-Podcast „Buchgefühl – reden und lesen“, in der ARD-Audiothek.
Redaktion und Moderation: Niels Beintker.