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Deutung und Selbstdeutung ... über Schmidt / Schmidt über ...

Arno Schmidt fordert heraus, als Mensch und als Autor: mit seinem sperrigen Werk, seinen rigorosen Selbstinterpretationen und seinen bissigen Kommentaren zu Literatur und Gesellschaft. Statements von Schmidt - und Stimmen zu Schmidt.

Stand: 09.01.2014 | Archiv

Arno Schmidt 1960 | Bild: Arno Schmidt Stiftung

Arno Schmidt war ein Solitär in der deutschen Nachkriegsliteratur, und er hat sich selbst ein solcher gesehen. Schmidt verfolgte sein Werk mit ungewöhnlichem Rigorismus, arbeitete wie ein Besessener, hielt sich möglichst jeden Besuch vom Leib. Das Schreiben war für ihn keine berufliche Tätigkeit, sondern eine Lebensform. Auf diese Existenz blickten andere mit Verstörung, Faszination, Bewunderung - oder leisem Spott.

Arno Schmidt über ...

Andere

Haus Arno Schmidts in Bargfeld | Bild: Arno Schmidt Stiftung

Schmidts Haus in Bargfeld

"Jegliche Berührung mit Anderen setzte erfahrungsgemäß meine Leistung herab und stört mich auf Tage hinaus."

Brief an den Schriftsteller Martin Beheim-Schwarzbach

"...daß Sie - genau wie ich auch - zu den Leuten gehören, die zumindest von lebenden Kollegen keinerlei fördernde Anregung empfangen können: Ihre Sachen werden, meines Erachtens, umso besser, je isolierter, je mehr für sich allein, Sie arbeiten. (Und das ist ja auch gar kein Wunder: nur ungestört (und alles, was von Außen kommt, ist, nach dem man genug gelebt hat, Störung!) kann man ganz der werden, der man ist."

Brief an den befreundeten Künstler Eberhard Schlotter

Arbeit

"ich weiß, als einzige Panacee, gegen Alles, immer nur 'Die Arbeit' zu nennen. [...] Was speziell das anbelangt, ist unser ganzes Volk, an der Spitze natürlich die Jugend, mit nichten überarbeitet, vielmehr typisch unterarbeitet: ich kann das Geschwafel von der '40=Stunden=Woche' einfach nicht mehr hören: meine Woche hat immer 100 Stunden gehabt."

Dankesrede zum Goethepreis der Stadt Frankfurt 1973, von Alice Schmidt in der Paulskirche verlesen, weil Schmidt selbst aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen konnte. Schmidts Tiraden gegen den Zeitgeist, kontrastiert mit einer emphatischen Beschreibung des eigenen Ethos, lösten heftigen Protest in den Medien aus.

Copyright


Ich bin "wahrlich nicht für jeglichen Auswuchs des Copyrights, zum Beispiel daß der jetzt aufs, daß er auf 70 Jahre nach dem Tode des Verfassers ausgedehnt ist, ist natürlich der nackte Aberwitz. Ich meine ja, denn weil es dazu führen kann, daß nun wirklich Unberufene, zweit- und drittgradige Erben, die mit dem Mann nichts mehr zu tun haben [...], daß die das Buch blockieren oder verändern ganz nach Belieben, also dagegen bin ich sehr, 20,30 Jahre sollen genügen, ich mein, da kann die lustige Witwe sich dann ausleben oder der eine oder andere Posthmus kann seinen Beruf erlernen, nicht ..."

Gespräch mit Gunar Ortlepp über Raubdrucke von "Zettel's Traum" (1970)

"Etyme"

... die Wortbildungen, die seiner Theorie nach Unbewusstes offenlegen:

"<Was 'Worte' sind, wißt Ihr-?'>;/(sie nickten so schnell:!)/(Glückliches Völkchen; mir war's nich ganz klar,)).:<Also das bw spricht Hoch=Worte. Nun wißt Ihr aber, aus FREUD's 'Traumdeutung', wie das ubw ein eigenes Schalks-Esperanto lallt; indem es einerseits Bildersymbolik, andrerseits Wort=Verwandtheiten ausnützt, um mehrere [...] Bedeutungen gleichzeitig wiederzugeben. Ich möchte nun diese neuen, wortähnlichen Gebilde [...] 'ETYMS' heißen: der obere Teil des Unbewussten: spricht 'Etyms'.>"

"Zettel's Traum"

Gruppe 47


"Die Gruppe 47: Ich eigne mich nicht als Mannequin; lassen Se man! (Dass Sie den Preis vergrößern helfen wollen, höre ich auch zum ersten Mal: geben Sie lieber Ihren Autoren jährlich einen aus! Die "Umsiedler" und noch mehr der "Faun" sind gut: ob sie nun den Preis der Gruppe 47 kriegen oder nicht!) Ich nähre mich lieber redlich und still vom Übersetzen als von literarischer 175erei. Deswegen hab ich auch gern gehört, dass Sie bald wieder etwas für mich haben. - Viele Grüße, Ihr Arno Schmidt. P.S.: Muss man bei der Gruppe 47 auch singen, oder braucht man nur nackt vorzulesen?"

Brief an den Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der Schmidt drängen wollte, bei der Gruppe 47 aufzutreten (1953)

Joyce

"Nachdem ich 10 Jahre lang ein <Nachahmer Joyce'> gescholten worden bin, habe ich nun endlich einmal, als Krawehl mir die deutsche und englische Ausgabe des <Ulysses> mitgebracht hatte, mich an diesen gemacht - ein großer Mann, zugegeben; aber es besteht natürlich nicht die geringste Ähnlichkeit!"

Brief an Alfred Andersch, 23. Dezember 1956. In einem späteren Brief an Wilhelm Michels schreibt Schmidt weniger distanziert vom "ganzen 3 Mal verfluchten JOYCE=Komplex", den er endlich loswerden wolle.
Schmidt hatte ein problematisches Verhältnis zu James Joyce: Einerseits bewunderte er sein Werke, Joyce als Person betrachtete er mit Vorbehalten - schließlich stand der Ire nicht nur für heroischen Fleiß, sondern ging auch gerne in den Pub. Außerdem wurde Schmidt von der Kritik gelegentlich als Joyce-Epigone gesehen.

Leser

"Wenn ich einem Laien eine Partitur vorlege, wird er gern zugeben, daß er nichts, auch gar nichts davon versteht, aber bei einem Buch die Buchstaben sind jedem geläudig, auch einzelne Worte, und so meint jeder, daß er ohne weiteres lesen und vielleicht auch gar schreiben könne, das ist aber ein Irrtum, denn auch in diesem Falle hat sich eben der Fachmann so weit von einem rohen Laien entfernt, daß [...] eine Annäherung da schwer möglich ist, allerdings wenn eine solche Annäherung stattzufinden hat, dann hat sie nicht von der Seite des Künstlers herzukommen, Kunst dem Volke, sondern das Volk, jedermann, hat sich gefälligst zur Kunst hinzubemühen."

Interview von Martin Walser für den Süddeutschen Rundfunk (1952)

Orthografie


"Orthographie, Schreibung ist ja etwas Lebendiges und nur Duden erst hat diesen etwas steifleinenen Ton hineingebracht. Um die Etyms richtig unterbringen zu können, muß die Orthographie flexibel wieder werden, was natürlich nun nicht zur Folge haben darf, daß sich der kleine Fritz in der Schule auf 'Zettel's Traum' beruft [...], dazu ist er nicht der Mann, der kleine Fritz. [...]"
"Es ist nicht eigenwillig, es ist die Sprache des Unbewußten, die, wie Freud nachgewiesen hat, auch die Träume und die Fehlhandlungen und so weiter dirigiert. [...] Ich hatte die Absicht, die Starrheit der Orthographie erst einmal grundsätzlich aufzulösen, aufzuweichen, und Unterganks-Schtimmunk, das 'k' ist hart und das 'scht' ist weich und auf Dümmung wird natürlich auch noch mit angespielt, das drückt gleichzeitig Stimmungen der betreffenden sprechenden Personen aus, damals beherrschte ich die Etyms noch nicht, ich war zu jung, ich mußte erst noch einige Kurse mitmachen." (lacht)

Gespräch mit Gunar Ortlep über "Zettel's Traum"

Zettel


"Meine Methode der unendlichen, fleißigen und ins Detail gehenden Zettelnotierung" [...] "schützt vor dem Vorwurf des Altmodischseins, denn ich schreibe ja viel mehr mit und notiere viel mehr, als man meint, und insofern einfach von der Materialaufraffung her muß ich zeitgenössisch sein." Frage: "Ja, wie informieren Sie sich denn über das Jahr 1970? Durch Fernsehapparat?" "Fernsehapparat habe ich natürlich, das ist eine meiner Verbindungen, ich könnte sagen durch Neckermannkatalog, aber das ginge natürlich zu weit, obwohl nichts, nichts, nichts gegen Neckermannkatalog oder Quelle ..."

Gespräch von Gunar Ortlepp mit Arno und Alice Schmidt über "Zettel's Traum" (1970)

... über Arno Schmidt

Alice

"13.9. Arno: oder ists nicht doch Scheiße was ich hier mache. Wenn man so den Lichtenstein oder den Scott liest, wie schön lesen sich die und ich zerbreche mir den Kopf um sowas verrücktes zu erfinden, was kein Mensch versteht und die Köpfe bloß verwirrt. Werds auch gleich verbrennen. Beruhige ihn mühsam."

Alice Schmidt, Tagebuch aus dem Jahr 1955

Helmut Böttiger


"Er hat die Literatur wirklich ernst genommen. Er hat Leben mit Literatur verschmolzen. Und von daher spielte der Betrieb für ihn gar keine Rolle. Das ist heute so nicht mehr vorstellbar. Aber es ruft in Erinnerung, dass Literatur doch etwas ganz anderes ist als der Literaturbetrieb."

Helmut Böttiger im Feature von Thomas von Steinaecker

Jörg Drews


"schmidt lasen wir nicht in seinen kunstmetaphysischen qualitäten, sondern in und wegen seiner aufsäßigkeit, dem anarchischen, was da trotz starrer oberfläche immer auch da ist bzw. war. ich glaube, schmidts haß auf die 68er und die jugend und die hippies etc. (um 1968/70) kommt auch daher, daß er sich an zwei zentralen punkten bedroht sah, sich und das, wofür er stand: 1) fleiß (bei der kulturaneignung), fleiß und entsagung wollten diese jungen leute nicht mehr praktizieren (so proklamierten sie's wenigstens); die die idee der 'unsterblichkeit' von kulturgütern wurde fraglich - und dabei hatte schmidt sich doch für die 'unsterblichkeit' jahrzehntelang abgequält!"

Jörg Drews (1991)

Werner Helwig

"Dieser Mensch nun, sehr jung, sehr unbeholfen wirkten, beschäftigte uns alle durch seinen Aufzug. Wir fragten uns: Propagiert er seine Notlage oder besteht sie wirklich? Denn er trug kein Hemd unter der Jacke, hielt, um diese Tatsache zu verstecken, dauernd den hochgestellten Rockkragen mit der einen Hand zusammen. Man konnte vermuten, dass er ohne Socken in den Schuhen stak. [...] Unser wiederholter Versuch, ihn in unsere künstliche Lustigkeit mit hineinzuziehen, scheiterte an seiner Verschlossenheit. Er rührte keine Miene, fröstelte wie ein Konfirmand vor dem Altar und putzte immer wieder die Gläser seiner Hornbrille, die seine Augen spiegelnd vergrößerten, wenn man seinen Blick zu erhaschen suchte."

Werner Helwig, Erinnerungen an Arno Schmidt, in: "Der Rabe" 5 (1984)

Walter Jens


"Ein toller Knabe. Zuerst denkt man: Blödsinn. Dann ärgert man sich. Ein Mann offenbar, der sich für ein Genie hält und sich so gebärdet. Man liest weiter. Man ist entzückt, man ist ergriffen. Dann kommen wieder Snobismen. Dann herrliche Bilder. Expressionismus mit drei Ausrufezeichen."

Württembergische Abend-Zeitung, 22. März 1950

Georg Klein

"Für mich war das schockartig beglückend, dass es auch diese Art des Lesens gibt. Ich würde es auf der Innenseite sehen: Arno Schmidt lesen war für mich vor allem eine innere Erfahrung. So eine, wenn man das altmodische Wort gebrauchen will, so eine Art Bewusstseinserweiterung. Bewusstseinsschock."

Georg Klein im Feature von Thomas von Steinaecker


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