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Kommentar Nimmt die EU noch jemand ernst?

Die EU wird immer mehr zum schwankenden Riesen, der sich wieder und wieder blamiert. Das zeigt das drohende Scheitern von CETA ganz deutlich, meint Holger Romann. Ein radioWelt-Kommentar.

Von: Holger Romann, BR-Hörfunkkorrespondent in Brüssel

Stand: 25.10.2016

Kanadische Fahne, Europa-Fahne | Bild: picture-alliance/dpa

Es klingt wie erfunden: Die winzige Wallonie, eine Region von der Größe der Pfalz, zwingt den Geleitzug von (noch) 28 Mitgliedsstaaten und 500 Millionen Einwohnern abrupt zum Halten und schafft es, sämtlichen Brüsseler Institutionen nachträglich ihre Bedingungen zu diktieren. Für ein Abkommen wohlgemerkt, das längst ausverhandelt ist, und das, auch auf Betreiben einer ängstlichen Bundesregierung und dank der Langmut des Partners Kanada, zuletzt sogar noch im Sinne der Kritiker verändert worden war. Nach sieben Jahren intensiver Arbeit sollte das richtungsweisende Vertragswerk diese Woche unterzeichnet werden. Doch wegen der belgischen Blockade fällt die Party womöglich aus. Was für eine Blamage! Was für ein Imageschaden!

Der Fall CETA bringt das Fass zum Überlaufen

Nun könnte man das Ganze als eine moderne Variante von "David gegen Goliath“ oder "Asterix und Obelix“ feiern. Oder als Sieg der Basisdemokratie: Ein kleines, unbeugsames Häuflein Aufrechter, aus der europäischen Provinz, leistet Widerstand und lehrt die großen Hinterzimmer-Strategen in Brüssel und den übrigen Hauptstädten das Fürchten. Mut, Witz und ein gereckter Mittelfinger gegen die Arroganz der Macht. Doch zum Lachen ist die Sache viel zu ernst. Denn der Fall CETA könnte für die EU der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Europa ist handlungsfähig? Das wird zum leeren Gerede

Gerade hatten sich Merkel & Co in Bratislava noch geschworen, man werde es auch ohne die Briten schaffen und künftig mit ganz konkreten Projekten beweisen, dass Europa handlungsfähig ist und seinen Bewohnern einen echten Mehrwert bietet. Doch mit dem drohenden Scheitern von CETA und den chaotisch anmutenden Rettungsversuchen entlarvt man eben dieses Versprechen selbst als leeres Gerede. Und, was in Zeiten wie diesen fast noch schlimmer ist: man liefert den Gegnern Europas unbezahlbare Munition. Seht her, in Brüssel wedelt der Schwanz mal wieder mit dem Hund. Die in der EU kriegen‘s einfach nicht gebacken.

Europa muss mit einer Stimme sprechen

Ganz egal, wie diese Geschichte am Ende ausgeht, ob es die Brüsseler Spitzen um Tusk, Juncker und Schulz in letzter Minute noch hinbiegen oder ob der EU-Kanada-Gipfel, an dem man offenbar festhalten will, doch noch platzt. Und ganz gleich, wie man nun zu CETA, TTIP und dem Freihandel im Allgemeinen steht: Im eigenen Interesse muss die Union ihre Entscheidungsstrukturen und –Prozesse schleunigst überdenken. Will man als schwankender Riese von den Big Playern dieser Welt ernst genommen werden und die drängenden Probleme der Zeit wirklich angehen, muss man in der Lage sein, in wichtigen Fragen, wie Flüchtlingspolitik, Sicherheit, Steuergerechtigkeit oder eben Handel mit einer Stimme zu sprechen. Und dafür wiederum ist es vor allem nötig, dass die nationalen Regierungen aufhören, über Bande zu spielen, und anfangen, daheim und in Brüssel für klare Zuständigkeiten zu sorgen.

Noch so eine Posse, wie die um CETA und die renitenten Wallonen, könnte für das Vereinte Europa die Letzte sein.


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