Reformation um die Ecke gedacht Wie Luther die Ehe neu erfand
Luther war bekanntlich mit der Ex-Nonne Katharina von Bora verheiratet. Und er verfocht den Grundsatz: Die Ehe ist ein weltlich Ding und kein von Gott gestiftetes Sakrament, wie es kirchlicher Lehre entsprach. Das hatte Folgen für das Verhältnis von Mann und Frau, es ermöglichte sozusagen die Neuerfindung der Liebe und brachte die Kirche obendrein für Jahrhunderte in Erklärungsnot: Warum kirchlich heiraten, wenn die Ehe ein weltlich Ding ist?
Ein ehemaliger Mönch und eine Ex-Nonne: Martin Luther und Katharina von Bora. Ihre Hochzeit 1525 – ein Skandal. Wittenberger Bürger sahen durch die Heirat von Mönch und Nonne den Ehestand entehrt. Böse Zungen behaupteten Katharina von Bora sei schwanger. Und Luthers katholische Gegner unkten, aus dieser Verbindung werde sicher der Antichrist geboren. Nichtdestotrotz wurden die Luthers zum Urbild des idealen evangelischen Ehepaars. Ein widersprüchliches Ideal – einerseits patriarchalisch, andererseits fast schon modern. In seinem Traktat "Vom ehelichen Leben" schreibt Luther:
"Wenn die natürliche Vernunft das eheliche Leben ansieht, so rümpft sie die Nase und spricht: Ach, soll ich das Kind wiegen, die Windeln waschen, Betten machen, Gestank riechen, die Nacht wachen? Was sagt aber der christliche Glaube hierzu? Ach Gott, weil ich gewiss bin, dass du mich als einen Mann geschaffen und von meinem Leib das Kind gezeugt hast, so weiß ich auch gewiss, dass dir's aufs allerbeste gefällt, und bekenne dir, dass ich nicht würdig bin, dass ich das Kindlein wiege, noch seine Windel wasche, noch sein oder seiner Mutter warte"
Martin Luther.
Liebe, Erziehung und Fürsorge, ja sogar das Windelwaschen erklärt Luther zur Glaubenssache. Im frühen 16. Jahrhundert wirkte das revolutionär.
Die Ehe - ideale christliche Existenz vor dem Herrn
Galt doch dem Katholizismus bis dahin die lebenslange Jungfräulichkeit als vollkommenste Lebensform. Der Enthaltsamkeit im Kloster setzte Luther die Ehe und das Familienleben entgegen. Als vor Gott gleichwertig! Der Kirchenhistoriker Tim Lorentzen.
"Um Gottes Gnaden zu erreichen gibt es bei Luther keine Sonderexistenz unter speziellen Bedingungen, im Kloster, im geistlichen Stand, sondern hier und jetzt im Alltag. Darüber hinaus gibt es keinen extra Status besonderer Heiligkeit. Und hier kommt die Ehe ins Spiel. Wenn jeder und jede in seinem und ihrem Alltag schon ein voller Christenmensch ist, dann ist die Ehe nicht mehr defekt gegenüber dem Mönchtum, sondern sie ist die ideale christliche Existenz"
Tim Lorentzen, Kirchenhistoriker.
Zum Zölibat, so Luther, seien nur die Wenigsten berufen. Auch Priester und Nonnen seien Menschen und dem Sexualtrieb, der Schwachheit, wie Luther schreibt, erlegen. Denn alles Leibliche und Sinnliche sei Sünde – so leitet es Luther aus den Briefen des Apostels Paulus ab.
Revolutionär: die Familie als kleinste christliche Einheit
Durchs Heiraten aber könne jeder seine Sexualität in rechte Bahnen lenken. Da drücke Gott quasi ein Auge zu, vorausgesetzt es geht den Ehepartnern beim Sex ums Kinderkriegen. Alles andere verstößt in Luthers Augen gegen die Schöpfungsordnung. Trotz allem ist die Ehe für ihn kein heiliges Sakrament, sondern – wie er sagt – ein weltlich Ding. Den gesetzlichen Rahmen fürs Heiraten, aber auch Scheidungsregeln solle der Staat festsetzen, die Kirche nur den Segen dazuspenden. Der christliche Haushalt wird bei Luther zur kleinsten Einheit von Kirche mit einer klaren Rollenverteilung für Männer und Frauen.
"Frauen reden über die Dinge des Haushalts mit großer Liebe und außerordentlicher Beredsamkeit, und zwar so, dass sie sogar Cicero in den Schatten stellen. Wenn sie über ihre Haushaltsfragen hinaus über öffentliche Angelegenheit reden, so taugt das nichts. Denn wenn es ihnen auch an Worten nicht fehlt, so fehlt es ihnen doch am richtigen Verständnis für die Sache"
Martin Luther.
Der protestantische Mann gestaltet das Gemeinwesen, wirkt in der Öffentlichkeit.
Ehe für alle? Luthers Eheverständnis erneut auf dem Prüfstand
Seine Frau findet ihre natürliche Erfüllung in der Haushaltsführung und beim Gebären. Das Risiko dabei zu sterben, müssten Frauen schon eingehen, schreibt der Reformator.
"Ob sie sich aber auch müde und zuletzt tottragen, das schadet nicht, lass sie sich nur tottragen, sie sind drum da. Es ist besser kurz gesund, denn lange ungesund zu leben"
Martin Luther.
Das geht natürlich gar nicht, findet die Münchner evangelische Pfarrerin Verena Übler.
"Da bin ich froh, dass die Reformation sich weiterentwickelt hat und wir heute ein anderes Verständnis haben"
Pfarrerin Verena Übler.
Heute wird innerhalb der evangelischen Kirche diskutiert, ob gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe zwischen Mann und Frau gleichzustellen sind. Inwieweit kann da Luthers Eheverständnis überhaupt noch ein Leitbild sein?
"Ich glaube, dass vieles auf dem basiert, was Luther versucht hat, den Leuten nahezubringen: dass es in einer Ehe um Verlässlichkeit geht. Darum, wie man an ein Familien- und Eheleben herangeht. Wenn man schon denkt, man hat auf das alles gar keine Lust und es ist nur anstrengend und schrecklich und die Windeln stinken, dann bringt das Konflikte mit sich. Wenn ich aber denke, das ist auch von Gott so gesegnet und gewollt, dann geht man mit einer ganz anderen Haltung daran. Und wenn das im Mittelpunkt steht, die Verlässlichkeit, dann können das zwei Männer sein, zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau"
Verena Übler.
Für Martin Luther war die Ehe ein weltlich Ding und damit wandelbar. Das macht sein Eheverständnis offen für Reformen, auch nach der Reformation.