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Aggressive Autofahrer "Die Ich-Bezogenheit ist größer geworden!"

Für Raser und Trinker gibt es inzwischen weniger Punkte, dafür ist der Führerschein auch schneller weg. Ob die Verkehrssünderdatei in Flensburg das Verhalten der Menschen wirklich beeinflusst, weiß Birgit Scheucher, Verkehrspsychologin in München.

Stand: 11.10.2016

Aggression am Steuer | Bild: colourbox.com

radioWelt: Was für Menschen kommen in Ihre Praxis?

Birgit Scheucher: Menschen, die im Straßenverkehr auffällig geworden sind - oft in Verbindung mit Alkohol oder Drogen. Außerdem Kraftfahrer, die viele Punkte in Flensburg angesammelt haben. Die dritte Gruppe sind Menschen, die mit aggressivem Verhalten auffällig geworden sind - Aggressionsdelikte, auch Sexualdelikte. Bei denen steht dann auch die Frage der Fahreignung zur Debatte.

radioWelt: Für Ihre Klienten klingt das Wort Flensburg wahrscheinlich gar nicht gut!

Birgit Scheucher: Genau, das ist die Quittung. Flensburg klingt bedrohlich!

radioWelt: Die Flensburger Verkehrssünderdatei ist 2014 reformiert worden. Was sind die wichtigsten Änderungen?

Birgit Scheucher: Eine ganz dramatische Änderung ist natürlich, dass Sie nicht mit 18, sondern jetzt mit acht Punkten die Fahrerlaubnis verlieren. Viele haben über die Jahre ihr Punktekonto irgendwie hingebastelt, manchmal ist ja auch was getilgt worden. Aber auch die Tilgung ist jetzt schwieriger geworden.

radioWelt: Hat die Reform das System verbessert?

Birgit Scheucher: Das System ist etwas überschaubarer geworden, aber wirklich simpel ist es nach wie vor nicht.

radioWelt: Wie abschreckend ist das System? Kalkuliert ein notorischer Raser die Zahl der Strafpunkte, bevor er aufs Gas tritt?

Birgit Scheucher: Nein! Die Massivtäter, die bei mir auftauchen, kalkulieren ihre Punkte gar nicht. Die denken: 'Ich werde schon nicht erwischt!' Aber es gibt auch eine große Zahl von Fahrern, die kalkulieren bewusst so, dass sie keinen Punkt kriegen - also maximal 19 km/h zu schnell fahren. Die versuchen, immer knapp unterhalb des Punktebereichs zu bleiben. So erleben sich viele eben auch lange als erfolgreiche Schnellfahrer. Am Ende geht das meist nicht auf, weil kein Mensch immer exakt 19 km/h zu schnell fahren kann.

radioWelt: Wie arbeiten Sie mit solchen Menschen?

Birgit Scheucher: Ich brauche einen Überblick, was genau im Straßenverkehr gegen sie vorliegt. Dann versuche ich zu verstehen, was sie für einen Fahrstil haben. Dann ist es sehr wichtig herauszufinden, welchen Nutzen sie aus ihrem Fahrstil ziehen - neben den pseudo-objektiven Gründen wie: 'Ich bin Monteur im Außendienst und muss schnell bei meinen Kunden sein!' Das heißt, ich muss schauen: Was ist der emotionale Gewinn des Schnellfahrens? Und dann natürlich die Einstellung: Inwieweit erlebt der Fahrer seinen Fahrstil als sicher und als richtig? Viele sagen ja: 'Ist ja noch nie was passiert, ich kann das!' Verantwortung, Rücksichtnahme, vorausschauendes Handeln, sind das Begriffe, die im Denken überhaupt vorkommen?

radioWelt: Ist der Straßenverkehr aggressiver geworden?

Birgit Scheucher: Ich denke schon, die Klienten erleben das auch so. Die Verkehrsdichte ist höher geworden. Aber ich würde auch sagen, dass die Ich-Bezogenheit größer geworden ist: Ich sehe mein Bedürfnis, ich muss jetzt irgendwohin fahren! Aber ich bin nur ein Teil eines Gesamtsystems und muss mich einfügen. Der Umgang mit dem öffentlichen Raum ist egoistischer geworden.


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