O helles Licht, erleuchte meine Nacht Gryphius zwischen den Fronten der Konfessionen
Wie ratsam es ist, Gryphius nicht platt auf der Ereignisoberfläche zu lesen, zeigt beispielhaft sein Sonett "Thränen des Vaterlandes / Anno 1636". In einer gedrängten Reihung ballt es die Bestialität des Dreißigjährigen Kriegs auf engstem Raum und lässt keinen Schrecken aus. Erst am Ende des Gräuelkatalogs wird klar, dass es nicht um lyrisches Reality-TV geht, sondern um ein Grauen, das "grimmer ist als Pest und Glut und Hungersnot". Nichts, nicht einmal der Tod, kann ärger sein als der Raub des "Seelen-Schatzes", der "so vielen abgezwungen" wurde.
Von den Jesuiten lernen, heißt siegen lernen
Die Tränen des Vaterlandes gelten der Verfolgung des lutherischen Glaubens, dem Verlust konfessioneller Eigenständigkeit und den Nöten der Zwangsbekehrung. Das ist der Seelen-Not, unter der Gryphius und alle Protestanten leiden, seit die Habsburger das mehrheitlich und traditionell lutherische Schlesien durch Erbfall übernommen haben. Die neuen Landesherren drängen auf Rekatholisierung. Neben brachialem Zwang setzen sie dabei vor allem auf die kulturelle Verführungskunst und die überwältigend sinnliche Glaubenspropaganda der Jesuiten.
Schaukampf mit den Superstars der Gegenreformation
Was die Jesuiten - je nach Standpunkt - so erfolgreich oder so gefährlich macht, ist die Wirksamkeit, die sie als gewiefte Event-Experten, führende Gelehrte und innovative Pädagogen entfalten. Ihre Universitäten und Gymnasien, die sie in großer Zahl und rascher Folge gründen, werden zu wichtigen Instrumenten der Gegenreformation. Die modernen Bildungseinrichtungen sind ein Hochglanzschaufenster des Katholizismus, eine unendlich attraktive Werbekampagne, die es vor allem auf die Jugend und damit die künftigen Eliten abgesehen hat.
Gryphius ist allerdings nicht bereit, den Jesuiten das Feld kampflos zu überlassen. Mit einer alle Vorbilder überbietenden, eigenständigen Lyrik und neuartigen Trauerspielen holt er zum Gegenschlag aus. Seine Stimme, die er als Werkzeug der kulturellen Selbstbehauptung des Luthertums erhebt, hat ihren Glanz und ihre Strahlkraft bis heute ungebrochen behalten.