O helles Licht, erleuchte meine Nacht Das Leben verstehen und erkunden mit Lyrik
Gott ist streng. Aber auch fair. Mit dem Verstand hat er dem Menschen ein Werkzeug geschenkt, das die Wahl zwischen Gut und Böse ermöglicht. Die Triebe und Affekte sind blind für die Wirklichkeit der Welt. Nur der Verstand demaskiert die Ränke des Verführers, entlarvt das Blendwerk der Sinne, zügelt die Begierden. Seine nobelste Aufgabe ist freilich die Gotteserkenntnis: Er allein durchdringt die Illusionen des Daseins, erblickt in Gott den einzig verlässlichen Grund aller Wirklichkeit.
Dichtung ist Dienst am Wort Gottes
Diesem theologisch gebundenen Erkenntnisstreben, das die Welt von Gott her denkt und als Heilsgeschichte begreift, ist auch die gelehrte Dichtung des 17. Jahrhunderts verpflichtet. Sie ist neben der Predigt, neben dem Traktat oder dem Disput ein Medium der Meditation, Vergegenwärtigung und Deutung geistlicher Wahrheiten. Diese Dichtung will zur Betrachtung und Gottesschau anregen, sie will ermahnen und wachrütteln, sie will wirken und das Gewissen bilden. Darin ist sie Dienst an der Seele und zugleich Dienst am Wort Gottes mit den Mitteln einer an Rhetorik und Kanzelrede geschulten Kunst.
"Was frag ich nach der Welt! Sie wird in Flammen stehn."
Für keinen Dichter des Barock gilt das mehr als für Andreas Gryphius. Sein gesamtes Schaffen ist ein unentwegtes, hoch virtuoses, eindringliches, inbrünstiges, bildgewaltiges und immer wieder neu ansetzendes Umkreisen der einen, einzigen Frage von Gewicht: Wie muss leben, wer das Himmelreich gewinnen und der Liebe Christi würdig sein will?