Friedrich Hölderlin Dichtung als Hochamt der Weltseele
Dichter! Das ist kein x-beliebiger, profaner, banaler Beruf. Keiner, den man nebenher und zu eigener oder fremder Belustigung erledigen könnte. Dichter sind archetypische Menschheitsbegleiter und Menschheitslehrer, überzeitliche Gestalten, in denen der Weltgeist zu sich selbst findet. Wow! Das ist hoch gegriffen, aber im Kern das, was Dichtersein für Hölderlin bedeutet. Das Wesen und die Aufgabe dieses "heiligen" Amtes umkreist er zeitlebens immer wieder. So auch in einem 1797 geschriebenen Gedicht, das dem jungen Napoleon gewidmet ist. Darin heißt es: "Heilige Gefäße sind die Dichter, / Worin des Lebens Wein, der Geist / Der Helden, sich aufbewahrt".
"Was bleibet aber, stiften die Dichter"
Damit ist Entscheidendes gesagt. Dichter zu sein ist keine private, sondern eine öffentliche, geschichtliche und gesellschaftliche Angelegenheit. In den Dichtern konstituiert und konzentriert sich der lebendige Geist einer Epoche und einer Gemeinschaft. Mehr noch: Die Dichter stiften diese Gemeinschaft, in dem sie ihr eine gemeinsame Erinnerung, ein gemeinsames Gedächtnis und damit einen verbindlichen Mythos geben.
"Von Gott aus gehet mein Werk"
Durch das Deuten und Erinnern von Geschichte werden die Dichter zu Erweckern und des Volks. Darüber hinaus dolmetschen sie zwischen Menschen und Göttern, wobei die Götter sowohl die Kräfte der Natur als auch unterschiedliche Erscheinungsformen des Weltgeistes repräsentieren. Das Bewahren und Verkünden überindividueller, das Menschsein betreffender Wahrheiten ist daher letztlich nicht den Wissenschaften, der Philosophie oder einer Konfession, sondern den Dichtern anvertraut. Sie allein fassen das Leben, sind das Gefäß des Lebens selbst.
"Seid nur fromm, wie der Grieche war!"
Die Poesie als Produkt dieser von den Göttern, sprich vom Weltgeist selbst veranlassten prophetischen, deutungsmächtigen Rede, verfügt über ein gewaltiges Potenzial: Sie kann die im Lauf des Geschichts- und Kulturprozesses vorangeschrittene Trennung von Natur und Geist aufheben. Sofern sie die in Einzeldisziplinen zerfallenen Wissenschaften, sofern sie Vernunft, Verstand und Gefühl integriert, steht es in ihrer Macht, die ursprüngliche Einheit allen Seins zu erneuern.