Der kranke Dichter
Literatur und Musik | RS, Gy |
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Hölderlin ist schwierig. Sperrig, dunkel, kompliziert. Bisweilen kaum zu ertragen in seiner hochfliegenden Begeisterungsgebärde. Doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das einen entweder packt oder zurückstößt, aber keinesfalls gleichgültig lässt: seine Sprache. Die Wucht, die Geschmeidigkeit, der Glanz und das Aufgeraute eines unerhörten, ganz eigenen Tons: Ein herzwilder, daseinsfrommer Klang, der rauschhaft pulsierend und rhythmisch jagend vorandrängt; Sturzbäche von Wörtern und Lauten, Bilderkaskaden "wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen"; schimmernde Dunkelheiten und gleißendes Berglicht. Und da ist vor allem eins: Das Gefühl, als gehe es in jeder Zeile, mit jedem Wort um Leben und Tod, um absolut alles, um einen kühnen Aufbruch bis an die Grenzen der sagbaren Welt und darüber hinaus.
"Und mancher siehet über die eigne Zeit"
Vielleicht ist es das, was den Schrecken und zugleich die Faszination dieser Dichtung ausmacht: Ihr blutiger, tiefer, "heilignüchterner" Ernst. Hölderlin geht aufs Ganze. Er will die absolute Dichtung. Den absoluten, alles erneuernden Gesang. Einen Gesang, der den Riss in der Schöpfung heilt, die Entfremdung zwischen Menschen und Göttern aufhebt, der die im Geschichts- und Kulturprozess verlorene Ureinheit von Geist und Natur, Welt und Mensch neu gründet. Einen Menschheitsgesang, der Christus und Dionysos, Orient und Okzident, Antike und Moderne, Manna und Nektar im epiphanischen Dichterwort zusammenbringt.
"Die neue Schöpfungsstunde"
Das klingt angestrengt und anstrengend, rückwärtsgewandt und irgendwie nicht von dieser Welt. Aber nichts ist falscher als das. Retro ist gar nichts an Hölderlin, er ist ein radikaler Erneuerer. Sein Griechenland ist kein Wegducken in die Vergangenheit. Hölderlin will nicht zurück, er will voran. Er braucht die Antike als Ideenlabor für die Vision und Verkündigung einer umfassenden Erneuerung der politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ästhetischen und künstlerischen Verhältnisse. Angesteckt von den Idealen der Französischen Revolution träumt er von einer Zukunft ohne Staatlichkeit, ohne Unterdrückung und Bevormundung, vom Aufbruch in ein "freies kommendes Jahrhundert". In dieser künftigen besseren Welt integriert die Kunst alles, was jetzt noch getrennt und vereinzelt ist. Und die Poesie stellt die ursprüngliche Einheit alles Seienden wieder her. Sie und nur sie überwindet die Zerrissenheit des Denkens, überbrückt die Abgründe zwischen den Epochen, vereint die Religionen, Fächer und Individuen.
"Komm ins Offene, Freund!"
Und Hölderlin selbst? Wer ist das? Schwer zu sagen. Es gibt ein spätes Gedicht von ihm, ein Bruchstück aus der Zeit der "geistigen Umnachtung" im Tübinger Turm. In diesem Bruchstück heißt es: "Denn nirgend bleibt er. / Es fesselt / Kein Zeichen. / Nicht immer / Ein Gefäß ihn zu fassen." Wer ist hier gemeint? Der Mensch? Ein Gott? Oder Hölderlin? Das würde passen. Hölderlin lässt sich nicht auf einen Begriff bringen. Man kann ihn nicht versand- und konsumfertig zurecht konfektionieren. Und ob er gesund oder krank war, was spielt das für eine Rolle? Hölderlin ist, was seine Gedichte, Gesänge, Gedanken im Leser anstiften. Die einzige Chance, etwas Wirkliches und Substanzielles über ihn zu erfahren, besteht darin, sich der Erfahrung seines Werks auszusetzen. Dafür aber muss man ihm ins Freie, Weite, Ungebahnte folgen. In seiner großen Elegie "Brot und Wein" lädt er genau dazu ein: "So komm! Dass wir das Offene schauen, / Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."