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Goethe - Irren ist menschlich Das Thema

Stand: 18.09.2007 | Archiv

Zwei Besucher des Frankfurter Städel-Museums sitzen lesend vor dem Gemälde "Goethe in der Campagna" (1787) des deutschen Malers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein | Bild: picture-alliance/dpa

"Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der lasse sich begraben." Diese Sentenz Johann Wolfgang von Goethes spricht zwei Themen an, die für den Dichter wie für den Menschen Goethe lebensbestimmend sind. "Irren ist menschlich", so lässt der Schöpfer des Faust sogar den Allerhöchsten über seinen Favoriten verkünden: "Es irrt der Mensch, solang er strebt." Und schon in der Zueignung des gleichnamigen Dramas spricht der Dichter über des Lebens labyrinthisch irren Lauf. Auch der junge Johann Wolfgang scheint zunächst nicht zu wissen, wohin ihn das Leben verschlägt. Vom Vater zu einem ungeliebten Studium gezwungen, vertreibt er sich in Leipzig die Zeit lieber mit hübschen Mädchen. Auch später in Strassburg, wo er endlich den Abschluss in Jura schafft, verdreht er einer Pfarrerstochter den Kopf. Und nur wenig später, am Ort seiner ersten Anstellung in Wetzlar, entflammt er sogar für die Frau eines anderen.

Goethe und die Frauen

Frankfurt, Weimar, Rom, Karlsbad - Goethe kommt viel herum in seinem langen Leben. Ob er das selbst so empfunden hat? In seinen Werken jedenfalls findet der Ruhelose den in sich ruhenden Pol. Die Harmonie von Mensch und Natur, die Überwindung von Gegensätzen und die Versöhnung der Menschen in der Liebe sind seine großen Themen. Während der junge Goethe noch von Frau zu Frau schwärmte so wird sein Stürmen und Drängen in Weimar unter dem Einfluss der Hofdame Charlotte von Stein gebändigt. Sie bringt ihm nicht nur Manieren bei, sondern bindet auch einen großen Teil seiner leidenschaftlichen Kräfte. Über 1600 Briefe und Billette schreibt der Dichterfürst in wenigen Jahren an Charlotte, oft mehrere am Tag.

Zeitgenössisches Aufnahme von Christiane Vulpis und ihrem Sohn August, den Christiane in wilder Ehe dem Goethe gebiert.

Nach einer Eskapade in den sonnigen Süden findet Goethe in der Heimat, in Weimar, schließlich seinen "Bettschatz", Christiane, deren leichter Frohsinn ihm das gibt, was er lange gesucht hat. Mit ihr ist er glücklich - aber noch nicht am Ende seiner Reise angekommen. Selbst im hohen Alter, mit 74, verguckt er sich noch in eine Neunzehnjährige.

Das Humanitätsideal

Bei allen Affären und Frauengeschichten, auf die Goethe sich gerne einließ, verliert die Frau jedoch nie ihren Wert als Mensch. Er ist weit entfernt von einem Playboy, der die Vertreterinnen des schönen Geschlechts nur als Mittel zum Zweck gebraucht, sondern er ist jedesmal ehrlich verliebt. Das zeigt sich nicht nur in unzähligen Gedichten, in denen sich seine jeweilige Favoritin spiegelt, sondern auch in wohl überlegten Worten, die er seinen großen literarischen Figuren in den Mund legt: "Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort der Frauen weit geführt" (Iphigenie). Meisterhaft führt Goethe vor, dass gerade durch den Einfluss der Frau die Barbarei ein Ende haben kann. Das, was Iphigenie mythologisch überhöht der ganzen Menschheit zeigt, erlebt das lyrische Ich in einem der bekanntesten Lieder des Dichters "Gefunden": Da wird die im Wald gefundene Blume nicht einfach ausgerupft, sondern sorgfältig mit den Wurzeln ausgegraben und zuhause wieder eingepflanzt. Vielleicht ist das das Geheimnis des erfolgreichen Draufgängers: Er sieht jede neue Eroberung als eine ganze Welt, die ihn fasziniert, die ihn neu leben lässt und die ihn zu neuen - dichterischen - Taten anregt.

Die dramatische Sicht der Welt

Schon in jungen Jahren versuchte sich Goethe erfolgreich im dramatischen Metier. Einen der markantesten Aussprüche legt er dem stürmischen Götz von Berlichingen im gleichnamigen Schauspiel in den Mund. Es folgen Egmont, Iphigenie auf Tauris, Torquato Tasso und einige weitere. Auch die Balladen, die er im Wettstreit mit seinem Dichterfreund Schiller formulierte, zeigen sein dramatisches Genie. Bis heute unübertroffen ist aber Goethes eigentliches Lebenswerk, sein "Faust", an dem er an die sechzig Jahre lang, mit Unterbrechungen, arbeitete. Schon früh faszinierte ihn die Geschichte des Mannes, der wissen will, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Zu diesem Zweck lässt er sich sogar mit dem Teufel ein. Goethe freilich harmonisiert auch diesen scheinbar unüberwindlichen Dissens mit Gottes Schöpfung. Bei Goethe gelingt es der Titelfigur Faust, sich als Mensch zu bewähren. Trotz aller Irrtümer bleibt er auf der Suche nach dem Guten.

Unsterblichkeit?

Gott, der Herr, weiß schon im Prolog im Himmel über seinen Schützling Faust, "Wenn das Bäumchen grünt, Dass Blüt' und Frucht die künft'gen Jahre zieren." So klingt auch am Ende des zweiten Teils des Dramas der Chor der Engel: "Liebe nur Liebende Führet herein", nämlich ins ewige Leben. Und die einst von Faust verführte Margarete führt die verklärte Seele Fausts in den Himmel. Der letzte Satz des Dramas gilt gleichermaßen für Faust wie für Goethe und vielleicht für alle: "Das Ewig Weibliche zieht uns hinan". Der labyrinthisch irrende und dem "ewig Weiblichen" verfallene Goethe ist durch sein Leben und sein Werk unvergessen und kommt, jedenfalls so lange Menschen denken können, der Unsterblichkeit Schritt für Schritt näher.


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