1968 Die Außerparlamentarische Opposition
Eine leichte wirtschaftliche Rezession bringt die Regierung der vom "Wirtschaftswunder" verwöhnten Bundesrepublik 1966 ins Wanken. CDU/CSU und SPD bilden eine große Koalition, der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger übernimmt das Amt des Bundeskanzlers. Obwohl die "GroKo" Reformwillen zeigt, eine Liberalisierung des Strafrechts in Angriff nimmt und Entspannung mit den Staaten des Ostblocks sucht, stößt sie bei Teilen der Bevölkerung auf strikte Ablehnung.
Manchen Linken erscheint die Große Koalition - sie stellt 468 der insgesamt 518 Bundestagsabgeordneten - geradezu als demokratiegefährdende Bestie. Ihr will sich die Außerparlamentarische Opposition (APO) in den Weg stellen.
Kritik am Vietnam-Krieg
Auch die außenpolitische Wertefreiheit der Bundesregierung und ihres engsten Verbündeten, der USA, stößt mehr und mehr auf Ablehnung. Westliche Politiker wissen zwar den kommunistischen Terror lautstark anzuprangern, aber bei der Unterstützung antikommunistischer Gewaltregime sind sie nicht zimperlich. Symbol für diesen Zynismus, der die moralische Empörung an den Universitäten hochkochen lässt, ist der Vietnam-Krieg, der seine Glaubwürdigkeit als "Verteidigungskrieg des Westens" zunehmend verliert. Flächenbombardements durch US-Bomber und der Einsatz von Napalm lassen das Vertrauen vieler Studenten in die US-Führung und deren Demokratieverständnis schwinden. Die Proteste gegen den Vietnam-Krieg nehmen zu.
Zusammenschluss verschiedener Strömungen
Zur APO zählen sich nicht nur linke Studentenorganisationen, Schüler und einige Lehrlinge, sondern auch Intellektuelle und Künstler. Ihren Kern bildet der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Seit Mitte der 60er Jahre macht der SDS unter anderem mit Demonstrationen und Sitzblockaden gegen die Lage an den Hochschulen (Massenvorlesungen, fehlende Laborplätze etc.) und den Vietnam-Krieg auf sich aufmerksam.
Als spontane Bewegung ohne feste Strukturen findet sich die APO nur zu punktuellen Aktionsbündnissen zusammen. Ein alle Beteiligten verbindendes Programm oder eine gemeinsame ideologische Ausrichtung gibt es nicht. Die angestrebte Solidarisierung mit der Arbeiterschaft gelingt nicht, lediglich im Kampf gegen die Notstandsgesetze kommt es 1968 zu einem zeitweiligen Bündnis mit den Gewerkschaften.
Von besonderer öffentlicher Wirkung sind die Auftritte der "Kommune 1" mit ihren Anführern, den "Politclowns" Fritz Teufel und Reiner Langhans. Später taucht Teufel in der Terrorszene unter, wird gefasst und verurteilt.
Beginn der Radikalisierung - der Schah-Besuch
Die APO rebelliert gegen die bestehende Ordnung, übt Kapitalismuskritik und widmet sich voller Leidenschaft dem Kampf gegen "den Faschismus", der sich in aller Welt festzusetzen scheint, etwa in Vietnam, in Südafrika, in den USA und in Persien.
Der Schah von Persien, Reza Pahlewi, besucht am 2. Juni 1967 West-Berlin. Anhänger der APO empören sich lautstark gegen dessen autoritäres Regime. In Begleitung des Schahs befinden sich mehrere Geheimpolizisten, die für Applaus sorgen sollen. Doch die "Jubelperser" belassen es nicht bei Hochrufen, sondern prügeln mit Knüppeln und Stahlruten auf Demonstranten ein - auf deutsche Staatsbürger, die das Regime Reza Pahlewis anklagen. Überdies geht die Berliner Polizei brutal gegen Protestierer vor.
Am Abend des 2. Juni 1967, auf dem Höhepunkt der Demonstrationen, erschießt der Kriminalobermeister Karl Heinz Kurras den 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg. Noch im gleichen Jahr wird der Polizist freigesprochen, da er bei seiner Tat "in der Kritik und Urteilsfähigkeit erheblich eingeschränkt und ihm ein besonnenes Überlegen und Verarbeiten der Geschehnisse unmöglich war".
Der Tod des jungen Berliners hat weitreichende Folgen. Ohne die Solidarität mit dem Toten, den man als Opfer im "Kampf gegen die Herrschenden" perzipiert, hätte die Studentenrebellion nicht die gewalttätige Wendung genommen wie Ende der 60er Jahre.
Ho Ho Ho Tschi Minh…
Zusätzlichen Zündstoff bekommt die Wut der APO-Leute durch den Tod des lateinamerikanischen Revolutionärs Ernesto "Che" Guevara, den bolivianische Anti-Guerilla-Kommandos nach seiner Gefangennahme im Oktober 1967 erschießen. Guevara wird zusammen mit dem Nordvietnamesenführer Ho Tschi Minh - nicht nur in Deutschland - zum Idol der aufbegehrenden Jugend. Mit dem rhythmischen Kampfruf "Ho Ho Ho Tschi Minh" ziehen Jugendliche skandierend durch die Städte.