1968 Hoffnungen im Osten
Nach der brutalen Niederschlagung der Aufstände in der DDR (1953) und in Ungarn (1956) durch sowjetische Truppen verstummen viele Kritiker der kommunistischen Regime im Ostblock, doch die Unzufriedenheit in breiten Teilen der Bevölkerung bleibt.
Zu Jahresbeginn 1968 versuchen Reformer um den KP-Funktionär Alexander Dubcek, den Sozialismus in der CSSR zu humanisieren. Sie versprechen die Wiederherstellung geistiger und persönlicher Freiheit, wollen Gewaltenteilung und eine "sozialistische Marktwirtschaft" einführen. Doch das Tauwetter währt nicht lange. In der Nacht zum 21. August 1968 marschieren Truppen des Warschauer Paktes in Prag ein, um den "konterrevolutionären Umtrieben" ein Ende zu bereiten. Der Widerstand der Bevölkerung ist erfolglos.
DDR-Bürger erleben die Besetzung Prags
In Ostdeutschland werden die Ereignisse in der CSSR aufmerksam verfolgt. Viele Bürger hoffen auf Reformimpulse im "Arbeiter- und Bauernstaat". Als die Truppen des Warschauer Paktes Prag einnehmen, als verzweifelte Tschechen und Slowaken Barrikaden bauen und Panzer in Brand stecken, befinden sich viele DDR-Urlauber in der Stadt. Sie sind geschockt - und fotografieren eifrig. Rasant verbreiten sich hunderte Aufnahmen von den Protesten in der DDR.
In Ostdeutschland rumort es
Das Ende des "Prager Frühlings" macht die Hoffnungen auf Reformen in der DDR zunichte. Studenten, Schüler und junge Arbeiter reagieren mit Flugblattaktionen, Mauerinschriften und spontanen Demonstrationen. Auch Beifallsbekundungen für West-Revoluzzer, die den bürokratischen Realsozialismus im Ostblock scharf kritisieren, werden laut. Die Staatssicherheit handelt schnell - und mit aller Härte: Hunderte Ermittlungsverfahren werden eingeleitet, Haftstrafen verhängt, Berufsverbote und Exmatrikulationen erlassen.
So wird beispielsweise die 21-jährige Schauspielstudentin Bettina Wegner, die auf Flugblättern "Solidarität mit Prag!" fordert, zu 16 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Wegner muss ihr Studium abbrechen und in einem Elektrobetrieb arbeiten. Erst als 1973 die "Bewährung in der Produktion" endet, darf sie die Diplomprüfung ablegen. Bettina Wegner gibt nicht auf. Sie wird zur regimekritischen Liedermacherin; ihre Platten dürfen nur im Westen erscheinen, aber sie macht vielen DDR-Bürgern Mut.
Ein besonders drastisches Warnsignal an ihre Kritiker, die sie vor allem in Kirchenkreisen vermutet, sendet die SED-Führung um Walter Ulbricht 1968 mit der Sprengung historischer Kirchenbauten. So wird beispielsweise die Potsdamer Garnisonkirche in die Luft gejagt.
Aus Ost-68ern werden Ost-89er
Angesichts des Stasi-Unterdrückungsapparats müssen die Ost-Protestierer weitaus behutsamer vorgehen als die 68er im Westen. Aber die Revolte ist durchaus vergleichbar. Diesseits und jenseits der Mauer wenden sich junge Menschen gegen Autoritäten ("Bonzen") und staatliche Institutionen; sie wollen das politische System verändern.
Das harte Vorgehen des Regimes erstickt die Bewegung jedoch im Keim, desillusioniert ziehen sich viele Aktivisten in die private "Nische" zurück. Andere engagieren sich unter der Oberfläche in unabhängigen Friedens-, Menschenrechts-, Frauen- und Umweltgruppen. Ihr Warten auf die Freiheit zieht sich in die Länge, doch ohne es zu ahnen, bereiten sie den Boden für die friedliche Revolution und den Mauerfall im Jahr 1989.