Ja, so sans? Bayern dreht auf
Ab etwa 1800 ändert sich das vordem desolate Bayernbild rasant. Das liegt zum einen an der romantischen Schule. Sie entdeckt das Gebirge als archaische Seelenlandschaft und feiert Bayern als Bewahrer einer katholisch geprägten Gefühlskultur, die sich der "seelenlosen" protestantischen Verstandeskultur entgegenstellt. Die romantische Aufwertung mystischer Glaubenspraktiken ändert den Blick von außen auf Bayern. Das Land der abergläubischen Pfaffenknechte mutiert zum Träger einer ursprünglichen, unverstellten, innigen Frömmigkeit, die das Wesen wahrer Religiosität ausmacht.
Relaunch im Namen der Krone
Was sich aber vor allem wandelt, ist die Einstellung der Bayern zum eigenen Land und zur eigenen Identität. Wesentliche Triebkräfte dieses Umdenkens sind das Haus Wittelsbach und einflussreiche Mitglieder der Staatsverwaltung. 1810, vier Jahre nach der Erhebung Bayerns zum Königreich, fordert der Historiker, Bibliothekar und Staatsbeamte Johann Christoph von Aretin, den "Nationalgeist der Bayern zu beleben, zu nähren und zu stärken". Hintergrund des patriotischen Appells ist ein zunehmender Dualismus zwischen den norddeutschen Staaten unter preußischer Führung und den süddeutschen Staaten. Die vom Hof angestoßene und vorangetriebene "Hebung des bayerischen Nationalgefühls" ist im Kern der Versuch, sich gegen preußische Dominanzbestrebungen zu behaupten. Ein weiteres, nicht minder wichtiges Motiv ist zudem die dringende Notwendigkeit, das nun durch schwäbische und fränkische Gebiete vergrößerte Staatsgebilde unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen.
Wie der Herr, so's Gescherr
Ein Aspekt der angestrebten Neudeutung ist die Rückbesinnung auf die Traditionen, Werte und Schönheit des bäuerlichen Lebens. Auch hier übernehmen die Wittelsbacher eine Vorreiterrolle. Mit ihrer Gewohnheit, die Sommerfrische in Berchtesgaden, am Tegernsee oder in bayerischen Bädern zu verbringen, werden die Mitglieder des Königshauses zum Vorbild für den Adel und das städtische Bürgertum. Wer es sich leisten kann, tut es ihnen gleich und frönt von nun ebenfalls der sommerlichen Landlust im Voralpenland. Die findigen Bauern merken schnell, dass Geld in dieser neuen Mode steckt. Und sie spannen ebenso schnell, wie man die Quelle des warmen Segens am Sprudeln hält: Um die Sommerfrischler bei Laune zu halten, schuhplatteln, goaßlschnalzen, tanzen, fensterln, singen, jodeln die Einheimischen von nun an, was da Herz begehrt. Damit ist nicht nur die Frühform des Fremdenverkehrs geboren, sondern auch das Fundament für alle Bayernklischees gelegt, die fortan zum Kernvermögen des Alpentourismus gehören.
Gott mit uns, dem Bayernvolke!
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt die politische motivierte Bajuwarisierung erneut Fahrt auf. Vieles, was heute als uraltes Traditionsgut, urbayerische Lebensart und Konzentrat erzbayerischen Wesens gilt, war im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entweder durch aufklärerische Bestrebungen verboten oder durch soziale Umwälzung verdrängt worden und ab Mitte des 19. Jahrhunderts wenn nicht gar völlig untergegangen, so doch zumindest im Absterben begriffen. Um die Eigenständigkeit Bayerns zu stärken, fördert König Maximilian II. Joseph alles, was ihm zur Ausbildung und Kräftigung eines widerstandsfähigen Nationalgefühls tauglich erscheint: Er gründet das Bayerische Nationalmuseum, macht sich für Schützenvereine, Volksfeste und Volksmusik stark, regt die Brauchtumspflege an, setzt für die Wiedereinführung der nahezu verschwundenen Tracht ein ("um auch in Bayern das Nationalgefühl des Volkes zu heben und zu kräftigen"), lässt Denkmäler bayrischer Größe errichten und an den Schulen vermehrt bayerische Geschichte unterrichten. Damit entsteht ein ganz besondere Selbstwahrnehmung, ein sehr spezielles "Bayerngefühl nach innen", das sich bis auf den heutigen Tag als ausgesprochen robust, lebendig und beschwörbar erweist.