Ja, so sans? Jodeln, bis der Arzt kommt
Bayern boomt. Dafür sorgen und davon leben nicht nur Fremdenverkehrseinrichtungen, sondern auch unzählige Bayernbeschwörer in Film, Funk und Fernsehen. Nach einer Flut bonbonbunter und bonbonsüßer Heimatfilme, nach einer Welle klebriger Lederhosenerotika waiden neuerdings immer mehr Alpenkrimis und Fernsehserien wie "Der Bulle von Tölz", die "Rosenheim Cops" oder der "Musikantenstadl" das Klischee gnadenlos aus. Und interessanterweise - oder sollte man sagen typischerweise? - finden die aus erprobten Elementen gefällig gezimmerten Bayerndarbietungen nördlich des Weißwurstäquators ihr treustes Publikum.
Cool Bavaria kommt an
Aber auch im Ausland hat cool Bavaria Konjunktur. Dank modernster Marketingformen, eines weltbekannten Bierfestes, stetig schwellender Touristenströme und zünftiger Hofbräuhausableger schaut die ganze Welt den Bayern beim Bayernsein zu, konsumiert ein Standartprodukt und erwartet immer mehr vom Selben. Doch die durch Klischees gespeiste und immer wiederholte Inszenierung des Typischen, "Echten", hat auch ihre Tücken: Sie wirkt nicht nur nach außen. Sie wirkt auch nach innen und erzeugt dort eine Art autohypnotischer Selbstbezauberung, die bisweilen absurde Züge annimmt. Der Effekt ist nicht nur Eltern und Erziehern bekannt: Wenn man jemandem nur lange genug sagt, dass er etwas ganz Besonderes und Einzigartiges ist, glaubt er es am Ende selbst. Nun ist es zwar durchaus schön und wünschenswert, sich selbst zu mögen. Aber manchmal ist es einfach zu viel. Manchmal verwischen sich die Grenzen zwischen Selbstgefühl und Selbststilisierung. Manchmal wird es schwer zu unterscheiden, was noch echt, und was nur mehr kulissenhaft, maskenhaft ist. Und da, wo sie nicht mehr durch einen kritischen Realitätsabgleich gebändigt und ein Augenzwinkern gemildert wird, führt die Mia san mia-Selbsthypnose zu einem grotesken Kraftbayerntum, einer überdrehten Ledernhosenhaftigkeit, die vor urwüchsiger Authentizität nicht mehr geradeaus gehen kann.
Gralshüter und Realos
Aber ist das heute wirklich noch Bayern? Muss man wirklich jeden Morgen einen Gamsbart frühstücken und den Eichhörnchenschweif unfallfrei diphtongieren, um als Einheimischer durchzugehen? Nein. Muss man nicht! Vielen Bayern ist das zur Schau gestellt Krachlederne und Dirndlige ohnehin peinlich und obendrein Ausdruck einer fragwürdigen Realitätsverweigerung. Bayern hat sich seit den Zeiten des Prinzregenten politisch, demographisch, kulturell weiterentwickelt. Was heute "authentisch" bedeutet, darf nicht von einer Gruppe für alle reklamiert und nicht nur durch Vergangenheitsverklärer für ewige Zeiten festgeschrieben sein. Das Authentische darf fließen, darf sich verändern und geschmeidig sein. Das Authentische darf wachsen, damit ein modernes, unverkrampftes, tolerantes mit der Wirklichkeit versöhntes Bayerntum für alle möglich ist, ganz entspannt im Hier und Jetzt. Dann ist es ein echtes Vergnügen, eine Gaudi für sich und andere, mit Klischees und Seelenzuständen zu spielen, die Bayern vermeintlich oder tatsächlich prägen. Und das ist der Moment, wo es dann passt: Ein augenzwinkerndes, genüssliches, wohliges "Ja, so sans!"