Ungewollt schwanger um 1700 Der Staat und das Private
Die anschwellende Flut territorialer Policey-Ordnungen ist der Ausdruck eines intensivierten, umfassenden Herrschafts- und Verwaltungswillens. Die zunehmend detaillierten Ordnungs- und Disziplinierungsinstrumente, wie sie 1616 mit der "Landts-und policeyordnung" Maximilian I. auch in Bayern vorliegen, schlagen auf nahezu alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens durch. Neben wirtschafts- und arbeitsrechtlichen Fragen lenkt die "gute Policey" auch das Münz-, Gewichts-, Gesundheits-, Feuerwehr-, Brau-, Gerichts- und Prozesswesen oder die Preisgestaltung. Einschlägig sind zudem Verbote und Gebote, die den "Kleiderluxus" beschränken, das Karten- und Glücksspiel, das unziemliche Tanzen oder das Fluchen und Schwören verurteilen sowie das "Fressen, Sauffen und Zutrinken" zuhause und in Wirtshäusern verdammen, da gerade bei derartigen Gelegenheiten sittenloses Treiben "liederliche Urständ" feiert.
Nichts ist verborgen, das nicht offenbar werde!
Die Regulierungswut beschränkt sich also nicht auf ökonomische und politische Belange. Der frühmoderne Staat versteht sich ausdrücklich als ethisch normierende und disziplinierende Instanz. Ein zentrales Anliegen jeder Policeyordnung ist daher die Bekämpfung des "lasterhaften" Lebens. Und Laster meint vor allem sexuelle Energie, die als Unzucht, Ausschweifung, Sünde gebrandmarkt ist. Daher lesen sich die "policeylichen" Erlasse über weite Strecken wie eine Kodifizierung der Zehn Gebote. Die uns so sonderbar anmutende Vermengung von Frömmigkeit, Religion und pragmatischer Rechtsetzung entspricht dem Herrschafts- und Staatsdenken der Zeit: Weltliches Recht und weltliche Ordnung resultieren allein aus den Gesetzen und der Ordnung, die Gott dem Himmel und der Erde gegeben hat. Der Mensch kann aus eigener Kraft kein wahres Recht und keine wahre Ordnung erschaffen. Gesetz und Staat und Ordnung bestehen nur dann zurecht und dauerhaft, wenn sie im Einklang mit dem Willen des Schöpfers sind.
Die Fürsten schulden Gott ein gutes Regiment.
Irdische Herrschaft hat darum nur eine Aufgabe, ein höchstes Ziel und eine Legitimation: die Durchsetzung und Bewahrung der göttlichen Weltordnung. Die von Gott in ihr Amt gesetzten Fürsten schulden dem Allmächtigen ein Regiment, das die Untertanen zu einem gottgefälligen Leben anhält. Das ist Funktion des Staates und der Regierungsauftrag des christlichen Fürsten, an diesem Maßstab werden beide gemessen: Gut ist der Fürst, der Ordnung schafft. Gut ist der Staat, der die Sünde als Urgrund aller Unordnung ausrottet.
Gute Policey als Strafprävention
Zur Staatsaufgabe wird der Kampf gegen die Sünde, weil er nicht nur dem individuellen Seelenheil, sondern dem irdischen Wohlergehen aller Untertanen dient. Hinter dieser von allen Konfessionen getragenen Überzeugung steckt das vergeltungstheologische Konzept eines rächenden und strafenden Gottes, wie es Paulus etwa im Kolosserbrief formuliert. "Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde und Habsucht, die Götzendienst ist! Um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams." Mit diesem Zorn ist nicht gut scherzen. Gott lässt sich nicht ungestraft beleidigen und verhöhnen. Er warnt durch bedrohliche Himmelszeichen wie Kometen, Doppelsonnen oder andere Naturphänomene und er züchtigt durch Krankheit, Krieg, Missernte, Hunger, Überschwemmungen, Erdbeben und andere Naturkatastrophen. Weil Gott die Sünde, das heißt den Ungehorsam gegen seine Gebote, die Unordnung und das Aufbegehren schon im Diesseits ahndet, ist die gute Ordnung letztlich immer auch kollektive Strafprävention!
Ein Gräuel vor dem Herrn: Das Sexte Gebot
Ein Mandat Maximilian I. aus dem Jahr 1635 betreffend "das hoch verbottne Laster der Leichtfertigkeit / und unehrlichen Schwängerungen / sonder auff dem Landt / unter den ledigen Bawrsgesind / und andern gemainen Leuten" bestätigt den vergeltungstheologischen Zusammenhang von guter Policey, irdischer Ordnung und geistlicher Gefahrenabwehr: "Und aber der Allmächtige Gott durch solche schwere Sünden (…) / höchlichst belaidiget / und erzürnet / wie auch zu schickung und verhenung allerhand schwerer augenscheinlichen Kriegs Unruhe und andern Landstraffen bewögt wirdet"; Uns derowegen auß LandsFürstlicher Vätterlicher Sorgfalt an= und obgelegen seyn will / solches (…) Laster der Unlauterkeir und Gotteslästern / wie auch dessen Ursachen / durch notwenige Mittel remedirn und vorbawen zulassen."