Franz Grillparzer aber gewiss kein Nationalist
Grillparzer der Nationaldichter. Was meint das? In wessen Namen, zu wessen Gunsten wird einer wie er für die nationale Sache vereinnahmt? Wer bestimmt, bestellt und benutzt ihn, und wozu? Wen vertritt er, welche Bevölkerungssegmente und Absichten? Und wie stellt er sich selbst zu alledem?
Nein, das Konzept geht nicht auf. Zumindest heute nicht mehr. Die Katastrophen des Nationalen haben es gründlich diskreditiert. Die kulturelle, weltanschauliche, ästhetische Vielstimmigkeit der modernen pluralistischen Gesellschaft schafft überdies ein Repräsentationsproblem: Sie ist nicht mehr durch eine Einzelstimme vertretbar.
Wie grundlegend verfehlt, fragwürdig, veraltet, widersinnig und nur noch als Ausdruck einer längst überwundenen historischen Phase begreiflich die Idee des Nationaldichters ist, wird am Beispiel Grillparzer überdeutlich. Widersinnig ist die Sache jedoch nicht erst heute. Sie ist es auch zu Lebzeiten Grillparzers schon, ein Unding, das allenfalls ein Bedürfnis, aber keinesfalls die Realität wiedergibt.
Zeigen, wo der Hammer hängt
Fragwürdig ist zum einen bereits das Etikett "national". Denn Österreich ist schlicht und einfach kein National-, sondern ein Nationalitätenstaat. Ein Vielvölkergemisch, das Ungarn, Serben, Böhmen, Kroaten, Slowenen, Italiener, Bosnier, Polen, Ruthenen und eben auch Deutsche unter dem gemeinsamen Dach des Hauses Habsburg mehr oder minder vereint. Ob sich all diese Ethnien durch den Nationaldichter Grillparzer vertreten wähnen, darf bezweifelt werden. Wenn überhaupt, repräsentiert er die Österreichdeutschen oder Deutschösterreicher der Donaumonarchie, jenen Bevölkerungsanteil also, der sich der deutschen Kultur zugehörig fühlt, mit den "Reichsdeutschen" in einer Art Kulturwettbewerb steht und nicht zuletzt eindeutig klar stellen will, welches der vielen Völker in Österreich den Ton angibt.
Von Humanität über Nationalität zur Bestialität
Zum andern ist Grillparzer zwar ganz sicher ein Patriot, der seine Heimat, sein Österreich und das Haus Habsburg ohne jeden Zweifel liebt, aber ein Nationalist ist er ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Grillparzer ist ein entschiedener Gegner der Nationalisierungstendenzen seiner Zeit. Im Nationalen, das ihn hochbetagt und gegen seinen Willen 1871 schließlich doch vereinnahmt, sieht er zeitlebens eine zerstörerische Kraft am Werk, die das Europa des Wiener Kongresses zerbrochen hat und gefährliche Rivalitäten provoziert. Die Neugründung des Norddeutschen Bundes ohne Österreich kommentiert er daher bissig als unerkannten Beginn einer tragischen Zersetzung: "Ihr glaubt, ihr habt ein Reich geboren, und habt doch nur ein Volk zerstört." In dieselbe nationalskeptische Richtung verweist sein berühmtes, gegen die Entwicklung in Österreich gemünztes Diktum, demzufolge der "Weg der neuen Bildung von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität" führe.
Freund! Bruder!! Landsmann!!! Götzendorfer!!!!"
Wie reserviert Grillparzer dem forcierten Nationaltaumel gegenüberstand, dokumentiert auch der spöttische Kommentar zur hurrapatriotischen Aufnahme seines Dramas "König Ottokars Glück und Ende". In der kurzen Satire lässt ein mit Hans Dampf unterzeichnender Briefschreiber seinen heimatstolzen Gefühlen freien Lauf: "Viktoria! Ein vaterländisches Stück auf der Bühne! Stelle dir vor! Marchegg wird darin erwähnt, Horn, und Krems, wo wir so oft Bratwürste gegessen haben; ja der letzte Akt spielt sogar in Götzendorf, unserm gemeinschaftlichen Geburtsorte. Wer gibt mir Worte, ich habe nur Thränen! Viele wollen behaupten, das Stück hinge nicht gar wohl zusammen, was frage ich danach! Genug, der fünfte Akt spielt in Götzendorf! Ich drücke dir die Hand, Freund! Bruder!! Landsmann!!! Götzendorfer!!!!"